Nachlese

Nachlese 1. Advent

Der Lichtschimmer am Horizont

Die Metapher des erschöpften Wanderers

Stellen wir uns vor: Ein Wanderer, völlig erschöpft, sitzt am Strassenrand. Seine Schuhe sind abgenutzt, seine Schultern schwer von der Last des Weges. In diesem Moment der Müdigkeit öffnet sich am Horizont ein unerwarteter Lichtschimmer - eine Metapher für unser heutiges Dasein.

Diese Szene erinnert mich an eine alte Zen-Geschichte: Ein Schüler fragte seinen Meister: "Wie finden wir Erleuchtung?" Der Meister antwortete schlicht: "Wenn wir müde sind, schlafen wir. Wenn wir hungrig sind, essen wir." Der Schüler, verwirrt, fragte: "Ist das alles?" Der Meister lächelte: "Ja, aber wenn wir schlafen, schlafen wir wirklich. Wenn wir essen, essen wir wirklich."

Die Grenzerfahrungen unserer Zeit

Diese einfache Weisheit spricht direkt in unsere komplexe Wirklichkeit. Wir leben in einer Zeit der Grenzerfahrungen. Überall um uns herum hören wir: "Ich kann nicht mehr", "Ich bin erschöpft", "Der Alltag verschlingt mich". Arbeit, Erwartungen, ständige Erreichbarkeit - sie zerreiben uns förmlich.

Das Evangelium spricht von kosmischen Zeichen und Erschütterungen. Erleben wir nicht ähnliche Erschütterungen in unserem persönlichen Kosmos? Burnout, Stress, Unsicherheit, Zukunftssorgen, Todesängste, Pandemiebedrohungen - sind das nicht unsere modernen "Zeichen an Sonne, Mond und Sternen"?

Die Kraft der Aufrichtung

Jesus mahnt uns, die Betäubung des Alltags zu meiden – die Sorgen, die unser Herz beschweren, die Hektik, die uns blind macht für das Wesentliche.

Doch Jesus sagt: "Richtet euch auf und erhebt eure Häupter." Welche Kraft liegt in diesen Worten! Wie oft vergessen wir, dass es nicht nur die äusseren Umstände sind, die uns belasten, sondern auch unser innerer Umgang mit ihnen.

Die Aufforderung zu wachen und zu beten mag altmodisch klingen. Doch ist es nicht genau das, was wir brauchen? Momente der Besinnung, der Achtsamkeit in unserem hektischen Alltag?

Existenzielle Fragen und die Kraft der Liebe

Philosophisch betrachtet stehen wir vor einer existenziellen Frage: Wie gestalten wir unser "Dasein" - unser Sein in der Welt - so, dass es uns nicht zermalmt, sondern trägt? Der Philosoph Martin Heidegger sprach vom "In-der-Welt-sein" als grundlegende Struktur unserer Existenz. Wie können wir dieses "In-der-Welt-sein" authentisch und kraftvoll gestalten?

Paulus gibt uns in seinem Brief an die Thessalonicher einen wesentlichen Hinweis: Wachsen in der Liebe. Nicht nur Leistung zählt, sondern die Beziehungen, die uns tragen. Liebe zu uns selbst, zu anderen - eine Liebe, die stärkt und heilt. Könnte dies der Schlüssel sein?

Praktische Schritte zur Erneuerung

Wie können wir unseren Alltag so gestalten, dass er uns nährt statt auszehrt? Vielleicht indem wir kleine Inseln der Ruhe schaffen, Momente der Liebe und des Mitgefühls - für andere und für uns selbst. Wir können dies konkret leben, indem wir innehalten, bewusst atmen, die Hetze unterbrechen, einander wahrnehmen und kleine Momente der Zuwendung schaffen. Durch diese bewussten Handlungen schaffen wir es, den Alltag nicht nur erträglicher, sondern auch erfüllender zu gestalten.

Wie der Zen-Meister sagte: Wenn wir schlafen, wirklich schlafen. Wenn wir essen, wirklich essen. In jedem Moment ganz präsent sein.

Wann haben wir das letzte Mal jemandem wirklich zugehört?

Wann haben wir uns selbst eine Atempause gegönnt?

Wann haben wir die Last abgelegt und uns von Liebe tragen lassen?

Der Alltag wird weitergehen mit all seinen Herausforderungen. Aber er muss nicht unser Richter sein. Er kann unser Lehrer werden - über Grenzen, über Resilienz, über die unglaubliche Kraft der Hoffnung.

Nehmen wir uns einen Moment. Atmen wir tief durch. Spüren wir den Boden unter unseren Füssen. Und erinnern wir uns: In jedem Augenblick, selbst im erschöpftesten, liegt die Möglichkeit der Erneuerung. Wie der Wanderer am Wegrand, der plötzlich einen Lichtschimmer am Horizont erblickt.

Amen.

Br.George

Lebendige Wahrheit

Predigt zum Christkönigssonntag, Lesejahr B

«Was ist Wahrheit?» Mit dieser Frage des Pontius Pilatus endet der heutige Auszug aus dem Johannesevangelium (Joh 18, 33 ff.). Wie ein roter Faden zieht sich diese Frage, die Auseinandersetzung mit der Wahrheit, durch das gesamte Werk des Evangelisten Johannes. An einer anderen Stelle sagt Jesus von sich: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater ausser durch mich.»

Dieser Satz klingt ungewöhnlich, weil er die Wahrheit zu einer Person macht. Wir sind es gewohnt, Wahrheit als Sachfrage von richtig oder falsch zu verstehen. Biblisch verstanden ist Wahrheit aber eine Frage der lebendigen Beziehung. Wahrheit ist eine sich zeigende Kraft, eine verlässliche Wirklichkeit, die sich durch Beziehung und mit der Zeit bewahrheitet. Sie ist nicht immer sichtbar oder greifbar, aber sie ist real, ein tragender Grund, auf den wir bauen können, wie wir in Psalm 93 gehört haben:

Ja, der Erdkreis ist fest gegründet,
nie wird er wanken.
Dein Thron steht fest von Anbeginn,
Deine Gesetze sind fest und verlässlich, Herr, für alle Zeiten.

Wer diese Verse geschrieben hat, spricht aus der Erfahrung, dass auf Gott Verlass ist.

Wir können Gott nicht wissenschaftlich beweisen. Ebenso wenig können wir beweisen, dass Gott gütig, gerecht oder barmherzig ist. Aber wir können Gott und seine Güte erfahren, und wir können uns inspirieren und «anstecken» lassen von all den Menschen, die Gottes Liebe und Nähe ebenfalls als verlässlich erlebt haben. Deshalb ist in der Bibel immer wieder vom Gott unserer Väter und Mütter die Rede, von Gott, der sich in der Geschichte als «Gott mit den Menschen» erwiesen und bewahrheitet hat. Darin ist die Überzeugung enthalten, dass Gott sich selbst treu bleibt: So wie er an den Generationen vor uns gehandelt hat, so wird er auch an uns handeln. Oder, um es mit den Worten der Lesung aus der Offenbarung zu sagen: Gott beweist sich als Anfang und Ende – Alpha und Omega – der war, der ist und der kommen wird.

Wahrheit als Beziehung

Wahrheit im biblischen Sinne ist also mehr als blosse Fakten. Sie ist Beziehung, Verlässlichkeit, Treue. Jesus lebt diese Wahrheit. Er verdreht keine Tatsachen, er weicht nicht aus, sondern steht zu der Gottesbeziehung, die er selbst als wahr erfahren hat. Jesus zeigt uns mit seinem Verhalten vor Pilatus eine Wahrheit, die keine Machtspiele kennt, keine Angst und keine Hinterlist. Und wir wissen, dass das nicht selbstverständlich ist: Mächtige verdrehen oft die Tatsachen, beugen sie zu ihrem Vorteil: Sie konstruieren ihre eigenen Wahrheiten.

Auch Pilatus sucht nach einer Wahrheit, die ihm nützt und bequem ist. Und er versteht nicht, warum Jesus sich nicht aus der Anklage herausredet und sich mit einer Lüge rettet. Die Begegnung zwischen Pilatus und Jesus ist keine echte Begegnung. Denn Pilatus lässt sich nicht wirklich ein auf den Angeklagten vor ihm. Vielleicht ist er längst taub geworden für die Wahrheit, weil sie in seiner Lebenswirklichkeit kaum eine Rolle spielt, weil Wahrhaftigkeit nicht zu den politischen Tugenden zu gehören scheint. Pilatus bleibt in seiner eigenen Welt gefangen und erkennt deshalb Jesus nicht als die Wahrheit an.

Die Stimme der Wahrheit hören

«Jede, die aus der Wahrheit ist», spricht Jesus, «hört auf meine Stimme». Wir leben in einer Zeit, in der Lügen und alternative Fakten den öffentlichen Diskurs prägen. Informationen werden manipuliert und verbreiten sich schneller, als sie überprüft werden können. Und diese schwer überprüfbaren Informationen beeinflussen uns, prägen unser Denken und Urteilen. Die Stimme der Wahrheit zu hören und zu verhindern, dass sie erneut zum Tode verurteilt und damit zum Schweigen gebracht wird, ist heute wichtiger denn je. Aber es ist schwieriger denn je geworden, diese Stimme der Wahrheit zu erkennen. Im Gewirr so vieler Stimmen und Meinungen, die ungefragt auf uns einprasseln, wann immer wir uns den Medien aussetzen, ist es schwer, die eine Stimme zu hören. Ich glaube, dass wir vom biblischen Wahrheitsverständnis für unsere Zeit etwas lernen können. Wenn Wahrheit sich durch Beziehung erschliesst, dann ist es wichtig, dass wir immer wieder in Beziehung treten mit der Stimme Jesu, dass wir uns einüben, diese Stimme im Alltag, in uns selbst und in dem, was um uns herum geschieht, wahrzunehmen und zu hören, dass wir mit dieser Stimme vertraut werden.

«Was ist Wahrheit?» -- Diese so zentrale und oft zitierte Frage ist, so gesehen, falsch gestellt. Sie müsste lauten: Wer ist die Wahrheit? Wahrheit ist nicht etwas Abstraktes – sie ist in Jesus eine Person, die uns trägt, leitet und uns zur Freiheit ruft. Mit seinem Beispiel lädt Jesus uns ein, unser Leben auf Verlässlichkeit, Liebe und Treue zu gründen. Versuchen wir uns immer wieder neu von dieser Wahrheit ergreifen zu lassen – in unserem Glauben, unserem Entscheiden und unserem Umgang mit anderen.

Franziskanerkirche, 23./24. November 2024
SImone Parise

Nachlese Sonntag 17.11.2024

Lichter der Hoffnung in dunklen Zeiten

Liebe Brüder und Schwestern in Christus,

Die Dunkelheit der Geschichte

Das dunkelste Wort im letzten Jahrhundert ist Konzentrationslager. Im Konzentrationslager Bergen-Belsen fand ein junges Mädchen eine Himbeere auf dem Boden. Obwohl sie hungrig war, trug sie die Himbeere drei Tage lang in ihrer Tasche, um sie ihrer sterbenden Freundin zu schenken. Eine kleine Geste, aber sie war ein Licht in der dunkelsten Stunde der Menschheit.

Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, wie stark eine einzige Kerze in einem dunklen Raum leuchten kann? In den dunkelsten Momenten steht diese kleine Flamme mutig gegen die Dunkelheit und gibt uns Hoffnung.

Ähnlich ist es mit der Dämmerung: Kurz vor dem Sonnenaufgang scheint die Dunkelheit am schlimmsten, doch genau dann kommt das Licht, das einen neuen Tag voller Möglichkeiten bringt.

Hoffnung als transformative Kraft

Die Gedanken des Theologen Jürgen Moltmann, der im Juni dieses Jahres verstorben ist, sprechen uns hier tief an. Er hat den Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangener erlebt und lehrt uns viel über die christliche Hoffnung. Er sagt, dass Hoffnung nicht einfach bedeutet, optimistisch in die Zukunft zu blicken – sie ist eine Kraft, die unser Leben verändert. Wahre Hoffnung tröstet uns nicht nur; sie stört und fordert uns zum Handeln auf.

 

Die heutigen Lesungen sprechen von Dunkelheit und Licht, von Not und Hoffnung. Im Buch Daniel hören wir von einer Zeit "unvergleichlicher Not". Im Evangelium spricht Jesus von schweren Zeiten. Die Sonne wird sich verdunkeln und die Sterne vom Himmel fallen.

Das klingt beängstigend.

Eine ziemlich einschüchternde Bildsprache, nicht wahr?

Doch schauen wir genauer hin. Was sehen wir?

Diese Bilder sind nicht nur apokalyptische Warnungen; Daniel verspricht uns auch, dass unser Volk gerettet wird. Die "Verständigen" werden leuchten wie die Sterne am Himmel. Dies ist keine blosse Vorhersage über eine ungewisse Zukunft, sondern eine Einladung, anders zu leben in unserer gegenwärtigen Realität.

Dunkelheit in unserer Welt

Wenn wir heute auf unsere Welt schauen, sehen wir viel Dunkelheit:

- Den Klimawandel, der unseren Planeten bedroht

- Kriege und Konflikte in verschiedenen Teilen der Welt

- Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich

- Die Einsamkeitsepidemie in unserem digitalen Zeitalter

In solchen Zeiten kann es leicht sein, den Mut zu verlieren. Doch wo finden wir Lichter in dieser Dunkelheit? Wo sind die "Verständigen", die andere zur Gerechtigkeit führen?

Sie sind überall um uns herum:

- Junge Menschen setzen sich für den Umweltschutz ein.

- Nachbarn helfen einander in Krisen.

- Gemeinschaften und Gesellschaften unterstützen Flüchtlinge.

- Gesundheitsarbeiter leisten unermüdlichen Dienst.

Zeichen der Hoffnung erkennen

Jesus verwendet den Feigenbaum als Lehrmittel: "Wenn sein Zweig zart wird und Blätter spriesst, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist."

Welche Zeichen der Hoffnung sehen wir in unserer Welt spriessen?

Spriessen sie um uns herum?

In unserer Gemeinschaft?

In unserem eigenen Leben?

Das Reich Gottes ist nicht nur eine abstrakte Zukunft; es bricht in unseren gegenwärtigen Moment hinein und drängt uns zum Handeln. Lassen wir uns überlegen, was dies bedeutet:

- Jede Tat der Gerechtigkeit verkörpert Hoffnung.

- Jede Geste der Versöhnung offenbart Gottes Zukunft mitten unter uns.

- Jede Wahl für Liebe über Hass macht das Reich sichtbar.

Aktiv Hoffnung leben

Wenn Jesus sagt: "Von jenem Tag oder jener Stunde weiss niemand", fordert er uns nicht auf, einfach abzuwarten. Er lädt uns ein, aktiv Hoffnung zu leben – wie das Mädchen in Bergen-Belsen mit der Himbeere – und Lichter in der Dunkelheit zu sein. Diese Ungewissheit sollte uns motivieren, alles zu verändern, was uns belastet.

In Moltmanns Worten sind wir aufgerufen, "Gefangene der Hoffnung" zu sein – gefangen genommen nicht von Verzweiflung, sondern von der Vision von Gottes kommendem Reich.

Unsere Taten der Liebe, unser Einsatz für Gerechtigkeit und unsere Sorge um die Schöpfung – das sind nicht nur gute Taten. Sie sind Hoffnung in konkreter Form; Gottes Zukunft bricht in unsere Gegenwart herein und das Reich wird sichtbar mitten im Chaos.

So gebe ich euch diese Fragen mit:

- Welche Dunkelheit sehen wir in unserem Leben oder in der Welt?

- Welche kleinen Taten der Hoffnung können wir heute tun?

Lasst uns beten um die Kraft, diese Herausforderungen zu meistern – Hoffnung dort zu säen, wo oft Verzweiflung herrscht – und stets daran zu denken: Auch wenn Himmel und Erde vergehen mögen, bleiben seine Worte und Versprechen immer bestehen. Amen.

Br. George

Predigt zu Joh 11, 17-27       (Die Auferweckung des Lazarus anlässlich Allerseen 2.11.2024)

Liebe Gläubige,

1991, kurz nach meinem Studienabschluss, starb der bekannte Moraltheologe Franz Böckle. Wenige Wochen vor seinem Tod erhielt er - schon schwer krebskrank- die Ehrendoktorwürde der Universität Bonn. In seiner Dankesrede sagte er zum Schluss: „Und nun meine lieben Freunde, heisst es Abschied nehmen. Keineswegs in Resignation, aber auch ohne Illusion, was meine Krankheit angeht. Die Wochen und Tage sind gezählt. Was ich bisher theoretisch über Krankheit und Tod nachgedacht habe, ist existentielle Wirklichkeit geworden. Es gibt keinen Grund, vor Gott und der Welt zu klagen. Nach siebzig erfüllten Lebensjahren füge ich mich denn der Endlichkeit alles Irdischen. Und es trägt mich das gläubige Bewusstsein, dass mein Schöpfer, der mich einst beim Namen gerufen hat, mir auch über den Tod hinaus seine Treue bewahrt.“

Ich finde dies sind beeindruckende Wortefrei von Klage und Bitterkeit. Mich fasziniert vor allem die Ruhe und Gelassenheit, mit der Prof Böckle über seinen Tod spricht. Er konnte scheinbar wirklich sein Leben aus der Hand geben und es wieder dem Schöpfer zurückgeben. Und er war offensichtlich offen für etwas Neues, das ihm von Gott geschenkt werden sollte.

Vielleicht haben sie beim Hören seiner Worte wie ich gedacht: „So möchte ich auch gehen können. Erhobenen Hauptes und in Würde.“

Liebe Mitchristen,

Allerseelen ist für uns eine Chance, den Tod wieder mehr zu akzeptieren als etwas, das unausweichlich zu unserem Leben dazugehört.

Wir nutzen diese Chance, wenn wir uns unserer Verstorbenen erinnern: Unserer verstorbenen Familienangehörigen, aber auch unserer verstorbenen Freunde, frühere Lehrer, Menschen, die uns geprägt haben, Arbeitskollegen oder Nachbarn. In diesen Tagen können wir uns dankbar der Unterstützung und Begleitung erinnern, die wir durch sie erfahren haben. Vielleicht denken wir an ihre Freundlichkeit oder an ihr Wohlwollen, das sie uns geschenkt haben, das was sie uns als Vorbilder an Leitlinien mitgegeben haben. Wir wären heute nicht die, die wir sind, wenn wir sie nicht getroffen hätten, wenn wir sie nicht gehabt hätten.

Viele fragen nach dem Weiterleben nach dem Tod: Ob und wie es wohl weitergeht nach dem Tod. Ich denke für uns bescheidener und entscheidender ist die Frage nach dem Leben vor dem Tod.

Hier in diesem Leben sind wir ganz gefordert und hier wartet eine riesengrosse Chance auf uns, die wir nutzen oder vorüberzeihen lassen können. Denn wir sind gerufen, das Leben vor dem Tod bewusst zu gestalten.

Gerade die Auferweckung des Lazarus, die wir im Evangelium gehört haben, ist der deutliche Hinweis Jesu dafür, dass wir mitten im Leben auferstehen können zu einem erfüllteren Leben. So sagt Jesus auch zu uns:

Komm heraus aus dem Grab

-deiner Ängste

-deines Zweifels

-deines verletzten Stolzes

-deiner Unzufriedenheit

-deiner Unsicherheit

und steh auf

- zu einem mutigen Schritt in deinem Leben

- mach einen Schritt auf deine Mitmenschen zu

- zu einem gesunden Selbstbewusstsein: du bist es wert,

 geliebt zu werden.

- zu einem Lächeln, es macht dich schöner

- führe dir mal bewusst vor Augen, was alles gut läuft

 in deinem Leben. Vielleicht sammelst du jeden Tag 10 Erlebnisse, die dich glücklich machen: Begegnungen oder etwas, was dir gelungen ist, auch die vielen Kleinigkeiten, die du geschafft hast.

So sollen wir auferstehen zum Leben hier und jetzt. Das ist ein grosses Programm, wenn wir es wirklich ernst meinen.

Es ist aber auch ein grosses Geschenk, weil wir uns im Tiefsten nichts anderes wünschen als das Leben in all seiner Vielfalt und Pracht, in seinen bunten Farben und in seiner ganzen Fülle.

Dazu lädt Jesus uns ein, wenn er sagt: „Ich will, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10,10)

Diese Zusage gilt unseren Verstorbenen. Aber sie gilt besonders auch uns. Wir sollen frei werden für das Leben in Fülle. Wir sollen frei werden für ein Leben aus der Liebe. Wir sollen fähig werden, Liebe zu schenken und Liebe anzunehmen, vor allem auch die Liebe Gottes zu uns und die unserer Mitmenschen.

Denn auch für uns gilt: Wer liebt, der lebt wirklich.

AUFERSTEHUNG (Marie Louise Kaschnitz)

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Gudrun Dötsch, Pfarreileiterin

 

Eine Gemeinschaft von «schrägen Vögeln»

Predigt zu Allerheiligen, Lesejahr B

Im Glaubensbekenntnis, das wir immer wieder gemeinsam sprechen, heisst es gegen Ende: «Ich glaube an die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen». Bei «Gemeinschaft der Heiligen» denken wir wahrscheinlich an die vielen Frauen und Männer, die wir als Heilige verehren, deren Vornamen wir oft tragen und denen wir Altäre und Kirchen weihen. Aber «Gemeinschaft der Heiligen» meint etwas anderes, nämlich die Kirche selbst, unsere Gemeinschaft. Wir werden als Heilige bezeichnet. Nicht in unserem katholischen Sinn - denn das Glaubensbekenntnis ist christlich, gehört auch der reformierten Kirche. Heilig aber in einem viel weiteren und ursprünglichen Sinn.

Ist das angemessen? Können wir uns eine Gemeinschaft der Heiligen nennen? Sicher nicht, wenn wir heilig im Sinne von vollkommen, vorbildlich, unschuldig, moralisch unantastbar verwenden. Warum wir als Kirche in diesem Sinne ganz und gar nicht heilig sind, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern.

Wie ist dann «heilig» zu verstehen? Die Bibel verwendet dafür im Hebräischen und Griechischen Begriffe, die ursprünglich so viel wie «abgesondert», oder «andersartig» bedeuten. Ich glaube an die Kirche, Gemeinschaft der Andersartigen, der Sonderbaren, der «schrägen Vögel». Das wäre doch ein tolles Bekenntnis!

Die «schräge» frohe Botschaft

Allerdings sind wir nicht «schräg», weil wir prinzipiell anders sein wollen, um uns von anderen abzuheben und abzugrenzen. Was uns zu einer Gemeinschaft von «schrägen Vögeln» macht, ist vielmehr, dass wir uns auf Jesus Christus und sein Evangelium berufen --  auf eine Botschaft, die wirklich ziemlich schräg ist:
- Glücklich, die arm sind
- Erfüllt die Hungrigen
- Selig die Trauernden
Was Jesus verkündet, vor allem in den Seligpreisungen, ist eine «andersartige» Botschaft, eine Alternative zu dem, was die Welt verkündet, um die Sprache des Johannesbriefes zu verwenden.

Die Welt, der gesellschaftliche Mainstream, hat bestimmte Vorstellungen vom Glück, vom gelingenden Leben, vom lebenswerten Dasein. Jesus zeigt einen anderen Weg, der den Horizont weitet: Niemand ist abzuschreiben, nur weil er arm ist oder hungert oder trauert. Auch diese Menschen sind zu einem erfüllten Leben bestimmt und können diese Erfüllung erlangen. Mehr noch, sie haben diese Erfüllung bereits, denn sie ist ihnen, wie der ganzen Welt, geschenkt. Nur wollen nicht alle dieses Geschenk annehmen. Wer arm ist, wer hungert, wer trauert, wer sich einsam fühlt, der ist vielleicht empfänglicher für dieses Geschenk und deshalb selig zu nennen.

Gottes Geschenk

Der syrische Theologe und Bischof Philoxenos von Mabbug schrieb im 6. Jahrhundert: «Für Gott, diesen wunderbaren Geber, ist es schrecklich, dass wir seine Gaben nicht annehmen. Wenn er schenkt, dann dankt er uns, dass wir es annehmen: Wenn wir auf Gaben aus seinem reichen Schatz zugreifen, ist es für ihn, als würden wir diesem noch etwas hinzufügen.»

Jesus war empfänglich für das Geschenk der Liebe Gottes. Sein Leben war geprägt von seinem Selbstverständnis, ein Kind Gottes, sein geliebter Sohn zu sein. Dieses Geschenk der Liebe wurde zu seiner Botschaft, zum Evangelium. Diese Botschaft und letztlich sein ganzes Leben verdeutlichen uns, dass Gott der wahrhaft Heilige ist und damit der wahrhaft Schräge, weil Gott sich immer wieder für den Menschen entscheidet, trotz unseres Starrsinns, trotz unserer Gleichgültigkeit oder Ablehnung. Gott bleibt dem Menschen trotz allem treu. Ist das nicht schräg?

Unsere Berufung neu entdecken

Kommen wir zurück zu uns, Gemeinschaft der Heiligen.Wir haben es im ersten Johannesbrief gehört: «Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat: Wir heissen Kinder Gottes und wir sind es.» Und der Johannesbrief geht noch weiter und ist sich sicher, dass diese Gotteskindschaft eine Aussenwirkung hat, sichtbar wird: «Deshalb erkennt die Welt uns nicht». Schwestern und Brüder, jahrhundertelang waren wir Christinnen und Christen der Mainstream, die Normalität. Die anderen, die nicht zu uns gehörten, waren die schrägen Vögel. Jetzt ist eine andere Zeit angebrochen, in der es keineswegs selbstverständlich ist, zu dieser Gemeinschaft zu gehören. Vielleicht liegt darin eine Chance: Wir können unsere Schrägheit neu entdecken, unsere Berufung, mehr zu Gott zu gehören als zu dieser Welt, mehr zur Botschaft seiner unendlichen Liebe, als zur gesellschaftlichen Norm, die nur Gewinner und Erfolgsleute seligpreist.

Dadurch können wir einen neuen Zugang zur Heiligkeit für unsere Zeit entdecken. Dadurch können wir eine gute, gesunde, heilsame Alternative für unsere Gesellschaft sein.

 

Franziskanerkirche, 1. November 2024
Simone Parise

Nachlese Sonntag 26./27.10.24

Der Ruf des Bartimäus: Eine Einladung zum wahren Sehen

Eine Geschichte, die vielleicht hilft, das Evangelium des blinden Bartimäus mit einem frischen Blick zu verstehen, handelt von einem Mann, der eines Abends über eine belebte Strasse lief und auf der Suche nach etwas war. Die Passanten sahen ihn suchend umherblicken und einige boten ihre Hilfe an. „Was suchen Sie?“, fragten sie ihn neugierig. Der Mann schaute auf und sagte: „Ich habe meinen Schlüssel verloren.“ Sofort fingen einige an, mit ihm zu suchen, um ihm zu helfen. Nach einer Weile fragte einer: „Wo genau haben Sie ihn denn verloren?“ Der Mann zögerte einen Moment und gab dann schmunzelnd zu: „Oh, eigentlich drinnen, in meinem Haus – aber hier draussen ist das Licht besser.“

Die Suche am falschen Ort

Wie oft suchen wir nach Antworten und Lösungen an den falschen Stellen – dort, wo es „besser aussieht“, anstatt tief in uns selbst oder in unserem Glauben, wo wir tatsächlich finden könnten, was uns fehlt?

Die Kraft des beharrlichen Glaubens

Bartimäus zeigt uns, was es bedeutet, richtig zu suchen. Er sitzt am Wegrand und hat vielleicht nichts anderes als seinen Glauben. Er ruft laut nach Jesus, und obwohl die Menschen um ihn herum ihn zum Schweigen bringen wollen, lässt er sich nicht abbringen. Bartimäus ist beharrlich. Was sagt uns das? Vielleicht, dass Glauben manchmal genau diese Entschlossenheit braucht – auch gegen den Widerstand und das Gerede anderer, die glauben, es besser zu wissen.

Das Eingeständnis der eigenen Blindheit

Bartimäus erinnert daran, dass der erste Schritt zum Glauben das Anerkennen unserer eigenen Blindheit ist. Doch das ist nicht immer leicht, besonders in einer Welt, in der alles beleuchtet und zur Schau gestellt wird. Diese Blindheit, die uns oft hindert, das Wesentliche zu sehen, begegnet uns täglich: Wir übersehen Gottes Wirken im Alltäglichen, in den kleinen Dingen, in den Begegnungen mit unseren Mitmenschen. Vielleicht wäre ein erster Schritt, sich diese Blindheit einzugestehen und Jesus laut um „Sehen“ zu bitten – so wie Bartimäus.

Die Ehrlichkeit im Gebet

Die Geschichte fordert auch dazu auf, im Gebet ehrlich zu sein. Unser Beten besteht oft aus formalen Worten und Ritualen, die kaum unser wahres Inneres widerspiegeln. Doch Bartimäus ruft laut und frei heraus, was ihn bedrückt. Warum also nicht wagen, im Gebet auch zu schreien, zu klagen und mit Jesus offen und ehrlich zu sprechen? Manchmal braucht es dieses Vertrauen, dass Jesus uns hört und unser Leben heilen kann, wenn wir den Mut haben, es ihm anzuvertrauen.

Der Mut zum ersten Schritt

Schliesslich verlangt Jesus von Bartimäus einen entscheidenden Schritt: Aufstehen und eigenständig auf ihn zuzugehen. Es ist bemerkenswert, wie der blinde Bartimäus aufspringt, seinen Mantel wegwirft und sich zu Jesus durchkämpft – als hätte er schon "das Sehen" im Herzen. Auch uns lädt Jesus ein, Schritte im Glauben zu wagen, selbst wenn wir uns manchmal blind oder unsicher fühlen.

Eine Einladung zum aktiven Glauben

Die Geschichte von Bartimäus ist so viel mehr als eine Wundergeschichte. Sie ist eine Einladung, den Weg des Glaubens selbst aktiv zu gehen, mit offenen Augen und einem ehrlichen Herzen. So wie der Mann, der den Schlüssel drinnen verlor und draussen im Hellen suchte – vielleicht ist es Zeit, den Schlüssel für das eigene Leben dort zu suchen, wo Gott uns tatsächlich erwartet – in der Dunkelheit und Tiefe des Glaubens, wo wir vielleicht noch lernen müssen, wirklich hinzuschauen.

 

Ich schliesse diese Gedanken mit Worten von Heribert Arens. Sie sind aus seinem Buch "Gott, du bist so menschlich":

„Was ich 

in den Blindheiten 

meines Lebens brauche, ist Glaube: 

Glaube an mich selbst, 

dass noch Leben in mir ist, trotz allem; 

Glaube an meine Mitmenschen, 

dass noch Liebe in ihnen ist, trotz allem; 

Glaube an Gott, 

dass seine heilende Nähe mir Zukunft und Hoffnung 

schenken kann, 

trotz allem. 

Und Mut brauche ich, 

Mut zum ersten Schritt, auch wenn es noch 

ein Schritt im Dunkeln ist.“

Vielleicht führt uns dieser Mut, diesen Schritt zu gehen, heute ein Stück näher zu Gott – und zu dem Leben, das er uns schenken möchte.

Diese Ermutigung, zu glauben und zu vertrauen, mögen auch uns in die neue Woche begleiten.

Br. George

Nachlese

Evangelium Mk 10,17-30

DIE FRAGE ALLER FRAGEN

Jetzt hat der Mann sich ein Leben lang gemüht, hat doch alles erfüllt, hat alle Gebote gehalten und untadelig gelebt. Aber irgendetwas fehlt noch, was kann ich tun und was fehlt mir noch? Sag es mir! Vor Jesus steht ein suchender Mensch, einer, der um sein Seelenheil ringt.

Jesus umarmt ihn und gibt ihm Antwort. Traurig und betrübt geht der Mann weg. Am liebsten möchte man ihm nachlaufen und trösten.

Liebe Gottesdienstgemeinde!

Bei dieser Forderung Jesu alles zu verkaufen und zu verschenken hätte fast jeder von uns die Flinte ins Korn geworfen. Aber dieser Mann ist schließlich nicht jeder! Der Weg der Gebote, den dieser Mensch ein Leben lang gegangen ist, war gewiss kein Zuckerschlecken. Er hat sich Entbehrungen auferlegt noch und nöcher, hat jeden Fasttag gehalten, war immer in der Synagoge, hat jedes der unzähligen Gebote befolgt und sich keinen Ausrutscher geleistet, nie einen Schlag über die Stränge getan und sich keine Leichtsinnigkeiten erlaubt.

Und jetzt, da ihm nur noch ein einziges fehlt, da gibt er auf?

Es ist die Frage nach dem Sinn des Lebens. Den Mann treibt ein Gespür, dass das Leben sich trotz aller Leistung und Rechtschaffenheit irgendwie nicht richtig und nicht richtig glücklich anfühlt. Sag mir doch, was mir fehlt.

Ein Mensch heute käme wohl zu Jesus und würde sagen: Ich habe wirklich alles probiert: Ich verzichte auf das Fliegen und reise mit dem Zug, ich esse nur selten Fleisch, ich trenne meinen Müll; ich bete für mich und die grossen und kleinen Anliegen, ich versuche ein verträglicher Mensch zu sein und meide Streit und Unstimmigkeit – und trotz allem wird die Welt nicht besser. Was soll ich denn nur machen?

ETWAS FEHLT NOCH

Ich glaube nicht, dass der Mensch im Evangelium zu verliebt in seinen Besitz gewesen ist, um so kurz vor dem Ziel einen Rückzieher zu machen. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet dieser Mann, wegen der paar Hab-Seligkeiten die ewige Seligkeit aufs Spiel setzt. Vielmehr hat er zu ahnen begonnen, was Jesus von ihm verlangt:

Nehmen wir an, er wäre hingegangen und hätte sein ganzes Vermögen verkauft, er hätte es den Armen gegeben. Er wäre dann zu Jesus gegangen und hätte ihm gesagt: "So, das habe ich jetzt auch noch getan. Ist denn jetzt alles erledigt?"

Jesus hätte ihm darauf geantwortet: "Sehr schön, aber eines fehlt dir noch!" Und wenn er das auch noch getan hätte, dann wäre da sicher noch was anderes gewesen, und dann wieder etwas.

 

Nie wäre der Tag gekommen, an dem Jesus gesagt hätte: Ja, jetzt ist alles gut, jetzt hast du dir den Himmel verdient.

Das ist nämlich das Los von uns Menschen: dass wir unvollkommen sind, und - egal wie wir uns anstrengen - dass wir nie vollkommen werden und in einer unvollkommen, werdenden, sich wandelnden Welt leben.

WEGWEISENDE MENSCHEN

Das wird vor allem dann deutlich, wenn Sie Menschen anschauen, die es fast geschafft haben, die für unsere Begriffe ganz besondere Vorbilder sind - Menschen, die fast Übermenschliches in ihrem Leben geleistet haben, die großartig gelebt haben: Heilige etwa.

Wenn ich deren Lebensbeschreibungen lese, dann fällt fast durchgängig folgendes auf: Vor allem die, die in unseren Augen die Vollkommensten waren, haben ein immer größer werdendes Gespür dafür entwickelt, wie viel ihnen eigentlich noch fehlt.

In all ihrem Ringen um ein Leben in und mit Gott, haben sie erkannt, dass sie nie vollkommen werden würden.

 

Der Heilige Franziskus hat das Gebot Jesu wörtlich genommen, sich von allem Besitz distanziert und sich das Betteln auferlegt.

Dem Hl. Franz wird ein Gebet zu geschrieben, das beginnt: Mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens, also: lass mich werden.– nicht: Ich danke dir, Gott, dass du mich zum Werkzeug des Friedens gemacht hast, sondern: Mache mich, forme mich, gestalte mich nach deinem Bild.

Das Gebet des Hl. Bruder Klaus kennen sie:

Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir,

gib alles mir, was mich führet zu dir,

nimm mich mir und mach mich ganz zu eigen dir.

Und das betet der, der gar nichts mehr in dieser Welt für sich beansprucht.

Oder Theresia von Avila hat gebetet:

Nichts soll dich ängstigen,

nichts dich erschrecken.

Alles geht vorüber.

Gott allein bleibt derselbe.

Alles erreicht der Geduldige.

Und wer Gott hat, der hat alles.

Gott allein genügt.

UNVOLLKOMMEN

Was der Mann aus dem heutigen Evangelium im Sinn hatte, das war von Anfang an unsinnig. Er wollte alles aus eigener Vollkommenheit heraus bewerkstelligen und sich selbst durch eigene Anstrengung in das Himmelreich monövrieren. Er wollte sich das Recht auf einen Platz im Himmel verdienen. Das aber funktioniert nicht. Jesus macht dies klar. Der Mann hat Jesus verstanden und ging nachdenklich und beschämt weg. Es ist möglich, dass ist er später wiedergekommen ist und Jesus nachgefolgt ist. Es wäre ihm zu wünschen; denn wenn er Jesus verstanden hat, dann hat er das Leben, um das er sich ein Leben lang gemüht hat, wirklich gewonnen; dann hat er erkannt, dass er sich genau dieses Leben, das vollkommene, das ewige Leben, nicht verdienen kann.

Das unvergängliche Leben kann man sich von Gott aus unendlicher Liebe nur schenken lassen kann.

Das Reich Gottes können wir uns nicht erarbeiten. Das Geschenk Gottes können wir mit keiner Leistung und keinem Gut der Welt bezahlen.

Eugen Drewermann schreibt:

„Es wird nie eine Grenze unserer Angst geben, selbst wenn wir noch so reich sind. Es gibt in Wahrheit nur einen Weg, mit der ständigen Bedrohung unseres Daseins sinnvoll umzugehen. Der Weg besteht darin, unsere wesentliche Armut von Gott her zu akzeptieren und unsere Herzen weit zu machen für die relative Armut anderer. Das ist es, was Jesus möchte. Dabei kommt es dringend darauf an, all den Ballast über Bord zu werfen, wie man ein überfrachtetes Schiff erleichtert, das bei zu starkem Seegang ins Schlingern geraten ist. Das Schiff ist wichtiger als die Fracht und es hat einzig die Aufgabe, uns ans jenseitige Ufer zu bringen.“

So ermutigt uns Jesus, unser Leben zu vereinfachen, Ballast abzuwerfen um freier zu werden.– Ballast, das sind unsere Ängste und Habseligkeiten, unsere Sorgen um die Zukunft in einer apokalyptisch anmutenden Zeit.

Jesus schenkt uns die frohe Botschaft: Das Himmelreich musst du dir nicht erarbeiten. Das Himmelreich wird dir geschenkt.

BEDINGUNGSLOS GELIEBT

Nun bleibt trotzdem die Herausforderung an uns. Wir sind jetzt auch hier und stehen vor Jesus. Wir sind in diesen Augenblick hineinverwickelt und wir gehen nachher nach Hause.- Vielleicht auch beschämt wie der Mann im Evangelium, denn ich weiss jetzt schon, dass ich nicht meine Habseligkeiten wegwerfe wie der Heilige Franziskus. Ich muss mir selbst eingestehen, dass ich Jesus nicht gewachsen bin. Immerhin empfinde ich Dankbarkeit für mein Leben, die Annehmlichkeiten– angefangen von gesunden Lebensmitteln und klarem Wasser. Aber und das ist auch eine Erkenntnis: Besitz befreit von mancher Sorge. Aber wo liegt das Glück? Was fehlt? Was soll ich tun?

 

Der 15.Oktober ist der Namenstag der Hl. Theresia von Avila, die ich vorher schon einmal zitiert habe. Ein Gedanke von ihr führt mich auf die Fährte, das Glück nicht im Aussen zu suchen: Theresia von Avila sagt:

„Wenn ich gewusst hätte, dass Jesus in mir wohnt, hätte ich ihn nicht so lang allein gelassen.“

 

Wenn ich nachher nach Hause gehe, dann schaut Jesus mir nicht nach; dann verfolgen mich nicht mitleidsvolle Blicke, weil ich nicht zur radikalen Nachfolge Jesu tauge. Gemäss Theresia von Avila – und vielen anderen – geht Jesus mit mir, ist mir inniger als mein eigenes Selbst. Das ist doch schon einmal eine hoffnungsvolle Ausgangslage.

Gudrun Dötsch

Was ist der Mensch?

Predigt zum 27. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B

Einführung zu den Lesungen

Es gibt Bibeltexte, die unser Herz sofort berühren. Sie sprechen uns an, tragen eine Wahrheit und Relevanz in sich, als hätte sie gerade jemand für uns heute geschrieben. Es gibt aber auch biblische Texte, die uns fremd und unverständlich erscheinen. Unzugänglich für den heutigen Menschen, Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Vielleicht sind es Texte, die wir nicht wahrhaben wollen oder die uns aus persönlicher Betroffenheit sogar verletzen.

Allzu oft wird die Bibel benutzt, um Menschen zu diskriminieren. Gottes Wort wird so gegen seinen eigentlichen Sinn verwendet: gegen den Menschen statt für den Menschen. Wir hören heute biblische Texte, die immer wieder benutzt wurden und werden, um Menschen zu diskriminieren: Wegen ihrer Lebensform, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität. Wir hören von der Erschaffung des Menschen, wir hören einen Segensspruch für einen verheirateten Mann in einer traditionellen Familie, wir hören von Jesus, der die Scheidung verbietet.

Versuchen wir, uns auf diese Texte so neutral und offen wie möglich einzulassen, im Glauben, dass sie Gottes Wort für uns, für unsere Freiheit und für unser Glück sind.

Predigt

«Was ist der Mensch?» - Dieser philosophischen Grundfrage versuchen sich die ersten Kapitel der Bibel zu nähern. Durch märchenhafte und mythologische Erzählungen werden uns tiefe Wahrheiten über das Menschsein, über unser Wesen nahegebracht.

«Was ist der Mensch?» - Der heutige Ausschnitt aus dem zweiten Kapitel der Genesis (Genesis 2, 18-24) beschreibt den Menschen als Geschöpf Gottes. Als Geschöpf, das nur durch ein Gegenüber, durch die Beziehung zu anderen Menschen, ganz, eins werden kann. Beziehungen lassen uns aus uns selbst heraustreten. Wir überwinden die Egozentrik, die uns nur um uns selbst kreisen lässt. Im Gegenüber begegnen wir einem Du, das uns erst wirklich zu einem Ich werden lässt. In der Beziehung zu einem Gegenüber können wir etwas Göttliches erkennen. Denn Gott selbst offenbart sich in der Bibel als Gegenüber: Als Schöpfer, der den Menschen nach seinem Ebenbild erschafft und ihm auf Augenhöhe begegnet. Als Gott Abrahams, als Gott eines Volkes. Auch Jesus erfährt Gott als Gegenüber, als Vater. Und er lehrt uns, in dieser Gottesbeziehung zu leben.

«Was ist der Mensch?» - Der Psalm 128, den der Kantor heute gesungen hat, scheint eine klare Vorstellung davon zu haben, was der Mensch ist und wie sein Leben aussehen soll. Der Psalm preist den gottesfürchtigen Mann selig, der von seiner eigenen Arbeit leben kann und eine fruchtbare Frau hat, die ihm Kinder schenkt. Das Gute, das ihm widerfährt, so betont der Psalm, ist ein Geschenk Gottes, nicht einfach sein Verdienst. Natürlich kann sich ein solcher Mann glücklich schätzen, aber der Psalm erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Gesegnet sind gewiss nicht nur Männer, und als Geschenk Gottes dürfen wir gewiss nicht nur diese eine Lebensform betrachten. Wir alle können uns als Gesegnete und Beschenkte erfahren, auch wenn unser Leben anders aussieht als im Psalm besungen. Gottes Segen ist vielfältig und lässt sich nicht in unsere Glückskategorien, in unsere Vorstellungen vom guten Leben einordnen.

«Was ist der Mensch?» - Eigentlich ist die heutige Botschaft ziemlich klar: Der Mensch ist ein Beziehungswesen, das in der Beziehung zu seinen Mitmenschen den «Garten Eden», sein Glück findet. Aber wir verkomplizieren diese Botschaft. Wir leiten daraus Normen und Gesetze ab, konstruieren Ordnungen und Strukturen, die sicher gut gemeint sind, aber oft einengen, diskriminieren, ausgrenzen. Statt die biblischen Texte zu nutzen, um unseren Horizont zu erweitern und unser Herz zu öffnen, lesen wir sie so, dass wir nur das sehen, was wir sehen wollen. Was wir nicht verstehen und was uns deshalb verunsichert, vielleicht sogar Angst macht, blenden wir einfach aus. Oder noch schlimmer: Wir benutzen Gottes Wort, um es gegen Menschen auszulegen. Gegen Homosexuelle, gegen Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich mit einem Geschlecht zu identifizieren, gegen Menschen, deren Ehe gescheitert ist und die sich nach einem Neuanfang sehnen, gegen Menschen, die einfach nicht in unsere Vorstellungen von «Normalität» und «Natürlichkeit» passen. Dann machen wir unser Menschenwort zum Gotteswort und spielen Gott gegen den Menschen aus.

Das kritisiert Jesus im heutigen Evangelium (Markus 10, 2-16). Nach dem Gesetz des Mose konnte sich ein Mann von einer Frau scheiden lassen, indem er ihr eine Scheidungsurkunde ausstellte. Das war schon ein Fortschritt, denn immerhin hatte die Frau nun ein Dokument, das die Scheidung belegte. Aber auch dieses Gesetz war ein Männergesetz, das Frauen ungleich behandelte. Für Jesus war dieses Privileg der Männer ein Zugeständnis an die Unfähigkeit der Menschen, treue, aufrichtige Bindungen einzugehen: «Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben».

Für Jesus steht fest, dass dieses Gebot nicht Gottes Wille sein kann. Denn im Anfang, im Grunde sind die Menschen gleich geschaffen. Was also für die einen gilt, muss auch für die anderen gelten und umgekehrt. Die Lehre Jesu scheint keine Abstriche und Zugeständnisse zu tolerieren: Die Ehe ist unauflöslich. Dennoch dürfen wir auch seine Lehre nicht gegen die Menschen verwenden. Denn ich bezweifle, dass die befreiende Botschaft Jesu uns in unglücklichen, gescheiterten, vielleicht sogar ungesunden Beziehungen gefangen halten will. Sie will uns aber deutlich machen, dass unser Glück, unsere Erfüllung von der Aufrichtigkeit unserer Beziehungsbereitschaft zu unseren Gegenübern abhängt. Und sie will uns zeigen, dass wir auf unserer Suche nach Glück vorankommen, wenn wir im Grunde das Einende, nicht das Trennende suchen.

Die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen und aufeinander zugehen, wie wir uns öffnen und unsere Beziehungen leben, bestimmt wesentlich unser Menschsein. Und darin zeigt sich die Antwort auf die Frage, was und wer wir sind.

Franziskanerkirche, 5./6. Oktober 2024
Simone Parise

Nachlese

25.Sonntag im Jahreskreis: Der Schöpfung verantwortlich

Liebe Pfarreiangehörige, liebe Gäste!

Ich möchte mit einem Zitat aus dem Buch Kohelet 3,19 beginnen: Mensch und Tier sind gleiche Lebewesen:

«Denn jeder Mensch untrliegt dem Geschick, und auch die Tiere unterliegen dem Geschick. Sie haben ein und dasselbe Geschick. wie diese sterben, so sterben auch jene. Beide haben denselben Atem. Einen Vorteil des Menschen gegenüber dem Tier gibt es nicht. Beide sind Windhauch. Beide sind aus Staub entstanden, beide kehren zum Staub zurück.»

Der Mensch ist wie kein anderes Lebewesen fähig, sich neue Lebensräume zu erobern. Leben im Weltraum oder wie neuerdings zu lesen, von Unterseeinseln für Superreiche. Die Ausbreitung des Homo sapiens ging langsam. Jahrtausende war sein Erscheinen und der Einfluss auf den Planeten unproblematisch. Mitte das 20.Jahrhunderts begann, was die Erdsystem-Wissenschaftler die «Grosse Beschleunigung» nennen: exponentielles Wachstum der Erdbevölkerung, Wirtschaftswachstum, Industrialisierung, Mobilität und Produktionssteigerung. Man kann das als Triumph der Zivilisation über die Wildnis sehen. Wir sind ja froh und dankbar für den Fortschritt z.B. in der Medizin. Aber es ist auch eine Form der Unterwerfung und Ausbeutung. Auf drei Vögel in der Natur kommen sieben Hähnchen im Stall. Der Preis für das Wachstum ist ein ebenfalls exponentieller Anstieg des Bedarfs an Platz, Nahrung, Energien. Dem folgt eine Steigerung des Ausstosses von Methan, Stickoxyden und Ozon und Unmengen an Abfall. Für die anderen Arten, unsere Mit-Lebewesen, bedeutet das: anpassen, aussterben oder ausweichen. Aber wohin? Wir beobachten die grossen Säugetiere, die Korallenriffe, die Wale, die Eisbären, die Primaten-Brüder und Schwestern mit Sorge. Gifte, Verlust des Lebensraums und Klimakrise gehen an Kopf und Kragen.

Ein so komplexes Lebewesen wie der Mensch braucht eine sehr komplexe Natur und ein intaktes Ökosystem: Reines Wasser und saubere Luft, und die ganz winzigen Mitgeschöpfe: Bakterien in und unter der Haut, Pilze, ausgewogene Nahrung.

Artensterben, Klimakrise und Pandemien sind Geschwisterpaare. «Alles hängt mit allem zusammen.» - Wie recht hatte Alexander Humbold mit dieser Erkenntnis. Kahlschläge, Monokulturen und Massentierhaltung – sind Risikofaktoren. Die die Abwehr schwächen. In einer intakten und gesunden Umwelt gibt es genug Platz und Diversität. Die Keime, Pilze oder Viren müssen nicht auf den Menschen ausweichen.

Noch nie war das Wissen über die Welt so hoch. Aber die Natur ist so komplex, dass wir nur in Ansätzen verstehen. Es wäre eine gewisse Demut angesagt, ein Staunen, Ehrfurcht und Respekt - um diese alten Begriffe zu benutzen. Wenn ich etwas nicht weiss und die Folgen nicht absehen kann, die Schäden, die ich mir und vor allem anderen durch mein Handeln zufüge, müsste ich doch die Finger davon lassen. Unwissen eingestehen und die Arten in Ruhe lassen, nicht in der Tiefsee nach Gas und Erdöl bohren und in für uns ganz unbekannte Lebensräume eindringen, stören und möglicherweise zer-stören.

Seit 1950 haben wir die «Grosse Beschleunigung». Es geht um die Natur, die Mitwelt. Die Natur braucht den Menschen nicht. Aber der Mensch braucht die Natur um überleben zu können.

Und mir scheint, wir sind in einer zweiten grossen Beschleunigung. Klimawandel, Ozonloch über der Arktis, Begrenztheit der nicht erneuerbaren Energien, das wissen wir schon seit Jahrzehnten. Ich meine zu beobachten, dass nach der Corona-Krise die depressive Stimmung, das Leiden an der Vereinzelung, die Angst vor der nächsten Pandemie geblieben ist. In der Pandemie durften zweitweise nur 5 Personen am Grab stehen. Es ist objektiv festzustellen, dass die Zahl der Hochzeiten, der Taufen und auch der Beerdigungen zurückgeht. Die Religion verdunstet und damit auch die Unterbrüche durch die Festtage und Festzeiten. Das Jahr hat keine Höhepunkte mehr, die Lebenswenden werden nicht mehr öffentlich und gross gefeiert, eine Abdankung Beerdigungen hat keine kollektive Bedeutung mehr. Was ist los in unserer Gesellschaft? Welche Folgen hat es, wenn eine Kultur ihre Toten nicht mehr in einem gemeinsamen Ritual bestattet werden? Totenbestattung ist etwas Urmenschliches, denken wir nur einmal Grabhügeln der Kelten und Höhlengräbern und Pyramiden bei den Ägyptern. und dann sind die Kriege – manche weit weg und die Ukraine und Russland so nah. Eine verbreitet sich eine apokalyptische Endzeitstimmung besonders bei den jungen Leuten mittleren Alters, die sich überlegen, ob sie überhaupt Kinder in diese Welt setzen wollen.

Der Bauer und seine Frau aus der Lesung waren zu gierig. Sie waren nicht nur mit dem goldenen Ei zufrieden, sondern dachten, sie könnten die Gans ausschlachten. Ein Bild von Gier und nachher mit leeren Händen dastehen. Das ist ein Gleichnis für uns: Die Gier und die Ausbeutung führen letztendlich in den Bankrott. Leben und überleben können wir nur gemeinsam. Es reicht doch, wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind und wir Menschen das dankbar entgegennehmen und würdigen, was die Natur uns bietet. Eine heilsame Beschränkung, die uns befreit vom Druck und den Ansprüchen, die uns eingeflüstert werden, ist notwendig.

In guter Gesellschaft mit den Mystikern des Mittelalters, den grossen Namen wie Hildegard von Bingen, Meister Eckehard, Mechthild von Magdeburg ist Rose Ausländer mit ihrem Gedicht:

GEMEINSAM

Vergesset nicht
Freunde
wir reisen gemeinsam

besteigen Berge
pflücken Himbeeren
lassen uns tragen
von den vier Winden

Vergesset nicht
es ist unsre
gemeinsame Welt
die ungeteilte
ach die geteilte

die uns aufblühen läßt
die uns vernichtet
diese zerrissene
ungeteilte Erde
auf der wir
gemeinsam reisen

Gudrun Dötsch

Nachlese

Gleichheit vor Gott – Ohne Ansehen der Person Gandhis schmerzhafte Begegnung mit Diskriminierung

Stellen wir uns einmal Mahatma Gandhi vor, den grossen Helden Indiens, als jungen Mann in Südafrika. Er stieg in einen Zug ein, setzte sich in einen Waggon, der nur für Weisse reserviert war, und wurde ohne Zögern gewaltsam hinausgeworfen – nicht weil er etwas Unrechtes getan hatte, sondern weil er die "falsche Hautfarbe" hatte. Und das, obwohl er ein Ticket erster Klasse und angemessene Kleidung hatte. Dieser Moment prägte Gandhis Leben und seinen Kampf gegen Ungerechtigkeit.

 

Jahre später war Gandhi fasziniert von den Lehren Jesu. Der junge Mahatma Gandhi erwog zum Christentum zu konvertieren. Bewegt von den Evangelien, sah er darin eine mögliche Lösung für das Kastensystem in Indien. Voller Hoffnung betrat er eines Sonntags eine Kirche, um mit dem Pfarrer über den Weg zur Erlösung zu sprechen. Doch was geschah? Die Platzanweiser verweigerten ihm einen Sitzplatz und wiesen ihn an, mit "seinesgleichen" zu beten. Gandhi verliess die Kirche und kehrte nie zurück. "Wenn auch Christen Kastenunterschiede haben", sagte er, "dann kann ich ebenso gut ein Hindu bleiben."

 

Der Jakobusbrief: Ein Aufruf zur Gleichbehandlung

 

Was Gandhi erlebte, zeigt, dass Menschen oft nach Äusserlichkeiten beurteilt werden – nach Hautfarbe, Kleidung oder gesellschaftlichem Status. Diese Geschichte, die sich rund 1900 Jahre nach dem Jakobusbrief ereignete, erinnert uns an die Worte, die wir heute im Jakobusbrief hörten: "Haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus frei von jedem Ansehen der Person!" Jakobus stellt uns die Frage: Wenn ein Reicher und ein Armer in unsere Versammlung kommen – wie behandeln wir sie? Bekommen die Reichen den besten Platz, während die Armen an den Rand gedrängt werden? Es ist eine Herausforderung, die Jakobus an uns richtet: Behandeln wir alle Menschen gleich? Oder lassen wir uns von Äusserlichkeiten beeinflussen?

 

Diese Art von Diskriminierung kennen wir nicht nur aus fernen Ländern und vergangenen Zeiten – auch hier bei uns, in unseren Kirchen und Gemeinschaften, hat es solche Unterschiede gegeben. Glauben die jetzige Generation oder die Kinder und Jugendlichen, wenn wir sagen würden, dass früher Männer und Frauen auf verschiedenen Seiten der Kirche sassen? Stimmt's nicht? Ich erinnere mich gut an meine eigene Kindheit in Indien: In unserer Kirche gab es Sitzplätze nur für wohlhabende und angesehene Familien, mit Familiennamen auf den Kniebänken eingraviert. Wir, die weniger privilegiert waren, mussten auf dem Boden sitzen. Erst vor wenigen Jahren wurde dieses diskriminierende System abgeschafft. Diese Praxis hat sich zum Glück geändert. Heute dürfen alle auf den Bänken sitzen, ohne Ansehen der Person. Aber es zeigt, wie tief solche Traditionen verwurzelt sein können – sogar 2000 Jahre nach der Zeit Jesu.

 

Jesus' heilende Berührung: Überwindung von Ausgrenzung

 

Diese Botschaft wird im Evangelium verstärkt: Jesus heilt einen taubstummen Mann, jemanden, der am Rand der Gesellschaft stand. Er nimmt ihn beiseite, berührt ihn und spricht das befreiende Wort: "Effata!", "Öffne dich!" Jesus kümmert sich nicht um den sozialen Status dieses Mannes. Es ist bemerkenswert, dass dieser Mann kein Jude war, sondern ein Heide, ein Fremder. Doch für Jesus spielt das keine Rolle.

 

Anders als bei Gandhi erlebt dieser taubstumme Mann keine Ausgrenzung und Ablehnung. Jesus wendet sich gerade denen zu, die schwach und verletzt sind, und schenkt ihnen Heilung und Würde.

 

Unser Auftrag: Freundschaft und Einheit statt Trennung

 

Als Priester bin ich oft mit der Ungleichheit in unserer Gesellschaft konfrontiert, und meist zu meinem Vorteil. Auch wir tragen manchmal unbewusst oder bewusst zur Diskriminierung bei, indem wir Begriffe wie 'hochwürdig', 'ehrwürdig', 'auserwählt' und 'hochgeschätzt' verwenden, die Unterschiede zwischen uns schaffen. Doch es birgt auch die Gefahr, dass wir, bewusst oder unbewusst, diese Unterschiede betonen und dadurch Hierarchien aufrechterhalten, die den Kern des Evangeliums, nämlich die Gleichheit aller Menschen vor Gott, verzerren.

 

Doch für uns Christen sollte klar sein: Unter uns gibt es keine "hochwürdigen", "ehrwürdigen" oder "hochgeschätzten" Personen. Wir sind alle gleich.

 

In der Taufe sind wir alle eins in Christus. Wie Paulus im Brief an die Galater sagt: "Es gibt nicht mehr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen; denn ihr alle seid eins in Christus Jesus." Diese Worte sollten uns jeden Tag daran erinnern, wie wir miteinander umgehen. Wenn wir als Menschen, die in Christus getauft wurden, Favoriten haben sollen, dann sollen es die Stimmlosen, die Bedrängten, die Verletzlichen und die Schwachen sein.

 

Gleichheit in Christus: Der Weg von Fremden zu Freunden

 

Es scheint unmöglich, zu leben und zu glauben, dass alle Menschen wirklich gleich sind. Wir würden sofort behaupten, dass dies nicht machbar sei, weil wir in unseren Gedanken und durch unsere Erziehung darauf programmiert oder trainiert wurden, diese Gleichheit infrage zu stellen. Doch wenn wir auf das schauen, was Jesus gelebt und uns vorgelebt hat, wird deutlich: Es ist möglich, nach diesen Werten zu leben – wir müssen nur bereit sein, diesen Weg zu gehen.

 

Damit aus Fremden Freunde werden

 

Lasst uns nun das Lied singen, das diese Botschaft zusammenfasst.

Damit aus Fremden Freunde werden, kommst du als Mensch in unsre Zeit: Du gehst den Weg durch Leid und Armut, damit die Botschaft uns erreicht.

Damit aus Fremden Freunde werden, gehst du als Bruder durch das Land, begegnest uns in allen Rassen und machst die Menschlichkeit bekannt.

Damit aus Fremden Freunde werden, lebst du die Liebe bis zum Tod. Du zeigst den neuen Weg des Friedens, das sei uns Auftrag und Gebot.

Damit aus Fremden Freunde werden, schenkst du uns Lebensglück und Brot: Du willst damit den Menschen helfen, retten aus aller Hungersnot.

Damit aus Fremden Freunde werden, vertraust du uns die Schöpfung an; du formst den Menschen dir zum Bilde, mit dir er sie bewahren kann.

Damit aus Fremden Freunde werden, gibst du uns deinen Heilgen Geist, der, trotz der vielen Völker Grenzen, den Weg zur Einigkeit uns weist.


Br. George

Nachlese

Glaubwürdig christlich leben – Was bedeutet das?

Liebe Gottesdienstgemeinde,

die Pharisäer und die Schriftgelehrten im alten Israel wachten darüber, dass die Menschen möglichst rein vor Gott standen. Aber wie wir gehört haben, ging Jesus offenbar mit den religiösen Vorschriften und Reinheitsgeboten recht locker um. Seine Jüngerinnen und Jünger wuschen sich vor dem Essen nicht konsequent die Hände. Und wir erinnern uns: auch am Sabbat hielten sie sich nur bedingt an die Tradition.

 

Die Schriftgelehrten und die Pharisäer kommen in der Bibel meistens nicht so gut weg. Sie gelten als stur und rückwärtsgewandt.

Aber ich glaube, die Bibel tut ihnen teilweise auch unrecht. Es ging ihnen, so denke ich, letztlich auch um Glaubwürdigkeit. Wie wichtig die Frage der Glaubwürdigkeit heute geworden ist, vor allem im Bereich der Religion, das muss ich hier nicht erläutern.

 

Darum nochmals die Frage: Haben die Pharisäer wirklich völlig unrecht, wenn sie der Auffassung sind, dass der Glaube eines Menschen, wenn er denn wirklich echt ist, auch spürbar werden muss? Ja sogar sichtbar?  In Wort und Tat?

Dass ein gläubiger Mensch auch glaubwürdig sein sollte?

 

Ja, selbstverständlich, würde wohl auch Jesus sagen. Der Glaube hat ja mit dem Leben zu tun, er ist eingebunden in dein Leben. Aber, so hören wir im Text, dein Glaube soll nicht so sein, dass er an kleinen Gesetzlichkeiten hängt. Nicht umsonst zitiert Jesus an dieser Stelle den Propheten Jesaja:

„Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen,
ihr Herz aber hält sich fern von mir.“

Frei übersetzt könnte das heissen: der Glaube hängt nicht an äusseren Dingen, nicht an Ritualen, die man vollzieht, nur damit sie vollzogen sind, nicht an Gebeten, die gesprochen werden müssen, nur damit sie gesprochen sind.
„Mit dem Herzen Gott ehren“. Der Glaube lebt aus einer inneren Haltung heraus.

 

Ist der Glaube also eine Sache des Herzens? Es scheint jedoch so, dass Jesus uns auch vor dieser Sicht zuerst einmal warnt. Wie wenn er sagen wollte: Vorsicht, das Herz des Menschen ist nicht einfach gut. „Er sprach: Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein. Denn aus dem Inneren, aus dem Herzen des Menschen, kommen die bösen Gedanken“ (Mk, 7,20f.).

Wie wenn Jesus sagen wollte: Täusche dich nicht über die dich selbst. Der Glaube macht dich nicht zu einem besseren Menschen. Nein, damit kannst Du Dich nicht brüsten.

 

Mir scheint fast, als wollte uns Jesus im heutigen Evangelium vor Illusionen warnen. Wie wenn er sagen wollte: Wenn ihr einen Weg sucht, vor Gott zu bestehen, dann müsst ihr nicht zu mir kommen. Eine Religion, die vor Gott bestehen will, wird immer zu einer unmenschlichen gesetzlichen Religion werden.
Menschliches Leben ist immer unvollkommen, widersprüchlich, uneindeutig. Ich lehre euch einen anderen Weg. Ich lehre euch den Weg, dass Gott nicht von euch verlangt, vor ihm zu bestehen. Gott ist Liebe. In der Liebe muss niemand vor dem anderen bestehen. Ich lehre euch den Weg des Vertrauens, der Gnade, der Vergebung, der Versöhnung. So höre ich das Evangelium Jesu.

 

Liebe Mitfeiernde, gibt es ein Christsein, das glaubwürdig ist? Gibt es ein glaubwürdiges Christsein als unvollkommener Mensch? Eine schwierige Frage. Und eigentlich müssten wir miteinander ins Gespräch kommen. Ich versuche zum Abschluss dieser Predigt eine Spur zu legen.

 

Von den vielen Menschen, denen in der Geschichte der Kirche Glaubwürdigkeit zugesprochen wird, ist Dietrich Bonhoeffer einer von ihnen. Er war evangelischer Theologe und Pfarrer, hat sich im Widerstand gegen die Nazis engagiert und wurde zwei Monate vor Ende des Krieges im KZ Flossenbürg ermordet. Von ihm stammen die bekannten Worte:
„Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz bestimmt an jedem neuen Tag.“

 

Ich glaube, seine Glaubwürdigkeit liegt darin, dass er nichts anderes getan hat, als sich und sein Leben ganz in die Hand von Gott zu legen. Ganz in die Hand von Jesus Christus. Und aus dieser Haltung heraus, seinen Weg gegangen ist. Mit vielen Zweifeln, mit vielem Fragen, ob es wohl der richtige Weg sei. Er hat mit sich gerungen, er war unsicher, er hat gebetet, und hat dann doch in all dem in aller Klarheit geschrieben und gehandelt. Zusammen mit vielen anderen Christinnen und Christen hat er in Zeiten der Unmenschlichkeit ein Zeugnis von Humanität gelebt. Und vor allem hat er uns gezeigt, welche Kraft im Vertrauen auf Gott liegen kann.

 

Ja, wir müssen vor Gott nicht bestehen. Aber im Glauben dürfen wir unser Leben ganz in die Hand von Gott legen, in die Hand der Liebe. Und dann einfach das tun, was das Leben von uns fordert. Jeden Tag, in aller Unvollkommenheit und in aller Vorläufigkeit. Darin können uns Menschen wie Dietrich Bonhoeffer und andere Vorbilder sein. In dieser Grundhaltung können wir die Frage, ob unser Leben nun glaubwürdig ist oder nicht, ruhig vergessen. Die Glaubwürdigkeit – sie wird uns von Gott zugesprochen, um Jesu Christi willen.

 

In einem Kirchenlied stehen die Worte:

Es ist das Heil uns kommen her
von Gnad und lauter Güte;
…..
Der Glaub sieht Jesus Christus an,
der hat für uns genug getan,
er ist der Mittler worden.   

Predigt von Markus Sahli, Theologischer Mitarbeiter   

Nachlese

21. Sonntag 24./25.08.24

Evangelium Joh 6,60-69

Die Worte aus dem Evangelium sind der Abschluss der Brotrede, die uns an den letzten Sonntagen vorgetragen wurde. Jetzt ist alles gesagt und eine Entscheidung ist gefordert.

 

Keiner kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist, hat Jesus vorausgeschickt. Das heisst, der Glaube ist nicht verfügbar, sondern hat Geschenkcharakter. Glaube wird vom Vater geschenkt.

Petrus antwortet, so wie wir ihn kennen, in seiner selbstbewussten Art. Er spricht dann auch gleich in der Wir-Form für die anderen mit: Wohin sollen wir gehen? Ist doch klar: Du hast die Worte des ewigen Lebens. Wir glauben und haben erkannt: Du bist der heilige Gottes.

 

Wir haben dich erkannt. Ist das ein Ergebnis von Anstrengung, geistlichen Übungen, Gebet? Religion bedeutet, mich rückbinden an eine höhere Macht, an Gott. Als Christen können wir mit unserem Gott in einen Dialog treten. Gibt er Antwort? Oft nicht, manchmal schon. Dieses intensive Erfahren Gottes als Gegenüber sind Sternstunden des Glaubens.

 

Mit dem Glauben ist es wie mit Sport und Musik. Kunstfertigkeit kommt von Können und jahrelangem Üben und Trainieren. trotzdem schaffte es nicht jeder oder jede zum Spitzensportler, wird nicht Primaballerina und nicht jede bringt es zur Meisterschaft auf dem Instrument. Faktoren wir Begabung, Gene, Affinität spielen eine grosse Rolle. Das ist in der Religion ähnlich. Es Menschen, die oft sogar von klein für religiöse Themen und Atmosphäre besonders empfänglich sind, andere weniger. Das ist vielleicht das, was Jesus meint, wenn er sagt, es muss vom Vater gegeben sein. 

 

Glaube ist an ehesten mit einer Freundschaft zu vergleichen: Es gibt Menschen, die kennen sich von klein auf und es braucht keine Anwärmphase beim Wiedersehen, kein Geplänkel über das Wetter u.a. Allgemeinheiten.

 

Es gibt Freundschaften, die über Jahre gewachsen sind. Vertrauen wurde aufgebaut und hat manchen Sturm überstanden. Die Beziehung ist gereift durch die lange Dauer, getragen von gegenseitiger Zuneigung und Interesse.

 

Dann gibt es die Liebe auf den ersten Blick – ob man der trauen sollte, sei jetzt einmal dahingestellt. Ich nehme es hier als Vergleich, dass es Menschen gibt, die wie vom Blitz getroffen werden und Gott spüren wie die Sonne, die blendet.

 

Es gibt also verschiedene Zugänge zum Glauben. Und dann gibt es noch die, die sich sehr um eine Freundschaft bemüht haben, aber enttäuscht wurden und deren Entgegenkommen ohne Resonanz geblieben ist.

 

Ihnen geht es wie den Eifrigen, den Frommen, den Guten, den Hilfsbereiten, die in der Beziehung zu Gott das Feuer der Liebe nie gespürt haben, denen es noch nie das Herz gefüllt hat und die keinen Moment dieser innigen Verbundenheit gespürt haben – dieses Einssein mit allem, mit der ganzen Schöpfung, diesen Moment der Glückseligkeit noch nie erlebt haben trotz aller Anstrengung und gutem Willen.

Erkennen bleibt ein Geschenk.

Glaube eine Gabe.

 

Wir sind zum Glauben gekommen, hält Petrus bestimmend fest. Wohin sollen wir sonst gehen? Für Petrus ist die Antwort klar und alternativlos. Andere zogen sich zurück und gingen nicht mehr mit ihm, heisst es in Vers 66.

 

Wir hier sind wohl durch einen langen Prozess der Erziehung und Einübung zum Glauben gekommen. Es braucht eine klare Entscheidung. Die verlorene Glaubwürdigkeit der Kirche als Institution hat viele verschlissen und hinausgetrieben. Im Evangelium geht es um eine andere Frage, die Jesus selbst stellt: Glaubst du? Vertraust du? Meinst du, dass was du brauchst auch woanders finden zu können?

Wo stehen wir bei diesen Überlegungen? Auch von uns wird eine Entscheidung verlangt. Nehmen auch wir Anstoss? Wenden auch wir uns ab? Jesus fragt auch uns: Wollt auch ihr gehen?

Welche Antwort geben wir ihm auf seine Frage?

 

Einen Zugang zur Antwort auf diese Frage gibt eine Eremitin unserer Tage, Sr. Gertrudis Schinle. Nach langer Meditation über diese Bibelstelle schreibt sie: „Jesus lässt seine Zuhörer einen Blick werfen in den Abgrund seiner Liebe und kaum jemand kann ihn verstehen?“ Die nachdenkliche Schwester lenkt zu Recht den Blick darauf, dass Jesus die persönliche Beziehung zu den Menschen sucht. Jesus weiss sich als den Gesandten der göttlichen Liebe. Und als Sohn Gottes steht er da und wagt es, den Menschen sein Innerstes zu zeigen. Er bietet sich an als Brot des Lebens, eine Innigkeit und Verbindung, die durch nichts übertroffen werden kann.

Viele Menschen unserer Tage tun sich schwer mit diesen Worten. Für viele ist Jesus zwar ein beeindruckender Mensch, edel, hilfreich und gut aber nicht mehr.

Aber er ist mehr. Er ist der Sohn Gottes. Und diese Tatsache bleibt bis heute ein Ärgernis, ein Stein des Anstosses. Jesus ist nicht nur eine schöne Episode der Vergangenheit, eine museale Erinnerung. In ihm hat die Liebe Gottes zu uns Menschen Gestalt angenommen und das Angebot seiner Liebe gilt uns heute immer noch.

 

Diese Botschaft ist auch für Menschen unserer Tage immer noch schwer aufzunehmen. Wozu brauchen wir Gott?, fragen viele. Und doch ist er es, der das Leben schenkt und zwar ein Leben, das den Tod durchbricht, ein Leben ohne Ende. Hier verläuft schon zur Zeit Jesu die Unterscheidungslinie und hier verläuft sie heute immer noch. Wir können uns Jesus nicht zurechtzimmern, wie wir ihn brauchen, als bloße Verzierung für gefühlvolle Stunden. Jesus versteht seine Worte als „Geist und Leben". Und sie sind auch heute noch Wahrheit und Maßstab für unser Leben.

 

Es geht um ein ja oder nein. Die Kirche ist ein dynamischer Kraftort, eine lebendige Zelle. Sie bezieht ihre Kraft aus Christus und dem heiligen Geist. Kirche ist nicht Schwarz und weiss, sondern hat Platz für alle, die nicht Nein sagen:

Für die innerlich erfüllten, die von der Kirchenleitung enttäuschten, die trotz aller Anstrengungen Leergebliebenen, die von klein auf Vertrauten, die spirituell Suchenden, kurz für die Menschen Guten Willens, für die, die wissen, dass es etwas Grösseres und Umfassenderes gibt als das kleinen eigene Ich. Es sind alle die, die von Frieden und Gerechtigkeit träumen in dem Wissen, dass auch diese Visionen ein Relikt aus dem Himmel sind, die wir Menschen in uns tragen als Ebenbilder Gottes. Leider vergessen wir zu oft, dass wir himmlischer Wesen sind, verlaufen und verzetteln uns. Dabei ist klar, dass nur über den Weg zu Gott Wahrheit, Vergebung und Friede zu finden sind. Wir Menschen sind dazu aus eigner Anstrengung allein nicht fähig.

 

Henri de Lubac, französischer Theologe und Jesuit, gestorben 1991 schrieb: «Das Geheimnis Gottes ist schwer zu verstehen und zu glauben. Das Geheimnis Christi ist noch schwerer zu glauben und zu verstehen. Das Geheimnis der Kirche ist am allerschwersten zu verstehen und zu glauben. Das Geheimnis Gottes ist Stein des Anstosses für Heiden und Atheisten. Das Geheimnis Christi ist stein des Abstosses für Juden und Muslime. Das Geheimnis der Kirche ist Stein des Anstosses für viele Christen. der Grund: Das Geheimnis Christi- Menschwerdung und Erlösung durch Kreuz und Auferstehung- ist noch ganz auf der Seite Gottes. Das Geheimnis der Kirche ist schon ganz auf der menschlichen Seite.» (Catholicisme, S.48).

 

Schwer zu verstehen und schwer mit menschlichem Fehlverhalten belastet ist unsere Kirche als weltlich verfasste Gemeinschaft. Aber wer soll die Botschaft weitersagen? Zu wem sollen wir gehen? Wo sollen wir Heimat finden? Was soll aus der Kirche werden, wenn wir mut- und hoffnungslos aufgeben und weggehen, wenn wir uns aus der Verantwortung stehlen, wenn wir nur von aussen zusehen?

Wollt auch ihr gehen? – fragt Jesus.

Gudrun Dötsch

 

Nachlese

15.8.2024 Predigt zu Lk 1,39-56

Liebe Gottesdienstgemeinschaft!

Im Evangelium dieses Festtages hörten wir das Magnificat Marias,

ihren grossen Lobgesang auf Gott unseren Retter.

Gott hat Maria erhöht. Sie hat in Elisabeth einen Menschen gefunden, der sie in schwierigster Lebenslage unterstützte: Elisabeth nahm Maria bei sich auf, sie durfte mehrere Monate bleiben, sie schenkte Maria ein offenes Ohr, Verständnis, Wohlwollen, herzliche Freundschaft – alles, was Not tat, um Marias Not zu lindern.

Aus dem einfachen Mädchen aus Nazareth wurde die Mutter Gottes

und die Mutter aller Glaubenden.

So wie Gott Maria im Glauben gross und stark gemacht hat, so will Gott auch uns stärken.

Wir sollen heil und gesund sein an Leib und an Seele.

 

Da am heutigen Festtag Kräuter gesegnet werden,

habe ich aus der Natur, der Apotheke Gottes

einige Heilkräuter für Sie ausgesucht.

(Einige gehören auch zu den 13 Kräutern,

die für die Ricola-Bonbons verwendet werden.)

Wir hören jeweils, welche heilende Wirkung sie haben.

 

Auch unsere Pfarrei, unsere Kirche, kennt - Gott sei Dank - einige Heilpflanzen in ihrem Garten.

Das sind oft bescheidene aber trotzdem wichtige

Frauen und Männer, Junge oder Alte,

die ebenfalls in ihrem sozialen Umfeld

eine heilsame Wirkung entfalten.

 

Es kann also sein,

dass Sie sich gleich persönlich angesprochen fühlen.

Das ist gut und richtig so.

 

1.Baldrian: ist ein rein pflanzliches Beruhigungsmittel;

hilft beim Einschlafen.

Wir danken all denen,

von denen eine beruhigende Wirkung ausgeht;

die uns durch ihre innere Ruhe und ihren Humor

die Hektik und Angst vor der Zukunft mildern.

 

2.Schafgarbe: ist ein altbekanntes Hausmittel

z.B. bei Appetitlosigkeit.

Viele Menschen haben heute keinen Appetit mehr

auf Kirche und Glauben.

Wir danken all denen in unserer Pfarrei und unserer Kirche

die trotzdem versuchen,

andere für Gott und für Jesus zu begeistern und den Mut haben, über den Glauben ins Gespräch zu kommen.

 

3.Thymian:

wird auch äusserlich verwendet als Kräuterkissen

und hilft gegen Schwellungen und Quetschungen.

In vielen Diskussionen laden andere

heute oft ihren Frust über die Kirche bei uns ab.

Wir danken all denen,

die trotzdem heute treu zu ihrem Glauben stehen.

 

4.Pfefferminze: Ihr Öl hält die Atemwege frei.

Wir danken all denen in unserer Pfarrei,

die uns helfen, durchzuatmen und dran zu bleiben.

Sie halten die Atemwege unserer Pfarreiangehörigen frei,

weil sie uns aufatmen lassen,

und die Motivation und die Freude frisch behalten.

 

5.Salbei: hat auch eine schweisshemmende Wirkung.

Die Frage nach der Zukunft unserer Kirche

kann uns heute schon mal

den Schweiss auf die Stirn treten lassen.

Wir danken all denen in unserer Pfarrei und unserer Kirche

die sich trotz allem bemühen,

ihren Alltag aus dem Glauben heraus zu gestalten.

 

6.Holunder: ist reich an Vitamin C

und damit ein gutes Mittel gegen Grippe u. Erkältungen.

Wir danken all denen in unserer Pfarrei,

die uns durch ihr aktives Mitwirken und ihre Anregungen

immer wieder Mut machen

und so unsere Pfarrei

vor seelischen Tiefs und Erkältungen bewahren.

 

7.Kamille: ein beliebtes Hausmittel als Tee

sowie für Umschläge oder Bäder;

wirkt desinfizierend und fördert die Wundheilung.

In den Medien erleben wir heute häufig,

wie schlecht über die Kirche gesprochen wird.

Wir danken all denen,

die trotzdem regelmässig den Gottesdienst besuchen

und die anderen stellvertretend in ihr Gebet einbeziehen.

 

8.Mistel: kräftigt das Herz und stärkt die Immunabwehr.

Eine Kirchgemeinde steht heute in der Gefahr,

durch ein Überangebot an Aktivitäten und Angeboten auszutrocknen.

Es fehlt vielen die Zeit, sich freiwillig in Vereinen und Gruppen zu engagieren.

Wir danken all denen in unserer Pfarrei,

die sich freiwillig in einer Gruppe

und für eine Aufgabe engagieren

und so zu einem aktiven Pfarreileben beitragen.

 

9.Melisse: beruhigt die Nerven

und mildert nervöse Magen- oder Darmbeschwerden.

Wir danken all denen in unserer Pfarrei,

die in den verschiedenen Räten und Gremien mitmachen

und dort durch ihre Ruhe und Besonnenheit

an der Zukunft unserer Kirche mitzugestalten.

 

10.Brennessel: fördert die Durchblutung

und hilft bei Rheuma, Hexenschuss oder Ischias.

Wir danken all denen,

die konstruktive Kritik äussern.

Das ist manchmal schmerzhaft,

bringt aber auch frischen Wind in unsere Pfarrei und unsere Kirche

und hält sie so gesund und beweglich.

 

11.Johanniskraut: wirkt gemütsaufhellend und hilft

bei leichten depressiven Verstimmungen und Angst.

In unserer Gesellschaft leiden heute

viele Junge und Alte unter Einsamkeit,

Traurigkeit der Seele oder Zukunftsangst.

Wir danken all denen in unserer Pfarrei,

die durch ihr Lachen, ihre Frohnatur und ihre Geduld

so manche Seelenangst vertreiben können.

 

Liebe Gottesdienst-Feiernde

 

Sie haben gesehen,

welche Fülle und welchen Reichtum an Heilpflanzen

wir im Garten unserer Pfarrei haben.

Dafür dürfen wir von Herzen dankbar sein.

Es ist wichtig, dass wir diese Gaben und Talente

in unserer Pfarreigemeinschaft sehen

und entsprechend würdigen.

 

Stellvertretend für die vielen Männer u. Frauen,

jungen u. alten Menschen,

die in ihrem Umfeld ihre heilende Wirkung entfalten,

wollen wir jetzt diese Blumen und Kräuter segnen:

 

Kräutersegen

Du Gott des Lebens,

Jahr für Jahr bringt die Erde

in einer bunten Vielfalt Gras und Kräuter hervor.

Die Farben der Blumen und ihr Duft erfreuen uns.

Die unzähligen Pflanzen und ihre Samen

schenken uns Nahrung und Leben.

Vielen Kräutern hast du eine besondere Kraft gegeben,

die uns Heilung bringt

bei verschiedensten Krankheiten u. Beschwerden.

Wir danken dir und preisen dich,

dass du die Erde so wunderbar geschaffen hast!

Wir bitten dich:

 

Segne uns und diese Kräuter und Blumen +

 

Lass ihre natürliche Kraft ergänzt werden

durch die Kraft deines Hl. Geistes,

damit wir erfrischt, belebt u. geheilt werden,

wenn wir sie in Dankbarkeit

und im Vertrauen auf dich anwenden.

Darum bitten wir durch Christus, …

Gudrun Dötsch

Nachlese

Evangelium und Predigt zu Mk 6, 7-13  

 Liebe Gottesdienstgemeinschaft

In jedem Urlaub, auch auf kleineren Reisen mache ich die Erfahrung: Ich reise meistens mit zu viel Gepäck. Unnötige viele Kleider, der Luxus des Überflüssigen. Wir stopfen unsere Reisetaschen; Koffer und Handgepäck voll mit einer gewichtigen Überlebensausrüstung, als ginge es auf eine „ungeheure Reise“ (Kafka). Wir sind besorgt, was alles passieren könnte und versuchen uns für alle Fälle zu rüsten. Das ist paradox, wollen wir doch gerade im Urlaub entlastet und unbesorgter leben. Doch deckt sich der unendlich besorgte Reisende ein mit Mittelchen gegen Rotweinflecken, Insektenstiche und andere unangenehmen Eventualitäten. Freilich wird die Einpackwut gestoppt: Man muss sich zurückhalten, weil der begrenzte Kofferraum und das maximal zugelassene Gepäckgewicht im Flugzeug zu kluger Beschränkung zwingen. Und doch geht uns in der Urlaubszeit auf: Der Mensch ohne Gepäck ist undenkbar.

 „Mit Sack und Pack“ ist der „homo viator“ unterwegs durchs Leben. Mühselig und beladen. Er hat die Hände nicht frei. Fuß- und Fahrradpilger müssen sich genau überlegen, was unverzichtbar und was entbehrlicher Schnickschnack ist, der nur belastet und bremst. Jedes Gramm zählt!

Ich habe die Angewohnheit meiner Grossmutter übernommen, eigentlich nie ohne ein Stück Brot oder ein Stück Schokolade in der Handtasche auf Fahrt zu gehen.  Das macht keinen Sinn und es gibt keine Not wie in Kriegszeiten, die meine Grossmutter überlebt hat.  Ich weiss doch, dass alle 30 Km eine Autobahnraststätte kommt, die alles nur Erdenkliche im Angebot hat. Was also steckt dahinter?

 

Ab und zu sollten wir uns eine Konzentrationsübung erlauben und nachsehen, was drin steckt in unseren „Lebensbehältnissen“. Was zählt zum Lebensnotwendigen? Was muss ich loslassen, um entlastet zu werden? Was schleppe ich mit, ohne es je zu brauchen und zu vermissen? Bin ich innerlich noch beweglich? Was möchte ich zu meinem „Seelenheil“ mitführen?

Die hypothetische Frage: Ich dürfte in den Himmel einen Gegenstand mitnehmen – was wäre das? Bei den Kindern vielleicht das Kuscheltier, bei den Erwachsenen vielleicht ein Familienbild, ein Liebesbrief…

 

Jesus schickt die Jünger ohne „Vorratstasche“ (Mk 6,8) paarweise auf Reise. Er, der sendet, geht selbst mit leichtem Gepäck durch die Welt Palästinas.

 

Noch machen die Jünger keine Weltreise, noch werden sie nach ihren kurzen Missionswegen zu Jesus zurückkehren. Dann dürfen sie in seiner Nähe ausruhen, werden bei ihm gleichsam „Urlaub“ machen. Noch sind es eher „Probeläufe“, Ausflüge in den Nahbereich. Und doch sind es Wege in Neuland, Abenteuerreisen ins Ungewisse – in die Dörfer, die von Jesus noch nicht besucht wurden. Die Zwölf ähneln Bettelmönchen. Hatten sie Reserven für den Rückweg? Kann man sich so blicken lassen – so angewiesen auf fremde Hilfe? Ohne Rucksack und Beutel, ohne gut profiliertes Schuhwerk, ohne Waffen, ohne den berühmten Notgroschen? Und wie riechen Apostel, die kein zweites Hemd dabeihaben? Die Jünger sind keine hygienisch einwandfreien „Saubermänner“ und „Dressmen“, es sind sehr wehrlose Reisende: schwitzend, bettelnd um Gastfreundschaft, mit leeren Händen und Mägen, barfüßig vielleicht.

Diese Männer mit ihrem seltsamen Outfit haben eine seltsame Ausrüstung im Gepäck: eine unaufdringliche Botschaft, einen Gruß als Mitbringsel: „Frieden!“ Sie werden als Gastgeschenke Berührungen, Wunder, gute Worte weiterreichen. Genügt das?

 

 

Was haben wir heute an Gepäck mitgebracht?

Was, welchen Kummer, welche Sorge, welche Gedanken möchte ich gerne hierlassen und Gott in die Hände geben?

Welche Reserven empfangen wir für den Weg für die nächste Woche?

Unsere Taschen werden nicht schwerer. Im Gegenteil: Bei Gott können wir unsere Sorgen und Lasten abladen. Jesus stattet uns mit leichtem Reisegepäck aus: Mit der frohen Botschaft, dass Gott alle Wege mit uns geht und uns mit seinem Segen mitgibt. Mit diesem Marschgepäck werden wir ganz sicher gut durch die nächste Woche kommen.

 

Weniger sorgen, sondern Zeit haben und Zeit schenken. Wenn wir uns weniger mit äusserlichen Dingen befassen, bleibt nämlich viel Zeit übrig. Zeit kann man vergeuden, vertun, manche sprechen von verlorener Zeit, weil sie sich zu viel mit Dingen und Themen beschäftigt haben, die es im Nachhinein nicht mehr wert erscheinen.

Zeit kann man verschenken. Zeit zu haben ist zu einem kostbaren Gut geworden in unserer gestressten Gesellschaft. Und wer aus dem Räderwerk aussteigt durch Krankheit, Jobverlust oder auch durch die Pensionierung, dem kann das schon Angst machen, so viel ungebrauchte Zeit vor sich zu haben. Dabei: Es ist normal, Zeit zu haben und die Zeit zu geniessen. Uns wird nur anderes eingeflüstert und abverlangt. Freuen sie sich, wenn die jungen Leute zweit oder mehreren am See chillen und ihre Jugend geniessen. Recht haben sie!

 

Ich wünsche ihnen allen eine unbeschwerte und frohe Zeit. Laden sie ihren Ballast, ihre Sorgen und Ängste heute hier ab und vertrauen sie ihre Sorgen Gott im Gebet an.

 

Und ich wünsche jedem und jeder von uns, dass wir jemanden an unserer Seite wissen. Ein Sprichwort sagt: Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann mußt du mit anderen zusammen gehen.

 

…Und allen Reisenden: Schöne Erlebnisse und gesunde Heimkehr.

Gudrun Dötsch

Nachlese

Gemeinschaft stiften: Die transformative Kraft des gemeinsamen Mahls

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

vor ein paar Wochen hatte ich eine tief bewegende Erfahrung in meiner Heimatstadt in Indien. Ich besuchte einen Kapuzinerbruder, der ein bemerkenswertes Projekt in einem örtlichen Kloster ins Leben gerufen hatte. Er bietet allen, die kommen, ein kostenloses Frühstück und Mittagessen an, mit der Möglichkeit, eine Spende zu geben. Was mich besonders berührt hat, war die Gemeinschaft, die dort entstanden ist. Es ging nicht nur darum, Menschen zu ernähren; es ging darum, ein Gefühl von Zusammengehörigkeit zu schaffen. Der einfache Akt des gemeinsamen Essens wurde zu einer lebendigen Botschaft, die Liebe und Einheit verbreitete.

Das Festmahl der Weisheit: Eine Einladung zu tiefem Verständnis

Im Buch der Sprichwörter, das wir gerade gehört haben, lädt uns die Weisheit zu einem Festmahl ein. Es geht nicht nur um körperliche Nahrung, sondern um eine tiefere, geistige Nahrung. Weisheit fordert uns auf, beim Festmahl Entscheidungen zu treffen, die zu Leben und Verständnis führen.

In diesem Sinne sagt Jesus im Evangelium: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist." Er spricht nicht von buchstäblichem Fleisch, sondern von einer geistlichen Realität. Er lädt uns zu einer Beziehung mit ihm ein, die so intim und lebensspendend ist wie das Essen, das wir zu uns nehmen.

Stellen wir uns ein Familienmahl vor. Wir sitzen alle um den Tisch, erzählen Geschichten, lachen und teilen unsere Zuneigung. Es geht um mehr als nur das Essen. Es geht um Verbindung, Beziehungen und ein gemeinsam gelebtes Leben.

Was wäre, wenn dieser einfache Akt des gemeinsamen Essens und Zuhörens die Kraft hätte, Gräben zwischen uns zu überbrücken? Vielleicht beginnen die grössten Veränderungen in unserem Leben tatsächlich am Esstisch. Ich kenne Menschen, die stillschweigend Essen an Obdachlose bringen. Ich kenne Menschen, die täglich ihre Mahlzeiten teilen. Einmal, während eines Urlaubs, verbrachte ich eine ganze Woche damit, mit verschiedenen Bettlern in Paris gemeinsam zu essen. Statt ein Sandwich nur für mich zu kaufen, kaufte ich zwei und ass mit einem oder einer von ihnen.

Das lebendige Brot: Jesus als Quelle der geistlichen Nahrung

Jesus hatte eine besondere Mission: Er wollte Gemeinschaft schaffen. Und wie tat er das? Ganz einfach - durch gemeinsame Mahlzeiten. Aber nicht nur mit seinen Freunden. Nein, er ass auch mit denen, die am Rand der Gesellschaft standen. Mit den Ausgegrenzten, den Verachteten, sogar mit denen, die als Feinde galten.

Die Eucharistie steht im Zentrum dieser Lehre. Hier empfangen wir den Leib und das Blut Christi. Doch was macht die Eucharistie so besonders? Ist sie für uns nur ein Ritual oder wirklich eine Begegnung mit dem lebendigen Christus?

Die Eucharistie ist ein Sakrament, das Gemeinschaft stiftet und uns alle vereint, unabhängig von unserer Herkunft. Was würde es für uns bedeuten, wenn wir diese Art von Gemeinschaft jeden Tag leben könnten?

Stellen wir uns das einmal vor: Jesus, der seine Jünger zu zweit in die Dörfer und Städte Galiläas schickte. Sie sollten von Gottes Gerechtigkeit erzählen, Kranke heilen und - ja, auch das - gemeinsam essen. Dieser Auftrag gilt auch uns heute noch. Deshalb sind wir hier, um Brot zu brechen und zu teilen, um Eucharistie zu feiern.

Die Eucharistie im Alltag: Gemeinschaft durch Teilen und Brotbrechen

Können wir das nicht auch in unserem Alltag umsetzen? Schon eine simple Einladung zum Abendessen kann Raum schaffen für ehrliche Gespräche, für gegenseitige Ermutigung, vielleicht sogar für ein gemeinsames Gebet.

Wenn wir das Brot brechen, kommen Glaube und Gemeinschaft zusammen. Was würde es bedeuten, wenn wir unser tägliches Brot mit diesem Bewusstsein teilen würden? Können wir in unseren Mahlzeiten ein eucharistisches Gefühl schaffen? Unser Familienessen zu einer Feier der Liebe machen?

Jesus sagte: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt."

Wenn wir an der Eucharistie teilnehmen, lasst uns unsere Beziehung zu Christus und untereinander vertiefen. Amen.

Br. George

Nachlese

Vertrautheit und Wahrheit: Eine Herausforderung des Glaubens

Das heutige Evangelium erinnert uns an eine zeitlose Weisheit: "Familiarity breeds contempt" – Vertrautheit kann Verachtung erzeugen. Jesus selbst erfuhr dies, als er in seine Heimatstadt zurückkehrte und dort auf Unglauben und Ablehnung stiess.

 

Die Weisheit des Äsop: Der Fuchs und der Löwe

 

Dieses Sprichwort stammt von einer alten Geschichte, die der griechische Geschichtenerzähler Äsop geschrieben hat. Sie heisst 'Der Fuchs und der Löwe':

 

„Als der Fuchs den Löwen zum ersten Mal sah, hatte er grosse Angst, rannte weg und versteckte sich im Wald. Beim nächsten Mal näherte er sich dem König der Tiere vorsichtig und beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Beim dritten Treffen ging der Fuchs direkt auf den Löwen zu, plauderte mit ihm und fragte ihn nach seiner Familie. Dann verabschiedete er sich ohne grosse Zeremonie. Vertrautheit erzeugt Verachtung.“

 

Unabhängig davon, wie sich der Fuchs gegenüber dem Löwen verhält, bleibt eine Wahrheit bestehen: Der Löwe ist mächtig und gefährlich. Zehn solcher Gespräche ändern nichts an dieser Tatsache. Beim elften Mal könnte es das letzte Gespräch sein. Der wahre Fehler des Fuchses ist, dass er nach zwei Begegnungen die Gefahr vergisst und sich so grosser Gefahr aussetzt.

 

Jesus in Nazareth: Wenn Vertrautheit den Blick trübt

 

Angelehnt an diese Geschichte können wir den Evangeliumstext des heutigen Tages lesen und darüber nachdenken. Ähnlich erging es den Menschen in Jesu Heimatstadt. Die Wahrheit, dass Jesus Gottes Sohn ist, hat sich nicht geändert. Die Vertrautheit, dass er einer von uns ist, aus unserem Umfeld stammt, sollte diese Wahrheit nicht ändern.

 

Sie kannten ihn von Kindheit an und sahen in ihm nicht den Sohn Gottes. Ihre Vertrautheit mit Jesus als „Zimmermanns Sohn“ hinderte sie daran, seine Botschaft zu erkennen. Sie erinnerten sich an Jesus als den Jungen, der heranwuchs, als den Zimmermann, der Türen und Fenster reparierte. Sie konnten nicht glauben, dass Gott durch Jesus wirkte.

 

Die Fragen, die sie stellten, waren gerechtfertigt. Was konnte „der Zimmermann, der Sohn Marias“, bieten, der über dreissig Jahre lang nichts anderes tat als Handwerksarbeiten? Woher nahm er seine Weisheit? Wer gab ihm die Kraft, Wunder zu vollbringen? Sie fragten sich, ob seine Botschaft und Wunder von Gott oder vom Bösen stammten. Und sie entschieden: Besser, ihm nicht zu vertrauen.

 

Die übersehenen Wunder des Alltags

 

Wie oft geht es uns genauso? Wir gewöhnen uns an die Wunder um uns herum:

 

- Die Liebe unserer Familie

- Die Schönheit der Natur

- Die Freiheit, die wir geniessen

- Die wunderschöne Stadt, das Quartier, in dem wir leben

- Die Sicherheit, die für viele nicht selbstverständlich ist

- Gottes ständige Gegenwart in unserem Leben

 

Es wäre spannend, innezuhalten und zu sehen, wie schön unser Leben ist.

 

Gottes Botschafter in unerwarteter Gestalt

 

Manche Menschen erscheinen uns zu gewöhnlich, um Botschafter Gottes zu sein. Das können unsere Eltern, Kinder, Nachbarn oder Kollegen sein. Sie könnten uns eine Wahrheit verkünden, die unser Leben verändert, doch wir wollen sie nicht hören. Oft sind wir so gefangen in der Menschlichkeit des Verkünders, dass wir die Botschaft übersehen.

 

Benjamin Franklin sagte einmal: „Gäste und Fisch stinken nach drei Tagen.“ Je mehr Zeit wir mit anderen Menschen verbringen und je vertrauter wir mit ihnen werden, desto eher neigen wir dazu, uns an ihnen zu stören.

 

Vertrautheit als Segen: Vom richtigen Umgang mit dem Bekannten

 

Das heutige Evangelium ist ein Weckruf. Es fordert uns auf, mit frischen Augen zu sehen und mit offenem Herzen zu hören.

 

Wie können wir also mit der Gefahr der Vertrautheit umgehen?

Seien wir achtsam gegenüber unseren Mitmenschen, auch wenn wir sie gut kennen.

Pflegen wir eine offene und ehrliche Kommunikation, um Missverständnisse zu vermeiden.

Seien wir dankbar für die Menschen in unserem Leben und schätzen wir die Vertrautheit, die wir mit ihnen teilen.
 

Vertrautheit kann eine Quelle der Freude und des Segens sein.
 

Nehmen wir uns heute vor, das Gewohnte neu zu entdecken. Denn nur wenn wir achtsam bleiben, können wir die tiefen Wahrheiten erkennen, die oft direkt vor unseren Augen liegen. Lassen wir nicht zu, dass Vertrautheit uns blind macht für die Wunder und Wahrheiten in unserem Leben.

Br. George

 

Nachlese

Evangelium Mk 4, 35-41

Zwischen der Lesung aus dem Buch Hiob und dem Evangliumstext erkenne ich einen Sinnzusammenhang:

Die Lesung führt Hiob und den LeserInnen vor Augen, dass Gott alles wohl geordnet hat. Der Text lässt an die Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis denken: Da waren das Chaos, Dunkelheit, Gase, Hitze und Eiseskälte, so wie es sich auch mit dem heutigen Stand unseres naturwissenschaftlichen Wissens vereinbar ist. Das alles wurde abgelöst von einer schönen Erde, es wurde der wunderbare Blaue Planet daraus. Warum es etwas und nicht Nichts gibt, darauf kann selbst aber die Physik keine Antwort geben. Die Schöpfung ist nach westlicher und christlicher Vorstellung nicht aus einem Wettstreit konkurrierender Götter entstanden. Die Menschen haben in diesen alten Vorstellungen, wie wir sie aus der ägyptischen und der griechischen Mythologie kennen, den Zweck, den Göttern zu dienen und sie zu unterhalten. Der christliche Gott, so wie wir ihn uns vorstellen, ist ein Gott, der ordnet, der alles gut, ja sogar sehr gut überlegt hat. Die göttliche Lebenskraft hat den Menschen geschaffen als sein Gegenüber, als Person, d.h. einmalig und gewollt.

Entgegen dieser romantisch schönen Ordnung und des Wohlgestalteten erfahren Menschen immer wieder, wie wir den Naturgewalten ausgeliefert sind: Schnee und Frost-Temperaturen in der Blütezeit wie in diesem Jahr lassen Ernte-Einbussen befürchten, besonders das Wallis und die Westschweiz meldeten sich als betroffen. Oder denken sie an die Überschwemmungen in Brasilein, Dubai, Armenien und kürzlich in mehreren Ländern Europas, oder die offen-speienden Vulkane auf Island. Oder wenn die Wellen mannshoch über dem Bott zusammenschlagen und das Boot zu kentern droht:  Der Mensch fühlt sich ausgeliefert, hilflos, an Leib und Leben bedroht.

 

Im Evangeliumstext fallen genau diese beiden Pole in Auge: Die einen haben Angst und schreien, während der eine, Christus, offenbar ganz ruhig tief und fest schläft. Sie wecken ihn und rufen ihn an in ihrer Not. Christus hat offenbar die göttliche Macht, den Winden zu befehlen. Wir können das Ereignis 1:1 als Wunder und Beweis seiner göttlichen Vollmacht so verstehen. Wir können aber auch einfach den Text klingen lassen mit seinen Gegensatzpaaren: Er schläft ruhig auf dem Kissen und ringsherum Angst.

was macht Angst?

versagen

verlassen werden

untergehen

verloren sein

sterben müssen

Angst vor der Zukunft

vor Dunkelheit

vor Gedanken und Fantasien

bedrohliche Bilder, die uns verfolgen aus den Nachrichten, Bilder des Entsetzens, die einfach nicht aus dem Kopf gehen wollen.

„Traurig“
von Regina Schwarz

Manchmal kommt
ein großes schwarzes Tier,
das meine Freud auffrisst
und mein Lachen,


das mich festhält
in seinen Klauen
und nicht loslässt.
Manchmal kann ich nichts
dagegen machen – nur warten –
bis es geht, auf leisen Sohlen,
wie es gekommen ist.

 

Manche versuchen diese Ängste in den Griff zu bekommen, indem sie sich dem Horoskop anvertrauen, Wahrsager aufsuchen, die ihnen die Zukunft sagen. Zwanghafte Handlungen gehören auch in diesen Bereich, das Schicksal beeinflussen zu wollen, indem ein bestimmtes Ritual zwanghaft eingehalten wird: Wenn ich mir stundenlang die Hände wasche, wird nicht passieren. Wenn ich das und das erfülle, kann ich die Götter gnädig stimmen. Von Vertrauen sind Menschen mit Zwangshandlungen weit entfernt.

 

Woher kommen solche Angstformen? Wie kann ich ein Leben führen, das die Angst überwindet, wo ich mich ermutigt und gestärkt fühle.

Entwicklungspsychologisch sind die ersten Kindheitsjahre prägend: Wer ein Elternhaus erlebt, das von Leistung und Erfolgsdenken geprägt ist, wo erwartet wird, dass der Sprössling einmal den Betrieb übernimmt, der erfährt mehr Erwartungsdruck und weniger Freiheit. Dagegen gibt es Eltern, die keine Angst mitgeben, die unterstützen und fördern, ermutigen und bei allen Pannen die Türe offenhalten.

Je mehr ein Kind gute und tragende Bindung erlebt, umso leichter wird es diesem Menschen fallen auch ein positives Gottesbild zu entwickeln. Die Beziehung zu den engsten Bezugspersonen ist die Grundlage für die Beziehung zu Gott. Wer in der Kindheit Liebe erlebt hat, für den und die ist es leichter, sich einer göttlichen Macht vertrauensvoll in die Hände zu geben. Doch auch Menschen mit einer schweren, vielleicht sogar durchlittenen Kindheit, ist das Glück einer gewissen Unbeschwertheit nicht verwehrt. Denn jeder Mensch trägt eine Ahnung und Sehnsucht in sich, dem Leben zu vertrauen und ohne Angst sein zu dürfen.

 

„Wenn es dunkel wird, bin ich es“

Ein Junge von acht Jahren fällt beim Spielen in einen tiefen Schacht, der noch keine sechzig Zentimeter breit ist. Verwirrung, Panik, Menschen, die hin- und herrennen. Geschrei, Rufen, dass dies getan werden müsse oder dies und dann wieder das. Männer kommen mit Leitern, Schaufeln und Stricken. Sie horchen in den Schacht, ob das Kind noch lebt. Einer will einen Bagger holen, um direkt neben dem Schacht einen neuen Schacht zu graben. Das sei die einzige Möglichkeit, das Kind noch zu retten, sagt er.

Die einzigen, die bei all diesem Geschrei und Gerenne ruhig bleiben, sind die Eltern des Jungen. Als sie zum Schacht kommen, wird es still. Jeder sieht, wie der Vater sich über die Öffnung beugt. Im selben Augenblick ertönt aus dem Schacht ein herzzerreißendes Geschrei: Sein Sohn lebt also noch, aber weil der Vater sich über den Schacht beugt, wird es dunkel im Loch, so dass der Junge noch mehr in Angst und Panik gerät. Da sagt der Vater: „Keine Angst. Wenn es dunkel wird, bin ich es!“

Das Geschrei verstummt, und sorgfältig gibt der Vater seinem Sohn Anweisungen, was er zu tun und zu lassen habe. Er lässt ein langes Seil hinunter, erklärt seinem Sohn, wie er es unter seinen Achseln befestigen soll und beginnt dann, behutsam zu ziehen. Wenig später ist der Junge gerettet!

Keinen Augenblick Angst hat er mehr gehabt, auch nicht, wenn es noch einmal dunkel wurde im Schacht. Jedes Mal, wenn das passierte, dachte er an das, was sein Vater gesagt hatte: «Wenn es dunkel wird, bin ich es.» (Willi Hoffsümmer: Kurzgeschichten Bd 4. Nr.99).

 

Wer sich aus der Starre der Angst befreit wird handlungsfähig. In der Geschichte schafft es das Kind, den Handlungsanweisungen des Vaters zu folgen.

Für Erwachsene, die nicht mehr von der Angst bestimmt sind, etwas falsch zu machen, erwächst Mut und die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Bilder und Berichte von Katastrophen, die uns entgegenkommen, bringen nicht mehr zum Verstummen. Das Grauen und die Traurigkeit werden auch nicht mit vielen Worten zugeschaufelt. Wer ohne Angst ist, kann sich der Bedrohung stellen, klagen und Farbe bekennen.

365 mal, also für jeden einzelnen Tag eines Jahres hat die Bibel den Satz bereit: Fürchte dich nicht! – Wenn es dunkel wird, bin ich es!

Die Zukunft hat schon begonnen

Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B

Wer sich bei einer Rede oder Predigt kurz fassen will, sollte nicht bei Adam und Eva anfangen. Nun, leider muss ich heute bei Adam und Eva beginnen, denn, wie ich eingangs gesagt habe, spannen die heutigen Lesungen einen weiten Bogen: von den Anfängen im ersten Buch der Bibel bis zu den Anfängen im öffentlichen Wirken Jesu. Das Buch Genesis beginnt mit den Worten «Im Anfang schuf Gott». Im Lateinischen heisst es «in principio». Und dieser lateinische Anfang gibt uns einen Hinweis, wie wir diese mythologischen Erzählungen über die Erschaffung der Welt verstehen können. «In principio» - «im Prinzip» - es geht um prinzipielle, grundlegende Erkenntnisse über das Menschsein, über das Verhältnis von Mensch und Gott, von Gott und Welt.

Die Erzählung, die wir heute gehört haben, ist eine der bekanntesten Geschichten der Bibel (Gen 3, 9–15). Bekannt und leider oft auch missverstanden vor allem deshalb, weil in der christlichen Tradition eine gewisse Verengung auf die Ur- und Erbsünde stattgefunden hat. Die jüdische Tradition hingegen geht mit dieser Erzählung etwas differenzierter um. Es geht eben um Prinzipien, es geht um grundlegende Einsichten in die Natur des Menschen und es geht um die Herausforderung, den eigenen freien Willen in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu gebrauchen. Diese Geschichte handelt von Freiheit und Verantwortung, und davon, die Konsequenzen der eigenen Entscheidungen zu tragen.

Zu Beginn der Geschichte befinden wir uns im Garten Eden, der als Bild für einen idealen Zustand der Nähe zu Gott gesehen werden kann. Der Garten symbolisiert Frieden, Vollkommenheit, Erfüllung, innere und äussere Ordnung. Das Essen der Frucht der Erkenntnis erschüttert diese Ordnung. Denn der Mensch kann nun nicht nur zwischen Gut und Böse unterscheiden, er muss sich nun auch zwischen Gut und Böse entscheiden. Und das ist, wie wir alle wissen, nicht einfach. Die paradiesische Ordnung gerät also durcheinander, der Mensch wird aus dem Garten vertrieben und ist nun ständig auf der Suche nach dem Zustand der Erfüllung, der Gottesnähe, dem paradiesischen Gleichgewicht, das «im Prinzip» herrschen sollte.

Suche nach Zufriedenheit

Wenn wir ehrlich sind, sagt diese Bibelstelle nicht eine tiefe Wahrheit über uns selbst aus? Sind wir nicht ständig auf der Suche nach einem Gleichgewicht, nach einem Zustand der Ruhe, der inneren und äusseren Zufriedenheit? Und treffen wir auf dieser Suche nicht immer wieder Entscheidungen, die uns eher ins Ungleichgewicht führen? Und wie gehen wir mit unserer Verantwortung für solche Entscheidungen um? Stehen wir dazu oder schieben wir die Schuld auf andere?

Als Christinnen und Christen glauben wir, dass Jesus gekommen ist, um uns den Weg zu diesem Gleichgewicht zu ebnen. Er ist diesen Weg gegangen und hat uns gezeigt, dass eine Rückkehr in diesen Zustand der Erfüllung und Gottesnähe möglich ist. In seinen Worten und Taten hat er uns eine Zukunft erfahrbar gemacht, in der unsere tiefe, urmenschliche Sehnsucht gestillt wird.

Im heutigen Abschnitt aus dem Markusevangelium (Mk 3, 20–35) vollbringt Jesus Zeichen, die auf diese Zukunft hindeuten. Er bringt wieder Ordnung in das Leben der Menschen, indem er das Böse vertreibt, damit sie wieder frei werden für das Gute. Damit die Entscheidung zwischen Gut und Böse leichter fällt. Die frohe Botschaft, die er mit diesen Zeichen verkündet, ist, dass wir nicht mehr aus dem Garten Eden vertrieben sind. Der Weg zurück zu Gott ist uns bereits gebahnt. «Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.» Jesus erträumte eine Familie von Menschen, die einzig auf die freie gemeinsame Bindung zu Gott beruhte.

Aber nicht alle verstehen die Zeichen Jesu. Die befreiende Ordnung, die er brachte, löste nämlich eine gewisse Unordnung in die damalige Theologie und Gesellschaft aus. Jesus bedrohte das gesellschaftliche und religiöse Gleichgewicht, das für viele so gut funktionierte. Für viele, aber eben nicht für alle. Vor dieser «Unordnung» fürchteten sich die Gelehrten und sogar seine Verwandten, die Angst vor Ausgrenzung und negativen Konsequenzen hatten. «So etwas kann nicht von Gott kommen», dachten die Theologen. «So einen muss man vor sich selbst schützen», dachte seine Familie. Jesus wird als gefährlich empfunden, weil sein Wirken Veränderungen auslöst, die für möglich gehalten wurden.

Höher als die Wirklichkeit steht die Möglichkeit!

Die Zukunft, die Jesus den Menschen verheisst, ist eine Wirklichkeit, die durch ihn schon begonnen hat. Aber es ist eine Wirklichkeit, die uns angeboten und nicht aufgezwungen wird. Unser freier Wille bleibt. Und mit diesem freien Willen, durch unser Unterscheiden und Entscheiden, sind wir gerufen, auf diese Zukunft zuzugehen und uns in Einklang mit dem Willen Gottes zu bringen.

Für mich bedeutet das vor allem eines: Wenn wir gemeinsam auf eine gute, göttliche Zukunft zugehen, dann müssen wir uns von der Hoffnung auf diese Zukunft leiten lassen. Hoffen heisst nicht, blauäugig zu sein, sondern Veränderungen, auch Weltveränderungen, für möglich zu halten und diese Hoffnungshaltung auch in den konkreten Alltag einzubringen. Diesen Gedanken möchte ich Ihnen auch mit den Worten des evangelischen Theologen Jürgen Moltmann mit auf den Weg geben. Er ist am vergangenen Montag gestorben:

«Hoffnung öffnet einen weiten Raum für Imagination und Kreativität. Sie macht unser Leben lebendig und wir fühlen Kräfte, die wir uns nicht zugetraut hatten. Hoffnung macht einen Anfang und ist die Vorfreude auf die Vollendung. Wer in Hoffnung lebt, sieht die Welt nicht nur nach ihrer Wirklichkeit an, sondern auch nach Ihren Möglichkeiten. Höher als die Wirklichkeit steht die Möglichkeit! Alle Wirklichkeit ist umgeben von einem Meer der Möglichkeiten, von denen immer nur ein kleiner Teil verwirklicht wird. Höher als die Vergangenheit steht die Zukunft. Was vergangen ist, war einmal Zukunft. Insofern ist Vergangenheit „vergangene Zukunft“.»

(Jürgen Moltmann: Theologie der Hoffnung im 21. Jahrhundert. Vortrag an der Evangelischen Akademie Bad Boll im Rahmen der Blumhardt-Gedenk-Tagung „Damit die Schöpfung vollendet werde“. Gehalten am 3. August 2019.)

 

Franziskanerkirche 8./9. Juni 2024
Simone Parise

Der «relative» Gott

Predigt zum Dreifalitgkeitssonntag - Lesejahr B

Eines der Bilder, das mir am besten gefällt und mir die Dreifaltigkeit näher gebracht hat, ist, dass Gott in sich Beziehung ist: in seiner Vielfalt/Dreifalt ein ständiges dialogisches Miteinander. Gott ist in sich Beziehung. Aber wir erfahren Gott auch in und durch Beziehungen. Dieses Bild kam mir wieder in den Sinn, als ich über die heutige Lesung aus dem Buch Deuteronomium (Dtn 4, 32–34.39–40) nachdachte. Mose lädt das Volk ein, über die Grösse Gottes nachzuforschen. Und wie soll das erfolgen? Indem sich die Menschen an die Beziehung Gottes zu seinem Volk erinnern. Unser Gott ist nicht irgendein Gott. Unser Gott ist der Gott Israels. Unser Gott ist der Gott der Schöpfung, der mit der Welt, mit seinen Geschöpfen in Beziehung tritt. Unser Gott ist der Gott Jesu. Unser Gott ist unser Gott, meiner und deiner: Der uns beim Namen ruft, der uns zu einem erfüllten Leben bestimmt, der uns im Geist nahe ist und uns in seine Beziehungsgemeinschaft aufnimmt. Unser Gott ist aber auch der Gott der anderen, der sich nicht von uns in Besitz nehmen lässt.

Gott bindet sich an Umstände

Als ich weiter über dieses Bild nachdachte, kam mir in den Sinn, dass das Fremdwort für Beziehung «Relation» ist. Spannend ist, dass Rel-ation und Rel-igion die gleiche Vorsilbe haben. Aber noch spannender finde ich, dass ein anderes Wort damit verwandt ist: «relativ». Aber wie passt «relativ» zu Gott? Kann das Ewige und das Absolute relativ sein? Ich denke ja. Gerade dadurch, dass Gott in Beziehung tritt, macht er sich «relativ», an Umstände und Bedingungen gebunden. Er passt sich uns Menschen an: unserer Geschichte, unserer Biographie, unserer Sprache. Mit anderen Worten: Gott macht sich uns verständlich und zugänglich, denn nur so ist Beziehung überhaupt möglich.

Gott macht sich relativierbar und vermittelbar. Und hier liegt, glaube ich, die entscheidende Herausforderung. Denn wir Menschen lieben klare, präzise, absolute Definitionen. Wir wollen wissen, woran wir sind. Das «Relative» ist uns immer suspekt, weil es potentiell zu viele Überraschungen birgt, zu viele Faktoren, die wir nicht kontrollieren können.

«Es esch eso... ond fertig»?

Warum also an einen «relativen» Gott glauben, wenn man das Absolute, das Unveränderliche, das Gewisse haben kann? Wir ziehen es vor, unsere Vorstellungen und Bilder zu verabsolutieren, ein paar unveränderliche Dogmen aufzustellen und klar zu bestimmen, wie und was Gott ist. Und zwar nicht nur für uns, sondern für alle, seit jeher und bis in alle Ewigkeit. «Es esch eso... ond fertig!»

Wie viel können wir als Getaufte, als Kirche, von unserem Gott der Beziehungen lernen, der sich den Umständen anpasst und mit der Zeit mitgehet? Wir könnten zum Beispiel einen gesunden Umgang mit Veränderungen, mit Pluralität, mit Diversität, mit gegensätzlichen Meinungen und fremden Kulturen lernen: Wir könnten lernen uns selber nicht so wichtig zu nehmen, uns nicht für «absolut» zu halten. Und vor allem könnten wir lernen, nicht ständig Angst vor dem Verlust unserer eigenen Sicherheiten und Gewissheiten zu haben. Wenn wir an die Zusage Jesu glauben - «Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt» (Mt 28,20) - welch andere Gewissheit brauchen wir dann noch?

Gott als Beziehung

Zum Schluss möchte ich ein Gedicht von Kurt Marti mit Ihnen teilen. Es hat mich in den letzten Tagen begleitet und auf den heutigen Gottesdienst vorbereitet. Der reformierte Theologe beschreibt darin mit ausdrucksstarker Sprache die Dreifaltigkeit als Beziehung, auch als persönliche Beziehung, als Gegenüber, weshalb er Gott mit Du anspricht.
Wie ich in der Predigt, spricht Marti von Gott in männlicher Form. Auch das ist ein sprachliches, kulturelles Konstrukt, damit wir uns irgendwie verständigen können, und keine absolute Wahrheit. Denn auch in unsere Sprache und in unsere Geschlechtskategorien lässt sich Gott nicht hineinzwängen.

 

DU
der mit den zeitgötzen
globaler gleichmacherei
und vereinheitlichung
nichts gemein hat
der zum beispiel
auch dafür sorgt
daß keiner religion
ein irdisches
monopol zufällt
auch der christlichen nicht

 

DU
der du in dir selbst
lauter und lautere
beziehung und bejahung
der anderen bist
mit denen du deine macht
und deine herrlichkeit teilst:
dreieinige gottheit
trinitarische urform
von gewaltentrennung
und mitbestimmung

 

DU
der einzig eine
der in seiner dreisamkeit
ja vielsamkeit
nicht aufhört
alteritäten (anders
und außer dir seiendes)
zu erfinden
draußen im
multiversalen universum
und hier
auf diesem planeten
die unermeßliche vielfalt
des lebens
wo kein geschöpf
wie das andere
und erst recht
jeder der bald
sieben (jetzt 8) milliarden menschen
ein unikat ist

(…)

DU
dessen geist
(dritter im bunde
der trinität)
stets weht wo er will
und «du hörst seine stimme
aber du weißt nicht
woher er kommt und wohin er geht»
(johannes 3,8)
da er sich nicht
an dogmen oder
institutionen binden läßt
der wahre freigeist
der freie wahrgeist
auf den keine der religionen
und kein lehramt
einen patentanspruch hat

DU
der liebende
vor dem nur
tatbeweise der liebe
zählen

(aus: Kurt Marti: Du. Eine Rühmung. Und 19 Gebete in Gedichtform sowie ein Essay. Stuttgart 2022.)

 

Franziskanerkirche, 25./26. Mai 2024
Simone Parise

Nachlese 14.5.2024

Göttliche Liebe: Die Hingabe und Stärke der Mütter

Wisst ihr noch, als wir Kinder waren und unsere Mütter uns vor dem Schlafengehen Geschichten erzählt haben? Vielleicht habt ihr als Eltern das Gleiche für eure Kinder getan. Meine Mutter hat das auch gemacht, und auch wenn ich mich nicht mehr genau erinnern kann, waren Engel und Polizisten oft die Hauptfiguren in ihren Geschichten.

Eine Geschichte

An diesem besonderen Tag des Muttertags möchte ich mit einer Geschichte beginnen:

Es war einmal ein Kind, das kurz davor war, auf die Welt zu kommen. Neugierig wandte es sich an Gott und fragte: "Wie soll ich auf der Erde leben, so klein und hilflos?"

Gott antwortete liebevoll: "Keine Sorge, mein Kind. Ich werde einen Engel für dich wählen, der über dich wacht."

Doch das Kind wollte mehr wissen: "Im Himmel bin ich immer glücklich, indem ich singe und lache. Wie wird es auf der Erde sein?"

Gott versicherte ihm: "Dein Engel wird für dich singen und mit dir lachen, jeden Tag. Du wirst die Liebe deines Engels spüren und sehr glücklich sein."

Doch das Kind fragte weiter: "Wie werde ich die Sprache verstehen?"

Geduldig erklärte Gott: "Dein Engel wird dir die schönsten Worte sagen und dich lehren zu sprechen."

Besorgt fragte das Kind: "Was ist, wenn böse Menschen mir etwas antun?"

Gott versprach: "Dein Engel wird dich verteidigen, selbst wenn es sein Leben kostet."

Doch das Kind sorgte sich auch um Gott selbst: "Ich werde immer traurig sein, weil ich dich nicht sehen kann."

Gott tröstete es: "Dein Engel wird über mich mit dir sprechen, damit ich immer bei dir bin."

In diesem Moment herrschte Frieden im Himmel, während man bereits Stimmen von der Erde vernahm.

Schnell bat das Kind Gott um den Namen seines Engels, bevor es ging.

"Ihr Name ist nicht wichtig, du wirst sie einfach Mama nennen."

Mütter: Unsere ersten Engel auf Erden

Für die meisten von uns sind unsere Mütter ein Segen. Ohne sie wären wir nicht hier. Ohne ihre Unterstützung wären wir verloren gewesen. Sie haben uns geprägt und sind ein wesentlicher Teil dessen, was wir geworden sind und was wir erreicht haben. Heute ist ein perfekter Tag, um einfach mal "Danke" zu sagen.

Mütter sind unsere ersten Engel auf dieser Erde. Sie geben uns Liebe, Geborgenheit und Weisheit. Sie lehren uns, sprechen uns Mut zu und sind stets an unserer Seite, in guten wie in schlechten Zeiten.

"Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm." "Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er bleibt in Gott." Diese Sätze haben wir in der heutigen Lesung gehört! Unsere Lesungen heute sprachen zu uns von Gottes Gebot der Liebe.

Die Quelle göttlicher Liebe in den Armen einer Mutter

Haben wir die Liebe Gottes aus dem Katechismus heraus gelernt?

Oder aus den Paragraphen des Kirchenrechts?

Vielleicht haben wir sie in den staubigen Ecken der Universitätsbibliotheken gelernt? Oder haben uns die Regeln und Rubriken in den Liturgien die Liebe Gottes nähergebracht?

In den Armen unserer Mutter haben die meisten von uns zum ersten Mal erfahren, was Geborgenheit und Liebe bedeuten. Diese Erfahrungen haben uns gelehrt, zu glauben, zu vertrauen und zu lieben. Unser Glaube soll uns weiterentwickeln und uns neue Perspektiven eröffnen.

Wenn wir sagen, dass Gott die Liebe selbst ist und dass die Liebe das grundlegende Prinzip eines Christen ist, dann ist die Person, die uns zuerst Liebe und Fürsorge geschenkt hat, in gewisser Weise auch göttlich. Stimmt das nicht? Hat die Liebe, die wir von unserer Mutter empfangen haben, nicht einen Hauch von Göttlichkeit? Hat sie nicht einen Teil von Gottes Liebe in unser Leben gebracht?

Die Bedeutung von Opfer und bedingungsloser Hingabe am Muttertag

Eine Mutter liebt bedingungslos. Sie gibt alles für ihr Kind, ohne etwas im Gegenzug zu erwarten. Das Wort "Mutter" steht für aufopferungsvolle Liebe in ihrer reinsten Form.

Am Muttertag möchte ich das Wort "Opfer" ansprechen. In unserer Gesellschaft hat dieses Wort oft eine negative Konnotation. Wir hören oft von Opfern in Verkehrsunfällen, Kriegen, Missbrauchsfällen und anderen tragischen Ereignissen.

Göttliche Spuren: Mütter als Trägerinnen göttlicher Liebe

Aber wenn wir an Mütter denken, bekommt das Wort "Opfer" eine ganz andere Bedeutung. Im Kontext der Mutterschaft steht es für eine ganz besondere Art von Liebe und Hingabe. Das Opfer einer Mutter ist keine Schwäche, sondern eine enorme Stärke und ein Ausdruck bedingungsloser Liebe. Es ist ein Geschenk, das sie mit Freude gibt, ohne etwas im Gegenzug zu erwarten. Es ist wie ein kostbares Erbe, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es ist die Bereitschaft, sich selbst zurückzustellen und alles für das Wohl ihrer Kinder zu tun.

Was denkt ihr darüber? Hat das Wort "Opfer" für euch auch eine besondere Bedeutung, wenn es um Mütter geht?

Eine wahre Geschichte aus 'What Soldiers Do'

Um meine Predigt abzuschließen, möchte ich eine Geschichte aus dem Buch "What Soldiers Do" aus dem Jahr 2013 teilen.

Aimee Dupre schreibt:

Nach dem D-Day kamen fast eine Million Soldaten nach Frankreich, um gegen Nazi-Deutschland zu kämpfen. Aimee war damals 19 Jahre alt und lebte in einem kleinen Dorf namens Montours in der Bretagne. Als die Soldaten ankamen, war sie zuerst froh, aber das änderte sich schnell.

 

Am Abend des 10. August betraten zwei Soldaten betrunken den Bauernhof der Familie. Sie wollten eine Frau. Aimee erinnerte sich später daran, wie ihr Vater sich ihnen widersetzte, sie ihre Waffen abfeuerten und Löcher in seine Mütze rissen. Um ihre Tochter zu schützen, ging Aimees Mutter mit den Soldaten mit. Die Soldaten brachten sie auf ein Feld und vergewaltigten sie dort abwechselnd. Aimee erzählte später, wie sehr ihre Mutter und sie gelitten haben. Sie dachte jeden Tag an diese schreckliche Nacht. "Meine Mutter hat sich geopfert, um mich zu schützen", fügte sie hinzu.

 

Die Hingabe einer Mutter zeigt uns, wie göttliche Liebe aussieht. An diesem Muttertag sollten wir nicht nur dankbar sein, sondern auch darüber nachdenken, wie wir diese bedingungslose Liebe in unserem eigenen Leben weitergeben können.

Br. Greorge

Nachlese

Auffahrt 10.Mai.2024 Evangelium und Predigt zu Mk 16,15-20

HIMMEL BEDEUTET GOTTESGEGENWART

Jesus wurde in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes. „Ja, wo ist er denn hin?“  So möchte man am liebsten fragen.

„Himmel, da denken wir da oben, wo es mal blau und mal bewölkt ist und wo wir nachts in die Unendlichkeit des Sternenhimmels blicken können. Leider haben wir in unserer Sprache nicht mehrere Wörter wie im Englischen, das mit heaven und sky, zwischen dem astronomischen und dem spirituellen Himmel sprachlich unterscheiden kann.

Wenn man uns fragte: Glaubst du an die Auferstehung der Toten? – Was würden wir antworten? Wie können wir erklären und ausdrücken, was der Glaube meint. Wo sind sie denn, unsere Toten?Wir haben verschiedene Worte und Bilder: Im Himmel…bei Gott ..im Licht Gottes ..Sie sind Gäste beim himmlischen Gastmahl, so -traditionelle- Bilder, wie sie in der Bibel zu finden sind und die unsere Vorstellung geprägt haben.

 

Auch das heutige Evangelium stellt uns ein Bild vor: Mit erstaunlichem Selbstbewusstsein – wie ich finde – setzt sich Jesus einfach zur Rechten Gottes. Ich übersetze dies so: Was wir im Religiösen „Himmel“ nennen, meint die unmittelbare Nähe zu Gott. Himmel, das könnte heissen: Ich bin mit Gott auf Du und Du, darf quasi neben ihm sitzen. Martin Buber würde das auch so beschreiben: Gott ist das unmittelbare DU.

 

WIRKMÄCHTIGE ZEICHEN ALS BEWEIS

Ist Jesus angekommen? Nein, er beschränkt sich nicht auf einen ruhigen Platz im Himmel, sondern verspricht: Ich werde auch weiterhin mit euch zusammen wirksam sein. Die Jünger du Jüngerinnen werden hinaus in die weite Welt geschickt. Sie sollen das Wort Gottes unter die Menschen bringen. Das Wort wird durch Zeichen bekräftigt werden.

Sie treiben Dämonen aus, sie reden in neuen Sprachen, wenn sie Schlangen anfassen, schadet es ihnen nicht, sie machen Kranke gesund. Es sind spektakuläre Zeichen, die Jesus ankündigt. Es ist, als ob er mit aller Macht sagen wollte: Habt keine Angst davor, dass ich euch nun verlasse. Diese Zeichen sind wie ein Beweis dafür, dass ich euch zur Seite stehe. Das verlangt für die Jünger und Jüngerinnen viel an Glauben, denn es ist ja noch nicht lange her, dass Jesus elendig und hilflos sein Leben lassen musste. Und jetzt, da er tot ist und nicht mehr greifbar, soll es machtvoll weitergehen.

 

GROSSTATEN VERSI HELD:INNEN DES ALLTAGS

Braucht es solche Wunder, um an Gottes Wort zu glauben?

Wie viel Spektakel brauchen wir? Was verlangen wir als Beweis, dass Jesus lebt? Und schliesslich: Was verlange und erwarte ich von mir selbst, wenn ich berufen und beauftragt bin, Gottes Wort in die Welt zu tragen? Da wird die Forderung schnell zur Überforderung.

Mit der folgenden Erzählung von Albert Schweizer verstehen wir, Himmel sehr weit zu fassen und Hier und Jetzt zu finden. Es liegt an uns, ob wir anpacken und wie Jesus ganz selbstverständlich und selbstbewusst unseren Platz im Hier und Jetzt einnehmen. Geschirr spülen, Unkraut jäten, Scheunen streichen können genauso Werke der Liebe sein wie jemand körperlich oder seelisch Kranken zur Seite zu stehen. Viele ungeliebte und lästige Aufgaben könnten gewandelt werden und zu Werken der Liebe werden. Stellen sie sich nur eine kleine Situation vor: Da arbeitet jemand im Garten, gebückt und hakt den Boden oder hat Setzlinge dabei, als am Zaun jemand vorbeigeht. Der Mensch schaut auf und schenkt ein Lächeln zum Gruss. Das ist nicht viel, und doch kann die kleinste Geste einen gewöhnlichen Tag zu einem Festtag werden lassen: Ein Stück Himmel auf Erden.

 

DER KLEINE HEILIGE IM KLOSTER

Ein Leben lang hat der kleine Heilige ein glückliches und zufriedenes Leben geführt, bis eines Tages ein Engel zu ihm kam und sagte: "Der Herr schickt mich und lässt dir sagen, dass es Zeit ist, in die Ewigkeit einzugehen!" Mit Blick auf den riesigen Geschirrberg vor ihm erwiderte der kleine Heilige: "Das alles ist noch abzuwaschen. Reicht das mit der Ewigkeit nicht auch dann noch, wenn ich fertig bin?" Der Engel lächelte leise und verständnisvoll und verschwand.

Eines Tages arbeitete der kleine Heilige gerade im Garten, als wieder der Engel erschien, um ihn in die Ewigkeit abzuholen. "Sieh doch das viele Unkraut hier an! Kann die Ewigkeit nicht noch ein bisschen warten?" Der Engel lächelte und verschwand. Und so werkte und arbeitete der Kleine Mönch weiter, grub den Garten um, strich die Scheune, pflegte die Kranken. Als der Engel wieder erschien, blickte der kleine Heilige mitleidheischend zu den Kranken, dann zum Engel. Ohne ein Wort verschwand er wieder.
Doch als der Mönch sich auf seine Zelle zurückzog und aufs harte Bett sank, sann er über den Engel nach und wie er ihn immer wieder hingehalten hatte. Da fühlte er sich müde und alt und sprach: "O Herr, könntest du deinen Engel noch einmal schicken? Er wäre sehr willkommen." Kaum war er zu Ende, stand der Engel schon vor ihm. "Wenn du mich noch nimmst, so bin ich bereit, mit dir in die Ewigkeit zu gehen!" Darauf der Engel, weise, huldvoll und mit liebevollem Blick auf den kleinen Heiligen: "Was glaubst du, wo du die ganze Zeit gewesen bist?"

Keine Heldentaten, keine Weltwunder. Der Mönch erfüllt seine täglichen Pflichten. Aber das Entscheidende ist: er ist ganz von Gott umfangen, umfasst. Gott durchströmt sein Leben und Lieben. So werden Alltagsdienste zu Gottesdiensten. Wer für Gott und die Menschen verfügbar ist und treu und gewissenhaft zu den Aufgaben und Pflichten steht und oftmals den grauen Alltag erträgt, der ist wirklich ein kleiner Heiliger und Gott, den Menschen und dem Himmel nah.

Gudrun Dötsch

Abstammung und Verwurzelung

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit

«Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm». So sagen wir, wenn wir eine charakterliche Ähnlichkeit zwischen zwei Verwandten ausdrücken wollen – und meistens meinen wir damit nicht die positiven Eigenschaften. Wir können nicht leugnen, dass unsere Abstammung uns tief prägt. Wir tragen immer etwas von unserem Elternhaus, von unserem Umfeld, von unseren vergangenen Erfahrungen in uns. Wie unsere Gene sind auch diese Erfahrungen, Erinnerungen und Prägungen, kleine Bausteine, die uns, im Guten wie im Schlechten, zu dem machen, was wir sind.

Von wo und von wem stammen wir ab? Manche finden diese Frage so spannend, dass sie jahrelang Ahnenforschung betreiben. So hat ein Freund kürzlich herausgefunden, dass sein 14. Urgrossvater der Heilige Bruder Klaus war. Diese Entdeckung kann natürlich nur eine lustige Anekdote sein, die man gelegentlich erzählt. Und doch stellt sich die Frage: Was macht es mit einem, wenn man herausfindet, dass man von einem besonderen Menschen abstammt? Fühlt man sich ihm plötzlich besonders verbunden? Spürt man eine gewisse Verantwortung, sein Erbe irgendwie weiterzugeben?

Geistige Verwandtschaft

Um Abstammung geht es auch im heutigen Evangelium. Jesus sagt: «Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.» (Joh 15,5) Wir bekennen, dass durch die Taufe diese enge Verbindung zwischen uns und Jesus besteht. «Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm». Wie schön wäre es, wenn man das von uns sagen könnte, wenn man sehen könnte, wie sehr wir mit Jesus «verwachsen» sind. Aber woran erkennt man diese Nähe, diese «Verwandtschaft»?

Eine Antwort haben wir im Johannesbrief gehört: «daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat.» (1 Joh 3,24) Es geht also um ein «geistiges Erbe» und um eine «geistige Verwandtschaft». Das klingt vielleicht nach spirituellem Gerede. Aber der Johannesbrief selbst weist darauf hin, wie konkret diese «geistige Verbindung» sein soll. Denn wir sollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern «in Tat und Wahrheit». (1 Joh 3,18)

Was es heisst, nicht mit Worten, sondern mit Taten zu lieben, können wir uns sicher vorstellen. Aber was bedeutet es, «in Wahrheit» zu lieben? Ich glaube, hier ist unsere eigene Authentizität angesprochen: wie «echt» und wie aufrichtig wir sind. Und authentisch bleiben wir nur, wenn wir eine Liebe weitergeben, die wir selbst als «wahr» und gut erfahren haben. Unsere Haltung ist eng verbunden mit dem, was wir erlebt haben, mit unserer Verwurzelung, mit dem, was uns Halt gibt. Damit sind wir wieder beim Stammbaum: Von wem stammen wir ab? Wie weit fällt der Apfel vom Stamm?

Unsere Geschichte mit Gott

Diese Tage bis Pfingsten sind eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie wir im Glauben gewachsen und gereift sind. Wann und wo haben wir etwas von diesem Geist, von dieser Verbindung mit Gott gespürt? Wann haben wir diese Verbindung als besonders stark und heilsam erlebt? Und wann haben wir nichts von der «Lebendigkeit» dieses Geistes gespürt? Im heutigen Psalm 22 haben wir gehört, wie der Betende Gott in seinem Leben als nahe und rettend erfahren hat. Und deshalb will er der ganzen Welt, allen kommenden Generationen davon erzählen, damit alle Menschen diese Erfahrung machen können. Er will uns glaubhaft machen, was er selbst als «wahr» und «echt» erlebt hat. Doch dies war nur der Schluss dieses Psalms. Viel vertrauter ist uns der Anfang, der berühmte Vers, den auch Jesus gebetet hat: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?». Es ist derselbe Psalm, der von einer langen und komplexen Glaubensbiographie zeugt, mit Höhen und Tiefen, mit Erfahrungen der Abwesenheit Gottes und seines rettenden Handelns.

Wir alle sind in gewisser Weise Kinder dieses Psalms. Der Glaube ist an uns weitergegeben worden, so wie der Verfasser des Psalms seine Erfahrung weitergegeben hat. Unsere Glaubensgeschichte baut auf der Geschichte mit Gott unserer vielen Vorfahren auf. Und doch schreibt Gott mit jeder und jedem von uns eine neue, ganz persönliche Geschichte. Und für diese Geschichte sind wir berufen einzustehen: nicht einfach für die Lehren einer Religion, sondern für unsere persönliche Erfahrung mit Gott, für seinen Geist, der uns geschenkt wurde und der in uns lebt.

 

Franziskanerkirche, 27./28. April 2024
Simone Parise

Nachlese

Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit (Guthirtsonntag)

All you need is Schaf (Alles was du brauchst ist Schaf)

Ich gebe es ehrlich zu: Den vierten Sonntag in der Osterzeit, den Sonntag vom Guten Hirten feiere ich mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite mag ich das Bild vom Hirten und seiner Herde. Es hat etwas Liebliches, Idyllisches – es strahlt Frieden und Harmonie aus. Auf der anderen Seite sträube ich mich gegen die Rolle des folgsamen Schafes in der Herde der Kirche.

 

Zwei österreichische Komiker – sie nenne sich „Katholische Kabarettmission“ – bestärken mich in dieser Abneigung. Eines ihrer Programme hat die Überschrift „Aktion Schaf“. Die beiden kämpfen gegen die „Verschafung“ in unserer Kirche. Sie nehmen diejenigen aufs Korn, die davon träumen, ein Schaf in der grossen oder kleinen Herde zu sein; die sich von Versprechen kuscheliger Nestwärme einlullen zu lassen; die eigenes Denken, Verantwortung und Selbstständigkeit aufgeben, um hinter den grossen Hirten und Oberhirten hertrotten zu können. Blindes Herdendenken – meinen sie – hat noch immer dazu geführt, dass man am Ende im wahrsten Sinne des Wortes „belämmert“ dasteht, und mit sprühendem Witz und frechen Liedern decken sie auf, dass manche wichtigtuerischen Hirten nichts anderes als Schafsköpfe sind.

 

Aber trotz dieser berechtigten Warnungen behält das Bild von Hirt und Herde für mich einige sympathische Züge. Diese Züge erkenne ich besonders deutlich, wenn ich das Bild vom Hirten mit dem Bild vom König vergleiche.

Beim Hirten denke ich zuerst an ein weites, freies Feld – beim König dagegen an eine befestigte Stadt mit hohen Mauern. Und genau das erhoffe ich mir von Jesus, dem guten Hirten: dass er mit mir – im guten Sinne – „das Weite sucht“; dass er mich herausholt aus den Mauern der Angst; dass er mich ins Freie führt – befreit von allem, was mich nicht mehr atmen lässt, was mein Leben eng macht; dass er mein oft kleinkariertes Denken weitet und mir Grosszügigkeit und Gelassenheit schenkt.

Beim Hirten fällt mir ein Zelt oder einen Schäferkarren ein – beim König dagegen ein Thron. Während der König sitzt und Hof hält, bewegt sich der Hirte und zieht mit seiner Herde weiter. Und genau das erhoffe ich mir von Jesus, dem guten Hirten: dass er mich nicht sitzen lässt, sondern zur Veränderung einlädt; dass er mich weiterbringt; dass er mich neue Felder entdecken und kennenlernen lässt; dass er mich aufrüttelt, wenn ich es mir all zu bequem gemacht habe.

 

Und schliesslich sehe ich beim Hirten immer auch das Schaf auf der Schulter – beim König dagegen die Krone auf dem Kopf. Das Zeichen der Macht, der Herrschaft auf der einen – das Symbol der Fürsorge auf der anderen Seite. Und genau das erhoffe ich mir von Jesus, dem guten Hirten: dass er mich trägt und stützt, wo ich Hilfe brauche; dass er sich liebevoll um mich kümmert und nicht nur befiehlt und beherrscht; dass er mir auf Augenhöhe begegnet und mich nicht von oben herab behandelt – dass ich Geborgenheit erlebe und nicht nur Unterordnung; dass ihm nicht gleichgültig ist, wie es um mich steht.

 

Ins weite geführt werden, in Bewegung bleiben, Geborgenheit spüren – das möchte ich durch die Worte Jesu, durch seine Botschaft.

Ins Weite geführt werden, in Bewegung bleiben, Geborgenheit spüren – das möchte ich auch durch die Gemeinschaft, die sich an Jesus orientiert, durch die Kirche – und durch diejenigen, die in ihr Hirten oder Oberhirten genannten werden.

 

Ich habe den Eindruck, dass Papst Franziskus genau das im Blick hat: Er träumt nicht von einer königlichen Kirche, die mauert und einengt; die bequem und selbstzufrieden sitzen bleibt; die herrscht und befiehlt – sondern er spricht von einer Hirtenkirche, die ins Weite führt; die sich bewegt und verändert; die sich als fürsorgliche Gemeinschaft, als Volk Gottes unterwegs versteht.

Ich freue mich, dass unser Oberhirte nicht das blinde Herdendenken will, das laut „Katholischer Kabarettmission“ immer in der Belämmerung endet, sondern den mutigen Aufbruch.

«...und doch glauben»

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit

Kennen Sie auch das Gefühl, dass die Zeit wie im Flug vergeht und man das gerade Erlebte kaum richtig realisieren und verarbeiten kann? Wie bei einem lang ersehnten Fest, das man sorgfältig vorbereitet hat. Und dann kommt der Tag X und bevor man es richtig fassen kann, ist das Fest vorbei. So ähnlich habe ich Ostern erlebt. Die Karwoche verging wie im Flug. So viele Eindrücke, so viele Texte, die besondere Musik, die gut besuchten Gottesdienste. Und bevor ich es richtig realisieren konnte, drohte der Alltag, die schönen Impressionen der Ostertage zu verdrängen.

Gut, dass das Kirchenjahr hier eine Lösung bietet. Das Osterfest wird verlängert. Zuerst um eine Woche – heute feiern wir den 8. Ostertag – und dann um eine Osterzeit, die bis Pfingsten dauert. Genug Wochen also, um im Nachhinein darüber nachzudenken, was wir da eigentlich gefeiert haben und vor allem, was das jetzt für unser Leben bedeutet. Diese Zeit gibt uns Gelegenheit, Ostern langsam zu verdauen und sacken zu lassen. Das ist ein Prozess, der viel Geduld erfordert. Davon erzählen uns auch die Osterberichte in den Evangelien.

Die Sehnsucht nach einer wahren Erfahrung

Aus dem Johannesevangelium (Joh 20,19-31) haben wir heute gehört, wie die Jüngerinnen und Jünger den Ostersonntag im totalen Lockdown verbracht haben. Sie hatten bereits die Botschaft erhalten, dass das Grab leer war. Aber sie verstanden nicht, was das bedeutete. Die Angst hielt sie noch im Haus gefangen. Erst die überwältigende und erschütternde Erfahrung mit dem Auferstandenen lässt sie verstehen, dass Jesus lebt. Aber einer, Thomas, war nicht da. «Da ist man mal kurz weg...», wird er sich wohl gedacht haben. Thomas hörte die Erzählung, er hörte die Botschaft von der Auferstehung, aber er kam nicht zum Glauben. Wie auch? Die anderen hatten eine tiefe Erfahrung gemacht – ihm blieb diese Erfahrung vorenthalten.

Also wehrt sich Thomas: «Wenn ich seine Wunden nicht sehe und berühre, glaube ich nicht.» Für mich klingt das nicht wie Skepsis, sondern eher wie ein Protest, wie eine Provokation. Eine Provokation, die auch ein Gebet sein könnte. Ich lese darin die tiefe Sehnsucht nach einer Erfahrung, nach einer wirklichen Begegnung mit dem Auferstandenen. Es ist die gleiche Sehnsucht, die auch wir manchmal in uns tragen, wenn wir uns einen stärkeren Glauben, mehr Vertrauen wünschen. Mehr Vertrauen in Gott, in uns selbst, in die Zukunft. Ist diese Sehnsucht nach Glauben und Vertrauen nicht im Grunde eine Sehnsucht nach einer Erfahrung, die uns verstehen lässt, dass alles gut wird, dass wir in der Liebe und im Licht Gottes aufgehoben sind?

Glauben - trotz allem

Thomas darf eine Woche später, am 8. Ostertag, diese Erfahrung machen. Der lebendige Jesus kommt ihm spürbar nahe. Er sieht, dass das Leid und der Tod nicht das letzte Wort haben. Dass Gottes Liebe am Ende siegt. Nach Thomas kamen unzählige Menschen, die diese heilende Erfahrung nicht machen durften. Nach Thomas kommen wir. Für uns ist die letzte Seligpreisung Jesu in den Evangelien bestimmt: «Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.»

«Und doch»: zwei kleine Worte, die hier von grosser Bedeutung sind: nicht sehen und doch glauben. So verstanden hat der Glaube immer auch den Charakter eines «Trotzdem-Glaubens», eines «Dennoch-Glaubens». Den Charakter eines «mutigen Schritts der Hoffnung über die Grenze des Überprüfbaren und Begreifbaren hinaus». Die Welt und das Leben sind ambivalent, voller Widersprüche. Es gibt genügend Gründe, die Hoffnung aufzugeben, den mutigen Sprung des Glaubens nicht zu wagen. Aber es gibt auch genügend Gründe, neue Hoffnung zu schöpfen: Es sind die kleinen, oft unscheinbaren Osterereignisse, denen wir unbewusst begegnen und die uns zeigen, dass das Leben siegt.

Diese Zeit lädt uns ein, aufmerksam zu werden für die Auferstehungen um uns herum wie auch für unsere eigenen Auferstehungsgeschichten: Für die Kraft, die uns immer wieder aufrichtet; für den Mut, der uns geschenkt wird, um Hindernisse zu überwinden; für die Erfahrung, dass unsere Wunden heilen; für das Gefühl von Geborgenheit in einer grösseren Ordnung, das uns aufgehoben sein lässt. Es gibt sie, die Gründe, die Erfahrungen, die uns «trotzdem», «dennoch» glauben lassen. Wir kommen mit ihnen in Berührung, wenn wir uns auf diesen Prozess der Ostererfahrung einlassen, wenn wir wie Thomas unserer tiefen Sehnsucht nach einer Begegnung mit dem Auferstandenen Raum geben.

(Die zitierten Passagen stammen aus: Tomáš Halík, Berühre die Wunden: Über Leid, Vertrauen und die Kunst der Verwandlung. Freiburg i. Br. 2013, S. 235.)

 

Franziskanerkirche, 6./7. April 2024
Simone Parise

Nachlese

Predigt zu Jesu Einzug in Jerusalem

HELD ODER ANTIHELD

Kennen sie das auch? Jedes Jahr an Palmsonntag beschleicht den einen oder anderen der Gedanke: "Hätte es mit Jesus nicht ganz anders sein können? Hätte er nicht einfach als Held in Jerusalem einziehen, als Held eine Woche dort aufräumen und als Held zum Paschafest alle -wumm- spektakulär befreien können? Kennen sie auch solche Gedanken?

Aber was wäre passiert, wenn Jesus das wirklich getan hätte, wenn Jesus plötzlich auf der Seite der Sieger, der Mächtigen und der Machthaber gestanden wäre. An die Macht kommt man ja nur, wenn man die anderen, die Mitbewerber aus der Machtposition drängen kann. Darum hätten sich dann an Jesus wohl in Zukunft die Geister geschieden. Für die einen hätte er Verrat begangen, weil er gemeinsame Sache mit den grossen Staatsmännern gemacht hat. Für die anderen wäre er zu machtbesessen, weil er die anderen religiösen Führer der damaligen Zeit aus dem Amt vertrieben hat. Jesus wäre zu einem religiösen und politischen Führer geworden, gegen den einige schon bald zum Protest und zur Revolte aufgerufen hätten. Jesus hätte nicht gleichzeitig für die Schwachen und Benachteiligten der damaligen Gesellschaft Partei ergreifen können und dabei in der gleichen Machtposition sein können, wie die übrigen politischen und religiösen Machthaber von damals.

 

DER EIGENE WEG

Durch den Weg, den der Vater für ihn vorherbestimmt hat, hat Jesus solchen Rollen- und Interessenkonflikten von vorneherein den Wind aus den Segeln genommen. Es ist wahr, Jesus ist absolut kein Sieger. Nur kurz wird er bei seinem Einzug in Jerusalem von den Menschen gefeiert, als wäre er einer. Heute heisst es „Hosianna dem Sohne Davids", und bald johlen die gleichen Leute: "Ans Kreuz mit ihm". Aber Jesus ist auch kein Verlierer. Er ist nicht nur das Opferlamm. Er hat sicher ringen müssen um diesen Weg, den sein Vater im Himmel ihm aufgezeigt hat. Er zeigt, wie wertvoll jeder Mensch in den Augen Gottes ist. Er begegnet jeder Person mit Achtung und Würde auch dann noch, als sein Leben nichts mehr wert zu sein scheint. Er lebt, spricht und stirbt mit Würde und mit göttlicher Vollmacht. Er geht einem unwürdigen und qualvollen Tod entgegen. Aber er sucht keinen Hinterausgang. Er geht den Weg selbstbewusst in einer unnachahmlichen Grösse - trotz aller Erniedrigung.

 

Auch für uns beginnt manchmal solch ein Weg. Es spielen Faktoren eine Rolle, die wir nicht beeinflussen können.

Gerade am Palmsonntag sagt Jesus uns: Geht unbeirrbar diesen Weg, auch wenn ihr jetzt noch nicht wisst, wie es ausgeht. Ich gehe diesen Weg mit euch.

 

BE- UND VERURTEILEN

In der heutigen Fernsehlandschaft kann man das Geschehen des Palmsonntags wunderschön mit den vielen Casting-Shows vergleichen. Bachelor - Germanys next Top Model,- Dschungelcamp oder wie sie alle heissen. Heute gefeiert - Morgen gefeuert. Das ist das Schicksal vieler Kandidaten und Kandidatinnen, die sich freiwillig diesem Spiessrutenlaufen durch die Meinung oft gnadenloser Experten und der Öffentlichkeit aussetzen. Selbst wenn sie am Schluss als Sieger dastehen, passiert es häufig, dass von den heute angeblich besten Sängern oder Models bald schon niemand mehr etwas wissen will und sie vor dem Nichts stehen. Immer häufiger passiert es deshalb, dass so unter Druck gesetzte Kandidaten zurückschlagen und plötzlich ihre Juroren beschimpfen oder sich ganz aus der Show verabschieden mit der Erklärung, dass sie nicht mehr bereit sind, sich diesem Druck auszusetzen. Mittlerweile kommt es sogar vor, dass Mitglieder der Jury das Handtuch werfen und erklären, dass sie nicht mehr hinter dem Konzept solcher Shows stehen können.

Die Faszination und das öffentliche Interesse an diesen Casting-Shows zeigt, wie gern wir heute unsere Welt in Sieger und Verlierer einteilen wollen. Nichts anderes sagt uns die Vielzahl von Medienformaten zu diesem Thema, die über unsere Bildschirme flimmern. In der Unsicherheit unserer heutigen Welt fühlen wir uns plötzlich ein wenig sicherer, wenn wir per Anruf mit darüber entscheiden können, wer zum Sieger erkoren und wer zum Verlierer abgestempelt wird. Unsere Meinung ist scheinbar plötzlich gefragt. Unser Ja oder Nein hat plötzlich Gewicht. Und wenn wir selber das Recht haben, für gewisse Kandidaten den Daumen nach oben und für andere den Daumen nach unten zu halten, dann dürfen wir uns in der falschen Sicherheit wiegen, dass über uns gerade nicht Gericht abgehalten wird, denn wir gehören ja zum Richterkollegium. Und die, die manchmal verzweifelt um die Gunst der Juroren oder des Publikums kämpfen müssen, die realisieren plötzlich: denen kann ich eh nichts recht machen. Ich kann den Ansprüchen einfach nicht genügen. Darum reagieren sie dann auch so verzweifelt.

 

DU BIST WERTVOLL

Jesus sagt uns: Jeder und jede ist wertvoll, so wie er oder sie ist. Niemand hat das Recht, endgültig über irgendjemand anderen den Stab zu brechen. Niemand muss dem anderen seine Fehler vorhalten. Warum seht ihr den Splitter im Auge eures Nächsten, erkennt aber den Balken in eurem eigenen Auge nicht? Er sagt uns in Bezug auf unser Leben: Geht unbeirrbar euren Weg. Ihr braucht euch von niemandem zum Verlierer abstempeln zu lassen und auch ihr müsst niemanden zum Sieger küren und niemanden zum Verlierer machen.

Jeder und jede von Euch ist in irgendetwas gross. Jeder kann etwas für das Gemeinwohl beitragen. Darum habe ich mich erniedrigen lassen, damit niemand mehr kleiner sein kann, als ich. Jeder und jede kann etwas besonders gut. Nur für sich selber aufgespart bleibt es wertlos. Aber im Dienst für die Gemeinschaft eingebracht wird es zu einem grossen Gewinn für alle. Besinnt euch auf euer Potential.

 

ANGST-FREI

Und passend zum Palmsonntag muss die Schlussfolgerung lauten: Es braucht nicht die Palmen und den Jubel, wenn sie nur helfen, Menschen heute zu feiern und morgen in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Seit dem Einzug Jesu in Jerusalem damals vor 2000 Jahren braucht es verlässliche Partner, eine grosse Achtsamkeit im Umgang miteinander, die sagt: "Bei mir hast du die Möglichkeit, zu zeigen, was in dir steckt." Das lässt Menschen zu Siegern werden, auch wenn sie heute von unseren Fernsehsendern zu Verlierern gemacht werden,

nur um eine bessere Einschaltquote zu erzielen. Jesus sagt zu jedem und jeder von uns: "Bei mir hast du die Möglichkeit, zu zeigen, was in dir steckt. Sei mutig und frei von Angst". Amen.

Gudrun Dötsch

Nachlese Sonntag 17.3.24

Das Samenkorn der Veränderung: Die Kraft des Loslassens und des Neubeginns

Ich halte ein Samenkorn in der Hand.
Mein einziges Korn.
Sie sagen, ich soll das Korn in die Erde legen.
Ich muss mein Korn schützen,
mein einziges Korn.
Ich habe nie erlebt, dass es Frühling gibt

Sie sagen, es wächst neues Leben aus dem Korn.
Ich verliere mein Korn,
mein einziges Korn.
Ich habe nie erlebt, dass es Frühling gibt.

Sie sagen, ich muss mein Korn riskieren,
mein einziges Korn.
Aber ich habe nie Frühling erlebt.

Mein Geliebter sagt: Es gibt Frühling!
Ich lege mein Korn in die Erde. 


Dies ist ein Gedicht, ein wunderschönes Gedicht, das ich gelesen habe, als ich diese Predigt vorbereitete. Der Verfasser ist Unbekannt.

 

Die Symbolik des Samenkorns: Festhalten, Risiko und Veränderung

 

Wenn der Sprecher das Samenkorn hält, steht er für uns alle, die an etwas Kostbarem und Einzigartigem festhalten. Es symbolisiert unsere Verbundenheit mit unserem eigenen Leben, die Verbundenheit mit unseren Wünschen oder unseren Komfortzonen. Die Scheu, das Samenkorn loszulassen, reflektiert unsere Furcht vor Veränderung, vor dem Verlust von Kontrolle und vor dem Betreten des Unbekannten.

 

Die Sehnsucht nach Frühling: Überwindung der geistigen Trägheit

 

Die Wiederholung von „Ich habe nie den Frühling erlebt" betont ein Gefühl des Stillstandes, des Festhaltens in einer andauernden Winterzeit, in der Wachstum und Erneuerung fern und schwer erreichbar erscheinen. Dies spiegelt den Zustand geistiger Trägheit oder Passivität wider, in dem sich viele befinden. Sie halten an dem fest, was vertraut und sicher ist; aber sie sehnen sich nach Mehr.

 

Die Hoffnung im Loslassen: Neues Leben und Erneuerung

 

Es gibt jedoch eine Hoffnung: Die Gewissheit, dass aus dem Samenkorn neues Leben entsteht, zeigt, dass Veränderung und Erneuerung möglich ist.  Dies ist die Botschaft Jesu: Manchmal müssen wir riskieren loszulassen, an was wir uns gewöhnt haben, was uns lieb geworden ist, dann können wir uns für reichliches Wachstum und Fruchtbarkeit öffnen.

 

Die Paradoxien des Lebens: Sterben, um zu leben

 

Das Leben wird von weisen Menschen paradox beschrieben.

Sie, die gibt, empfängt.

Er, der glaubt alles zu wissen, weiss nichts.

Schweigen spricht lauter als Worte.

Unser Herr Jesus selbst stellt dieses Paradox auf, „Wer sein Leben liebt, verliert es" (Johannes 12,25). Besser gesagt: "Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen!"

 

Der Weg des Friedens: Mutige Entscheidungen für Versöhnung und Heilung

 

Diese Botschaft, die durch das Einsetzen des Samenkorns in die Erde vermittelt wird, wird in den Worten von Papst Franziskus widergespiegelt, der kürzlich den „Mut der weissen Fahne“ inmitten von Konflikten forderte. Angesichts von Krieg und Gewalt erinnert uns der Heilige Vater daran, dass wahre Stärke nicht in Aggression oder Herrschaft liegt, sondern in der Bereitschaft, Frieden durch Dialog und Verhandlungen anzustreben. Verhandeln, so betont er, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr ein mutiger Schritt auf dem Weg zur Versöhnung und Heilung.

 

Die Unwilligkeit, das Samenkorn loszulassen, spiegelt unsere Angst vor Veränderung, vor Kontrollverlust und vor dem Betreten des Unbekannten wider.

 

Die Kirchen in vielen Ländern haben das Risiko auf sich genommen, auf den Boden zu fallen und zu sterben: sie haben die Unterstützung der Mächtigen und Reichen verloren, indem sie sich für die Sache der Armen eingesetzt haben; genauso wie ein Samenkorn auf den Boden fallen und sterben muss, um neues Leben hervorzubringen, müssen auch wir bereit sein, unseren eigenen Stolz loszulassen.

 

Das Weizenkorn-Prinzip: Transformation und Fruchtbarkeit

 

Das Korn stirbt natürlich nicht wirklich, sondern wird völlig in etwas Neues transformiert: Wurzeln, Blätter und Früchte. Jesus spricht hier über sein eigenes Leben, das er hingegeben hat, um neues Leben zu gewinnen.

 

Die Weisheit im Verzicht: Die Kraft des Loslassens und der Selbsthingabe

 

Er vergleicht auch seinen bevorstehenden Tod mit dem eines Weizenkorns, das auf einem Feld gesät wird. Das Weizenkorn wird sterben, aber sein Tod wird fruchtbar sein und zu einer reichen Ernte beitragen.

 

Sterben geschieht auf viele Arten. Sterben heisst Abschied nehmen von dem, was vertraut ist. Es bedeutet, hinter sich zu lassen, woran man sich gewöhnt hat. Wir beginnen zu sterben, sobald wir geboren sind. Das Verlassen des dunklen vertrauten Mutterleibes und das Hinausgehen ins Licht ist eine Form des Sterbens. Das Laufenlernen ist ein Sterben in unserer Säuglingsphase.

 

Die Lesung aus dem Hebräerbrief bekräftigt, dass es Jesus’ Akzeptanz seines Schicksals war, die allen, die glauben, ewiges Heil brachte. Der betont das Paradox des Kreuzes: Jesu Tod bringt Heil und Leben.


Die Frucht des Glaubens: Einladung zur spirituellen Reife und Erneuerung

 

Zum Abschluss möchte ich einen kurzen Auszug aus einem Werk von Flor McCarthy, einem Salesianer, mit dem Titel 'Ein Weizenkorn muss sterben', vorlesen:

 

Jeder von uns ist wie ein von Gott gepflanztes Weizenkorn.

Und so wie ein Weizenkorn sterben muss, um eine Ernte hervorzubringen, müssen auch wir sterben, um uns selbst zu tragen, und um Früchte der Liebe hervorzubringen.

Dieses Sterben für sich selbst ist ein schrittweiser Prozess und geschieht auf kleine Weise.

Jede Handlung der Demut beinhaltet ein Sterben des Stolzes.

Jede Handlung des Mutes beinhaltet ein Sterben der Feigheit.

Jede Handlung der Güte beinhaltet ein Sterben der Grausamkeit.

Jede Handlung der Liebe beinhaltet ein Sterben der Selbstsucht.

So stirbt das falsche Selbst und das wahre Selbst, das nach Gottes Bild gemacht ist, wird geboren und genährt.

Es ist durch Geben, dass wir empfangen.

Es ist durch Vergeben, dass uns selbst vergeben wird.

Und es ist durch Sterben, dass wir zum ewigen Leben geboren werden.

Amen.

Br.George

Nachlese

3. Fastensonntag B 2024 Evangelium Joh 2,13-25

1. «Wir Christen verkündigen den Auferstandenen. Das ist für die einen ein Ärgernis, für andere eine Torheit.» - So schreibt der Apostel Paulus. Genau so fühlen sich heute viele Christen: Unverstanden! Für viele Menschen ist der Glaube Humbug, irrational, eine Dummheit oder wird schlicht nicht verstanden:

Es gibt ein grosses Bedauern, dass der Glaube offenbar nicht an die junge Generation weitergegeben wurde. Wo sind sie? Warum kommen sie nicht? Viele wenden sich von der Kirche ab, enttäuscht oder weil sie die Kirche nicht für ihr Leben brachen. Ist da offenbar einiges falsch gelaufen, dass der Kirche die Menschen davon laufen. Man kann sich damit trösten, dass weltweit die Zahl der Christen steigt durch die hohe Geburtenrate in Ländern wie Nigeria oder auf dem Südamerikanischen Kontinent.

 

2. In Gesprächen wird oft das Bedürfnis ausgesprochen, über den Glauben zu reden. Eine alte Dame aus unserer Pfarrei hat mich sehr berührt und ich möchte ihnen ihre Worte gerne weitergeben. Vielleicht können sie sie gut verstehen. Vielleicht treiben sie ähnliche Gedanken um:  «Ich denke, je älter man wird, umso schwieriger wird es, zu glauben. Glauben setzt Überzeugung Voraus. Überzeugung, die eher wackelt und eher der Hoffnung Platz macht, Hoffnung, die Raum gibt für Vertrauen. Wenn ich mich frage, was glaube ich, bin ich unsicher. Ein Credo beten mit Überzeugung, lieber nicht. und das hat nichts mit der Kirche, mit der Institution zu tun, die ich nach wie vor sehr schätze. es ist das Empfinde von Loslassen, Offenlassen und Vertrauen – Vertrauen nicht in etwas Konkretes, aber Vertrauen in Zukünftiges, das Antwort sein wird auf Gelebtes.»

 

3. Jesus haut ordentlich auf den Tisch im Tempel. So wütend hat man ihn selten gesehen. Was hat ihn so explodieren lassen? Ihr habt aus dem Haus meines Vaters eine Markthalle gemacht! Würde das auch heute für unsere Kirche zutreffen? Ist unsere Kirche zu einer Markthalle geworden? Welche Tische würde Jesus heute umwerfen und mit welchen Händlern im Tempel würde er sich anlegen? Ich lasse die Suche nach Antworten und Schuldigen hier gern offen. Es ist ja auch immer einfach mit dem Finger auf andere zu zeigen und von sich selbst abzulenken. Denn im Grunde heisst die Frage: Was bedeutet mir mein Glaube? Erwarte ich von Gott, dass er mir alle meine Gebete erfüllt. Glaube ist kein Handel auf dem Markt bei dem ich mit Gebeten von Gott eine Gegenleistung erwarten kann.

Vielleicht haben sie das letzte Wort von Alexei Nawalny gelesen, bevor das Gerichtsurteil gesprochen wurde. Nawalny war ein gläubiger Christ. Ohne seinen Glauben wäre er in der Einsamkeit, der Kälte und unter den Repressalien im Arbeitslager verrückt geworden. Er hielt sich fest an dem Wort aus der Bergpredigt: Selig, die hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit, sie werden satt werden. Friede und Gerechtigkeit, genug Brot für alle und nicht nur Wodka, das war seine Vision für seine Heimat. Nawalny wusste, dass das Regime seinen Tod wollte. Er erwartete als gläubiger Christ kein Wunder, dass Gott ihn retten würde.

Das ist das, was Jesus meinte: Ihr meint Gott bestechen zu können oder ihr wollt als Beweis für Gottes Existenz Wunder sehen. Vielleicht ist es eines der grössten Wunder, wieviel ein Mensch tragen und ertragen kann. Der Glaube gibt Trost, halt und Kraft. Denken sie z.B. auch an Dietrich Bonhoeffer, der sein Leben im KZ verlor. Sicher kannte Bonhoeffer auch die Zeilen aus der Lesung: Das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott stärker als die Menschen.

Diese Aussage erklärt, auch den Satz aus dem Evangelium: Jesus vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von ihnen kein Zeugnis über sich.

 

4. Die Menschen, selbst seine engsten Vertrauten waren eine Enttäuschung für ihn: Simon Petrus, der ihn verleugnen würde und Judas Isakriot, der ihn für einen Handvoll Silbermünzen verraten und ausliefern würde. Jesus wusste das. Wer blieb, aber leider ohne jegliche Macht und Einfluss waren seine Mutter Maria und die Frauen, allen voran Maria Magdalena. Unter dem Krauz waren sie da und einzig sein Lieblingsjünger Johannes.

Alle anderen hatten sich einen neuen König erhofft, einer der Ordnung macht und Wunder bewirken kann. Stattdessen hat Jesus die Werteordnung der Welt auf den Kopf gestellt, das Kleine Gross genannt, die letzten zu den Ersten ernannt, vom Dienen statt von Befehlsgewalt gesprochen.

 

5. Glaube ist keine Markthalle, wo man aussuchen, sich bedienen und Waren kaufen kann. Wir feiern an diesem Wochenende den Krankensonntag. Nach dem Schlusssegen haben sie die Möglichkeit, für sich persönlich den Segen als Stärkung für den Weg entgegenzunehmen. Manche von uns tragen ein Gebrechen mit sich oder sind krank. Aber alle hier hatten genug Kraft und Antrieb, in diesen Gottesdienst zu kommen. Andere fühlen sich gesund, aber wir wissen, das Blatt kann sich von heute auf morgen wenden. Das macht demütig und dankbar. Was erhoffen wir und was glauben wir?

Es wird wahrscheinlich nicht so sein, dass alle gesund und munter wie ein Reh aus der Kirche herausspringen. Die Knochen werden immer noch weh tun, die Krankheit immer noch belasten, der Kummer immer noch auf der Seele drücken.

Aber: Wir gehen getröstet und froh nach Hause in dem Glauben – einer inneren Gewissheit:  Gott ist bei mir. Er liebt nicht nur das Starke, sondern auch das Schwache in mir.

 

Ich lade sie ein, das nun in einem Moment der Stille zu versuchen, Gott unser Leben hinhalten, so wie es ist.

Gott ist da. Wir dürfen ihm unser Leben hinhalten und dürfen zu ihm sagen: "Hier, sieh mein Leben. Es ist vieles unvollkommen; vieles, was mir nicht passt. Aber das bin ich. So bin ich. So gut ich kann, bin ich jetzt da vor dir. Und ich bitte dich: Schenke mir deine heilende Gegenwart. Gott, du bist da. Das genügt."

Dann gehen uns mit der Zeit vielleicht die Augen auf und wir erkennen, was vorher unscheinbar verborgen und von uns nicht beachtet wurde: Gott hat meinen Leib zu einem Tempel des Heiligen Geistes gemacht und er wird mich wiederaufrichten.

Gudrun Dötsch

Nachlese

Die Predigt zum ersten Fastensonntag

Predigt zu Versuchung Jesu u. Beginn öffentl. Wirken Mk 1,12-15

"Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde dort vom Satan in Versuchung geführt." Die Versuchungen bestehen darin – ich fasse das so zusammen – sich selbst für Gott zu halten und zu meinen, die Welt retten zu können. Die Versuchung bestand sicher auch im Zweifel. Jesus hat sicher mit sich gerungen, ob er dem Auftrag gewachsen sei, den Gott, sein Vater im Himmel, zugedacht hatte.

„Er lebte mit den wilden Tieren“ – das ist sicher wörtlich zu verstehen, giftige schlangen, Schakale, Raubvögel usw. Aber wilde Tiere stehen auch für die inneren Dämonen, all die Gedanken, die auftauchen, wenn ein Mensch mit sich allein ist und sich selbst aussetzt. Jesus war gerade von Johannes im Jordan getauft worden und rang mit sich und Gott um seinen Weg, um seine Aufgabe, seine Berufung und die damit einhergehenden Konsequenzen, auf Unverständnis und Ablehnung zu stossen.

„Die Engel diensten ihm“, das heisst doch übersetzt: Er ging körperlich und seelisch unbeschadet aus der Prüfung hervor, die er sich selbst auferlegt hatte.

 

Und wir heute:  Was sind für uns heute die grössten Versuchungen unserer Zeit?

Ich denke, die Fülle und der Überfluss an Informationen; das Überangebot Waren und Gütern stellen heute schon eine unglaublich grosse Versuchung dar. Eine grosse Verführung sind die Falschnachrichten, Fotomontagen mit künstlicher Intelligenz, täuschend echt aber bewusst falsch präsentiert. Mir scheint, da hilft nur Lesen und Hören, möglichst breit Informationen einsammeln. Das braucht Zeit und ist anstrengend. Darauf darf auch nicht verzichtet werden.

Andererseits fördern die Berichte von Leid und Krieg auf der Welt auch das Gefühl der Ohnmacht: Wenn noch nicht einmal die einflussreichen Politiker sich auf einen Weg einigen können, was soll ich da ausrichten? Von dem her ist es vielleicht legitim, aus Selbstschutz, nicht Nachrichten zu schauen sondern zu lesen. So kann ich das Tempo der Informationsflut selbst bestimmen und mir die Bilder im Kopf entstehen lassen.

Es wird ja viel darüber gestritten, ob Videos von Gewalt unzensiert geteilt werden sollen. Brauchen wir diese Bilder oder fördern sie eine Abstumpfung und eine Verrohung der Gesellschaft auch bei uns?

 

40 Tage in der Wüste - Jesus war wirklich kein Weichling, sondern war hart im Nehmen. Jesus lebte unter einem brutalen Regime. Sein engster Vertrauter Johannes wird von Herodes ins Verlies geworfen und kurz darauf enthauptet. Sein Kopf wird als Trophäe auf einem Tablett vorgeführt. Grausame Zeiten. Und genau solche Bilder flimmern auch bei uns heute über die Bildschirme. Wie viele Menschen hausen in Zelten, haben weniger als das Nötigste, verschwinden auf Nimmer Wiedersehen in Gefängnissen, Arbeitslagern. Die Brutalität ist grenzenlos. Was ist los mit unserer Welt und wo ist das Reich Gottes, von dem Jesus sagt: es wird sichtbar in der Welt. Wo ist Gott? – fragen so viele.

 

Im Meditationsheft zum Hungertuch heisst es auf S.13 mit einer Anspielung auf Pontius Pilatus:

denken

Wir waschen die Hände in Unschuld

wir essen seit Jahren nur vegetarisch

wir sind noch nie in ein Flugzeug gestiegen

wir haben kein eigenes Auto

wir kaufen Gemüse direkt ab Hof

wir mischen uns nicht in fremde Händel

wir sind und bleiben neutral

ja waschen wir unsere Hände weiter

wir sind jeden Tag in guter Gesellschaft

doch dann am Karfreitag ist Schluss damit

siehst du den Dreck an deinen Händen

dann am Karfreitag ist es soweit

dass du mit deinem Denken beginnen musst -

nichts zu denken

ist zu wenig.

 

Der Text spricht mit scharfen Worten. Er zeigt mir, dass es um mehr geht als um ein ruhiges Gewissen. Wenn ich die Fastenzeit nur nutze, um ein paar überflüssige Kilo abzuspecken, habe ich den Sinn verfehlt. Es geht nicht primär um mich und um Wellness, Fastenkuren, am besten noch in einer Luxusklinik, sondern um uns, unsere Menschheitsfamilie.

 

Jesus zieht sich nach der Taufe durch Johannes im Jordan in die Wüste zurück. Der Geist treibt ihn in die Wüste. Wir erahnen, dass Jesus sich im innersten danach sehnte, seinen Weg zu erkennen. Er wird ganz auf sich selbst zurückgeworfen, auf die Dämonen in seinem Kopf, die ihm ein leichtes Leben versprechen, Macht und Einfluss. Er quält sich mit den Fragen und lässt nicht locker, bis er sich ganz mit Gott verbunden fühlt. Was soll ich tun? Was kann ich tun? Was ist meine Lebensaufgabe? Wieviel Zeit ist mir wohl dafür geschenkt? Immerhin ist Jesus nicht allein mit seinen Zweifeln, seinen Fragen und seinem Suchen. Wer tief in sich hineinhorcht, begegnet den inneren Dämonen, aber es sind auch Engel da, die helfen und beistehen.

 

Es geht also um mehr als nur um einen achtsamen Lebensstil und einen reduzierten, bewussten Gebrauch der Güter. Es geht um nicht weniger als um unser Seelenheil. Es geht um unsere Rückbindung an Gott und damit auch um die Verbindung mit jedem Menschen als Abbild Gottes.

 

In äusserst knappen Worten erzählt der Abschnitt aus dem Markusevangelium,

wie Jesus nach seinen Wüstenerfahrungen wieder nach Galiläa zurückkehrt

und dort sein öffentliches Auftreten beginnt: "Er verkündete die Frohe Botschaft und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe!"

Hier dürfen wir uns ganz direkt und ganz konkret angesprochen fühlen:

Jesus sagt heute auch zu uns: Nie war die Zeit drängender: Es darf nicht sein, dass Macht missbraucht wird, um Menschen zu unterdrücken. Es darf nicht sein, dass die Natur zugrunde gerichtet wird, um den Lebensstandard einer Minderheit der Menschheitsfamilie zu optimieren. Es ist an jedem und jeder einzelnen zu entscheiden, was die richtige Dosis ist und was sie sich zumuten kann. Eine Reduktion, ein einfaches, naturverbundenes Leben, schärft die Sinne und die Wahrnehmung. Man schaut genauer hin, man hört genauer hin. Gefühle, Hoffnungen, Gedanken, Ideen steigen auf. Auch Ängste melden sich: Wie soll es den nächsten Generationen auf unserer Welt gut gehen? Was muss geschehen, dass wir keinen Scherbenhaufen hinterlassen sondern dass unsere Welt zum Reich Gottes wird?

 

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wenn nicht Ihr, wer sonst?

Es gibt ein modernes Kirchenlied dessen Text ich ihnen gerne vorlesen möchte: Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde.

1) Der Herr wird nicht fragen: Was hast du gespart, was hast du alles besessen? Seine Frage wird lauten: Was hast du geschenkt, wen hast du geschätzt um meinetwillen?

2) Der Herr wird nicht fragen: Was hast du gewusst, was hast du Gescheites gelernt? Seine Frage wird lauten: was hast du bedacht, wem hast du genützt um meinetwillen?

3) Der Herr wird nicht fragen: Was hast Du beherrscht, was hast Du Dir unterworfen? Seine Frage wird lauten: Wem hast Du gedient, wen hast du umarmt, um meinetwillen?

4) Der Herr wird nicht fragen: Was hast Du bereist, was hast Du Dir leisten können? Seine Frage wird lauten: Was hast Du gewagt, wen hast Du befreit um meinetwillen?

5) Der Herr wird nicht fragen: Was hast Du gespeist, was hast Du Gutes getrunken? Seine Frage wird lauten: Was hast Du geteilt, wen hast du genährt um meinetwillen?

6) Der Herr wird nicht fragen: Was hast Du geglänzt, was hast Du Schönes getragen? Seine Frage wird lauten: Was hast Du bewirkt, wen hast Du gewärmt um meinetwillen?

7) Der Herr wird nicht fragen: Was hast Du gesagt? Was hast Du alles versprochen? Seine Frage wird lauten: Was hast Du getan, wen hast Du geliebt um meinetwillen?

8) Der Herr wird nicht fragen: Was hast Du erreicht, was hast Du Großes gegolten? Seine Frage wird lauten: Hast du mich erkannt? Ich war dein Bruder um deinetwillen! Jetzt ist Zeit jetzt ist die Stunde

Ref.: Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn er kommt

nichts ist zu wenig  (Text S.3)

wir alle können etwas tun

du und ich, sie, es und er

wir alle dürfen etwas können

tun wir also, was wir müssen

nichts ist zu wenig.
 

Gudrun Dötsch

Ein Tag mit Jesus: Worte, Wunder, Wirklichkeit

Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis

Wie sah wohl ein typischer Tag im Leben Jesu aus? Das Markusevangelium (Mk 1,29-39) stellt uns heute einen solchen «normalen» Tag vor: Jesus heilt in verschiedenen Situationen, zuerst in der Synagoge, dann in einem Privathaus, er begegnet Menschen auf der Strasse, zieht sich zum Gebet zurück. Am nächsten Tag zieht er weiter, und auch am neuen Ort sieht sein Alltag ähnlich aus. Mit diesem Bericht will uns Markus die Person Jesu, seine Sendung und sein Wirken näher bringen. Er zeigt uns einen tatkräftigen Jesus, der wenig redet, aber umso mehr handelt.

Das Evangelium hautnah erleben

Interessant finde ich den Schluss des heutigen Abschnitts, der sozusagen das Berufsprofil Jesu zusammenfasst: «Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.» (1,39) Verkündigung und Befreiung bzw. Heilung sind die beiden Haupttätigkeiten Jesu in seinem öffentlichen Wirken. Die Dämonenaustreibung steht für die Loslösung von allem, was den Menschen belastet und gefangen hält. Im damaligen Weltbild wurde alles Unheil und jede Krankheit auf das Wirken von Dämonen zurückgeführt. Die Befreiung vom Dämonischen meint also jede Hilfe, jede Einwirkung, um die Menschen wieder aufzurichten und ihnen ein glückliches und erfülltes Leben zu ermöglichen.

Jesus verkündete und heilte. Auch heute sehnen wir uns nach Menschen, die nicht nur schöne Worte reden, sondern auch entsprechend ihrer Versprechen handeln. Jesus war so einer. Die Menschen um ihn herum merkten das: Es gab einen Zusammenhang zwischen seiner Lehre, der Botschaft, die er verkündete, und dem, was er tat. Das Evangelium, das Jesus lehrte, war konkret, hautnah erfahrbar. Seine Worte wurden Wirklichkeit, sie hatten eine spürbare Wirkung.

Die Kraft der Worte

Wir sind uns dessen nicht immer bewusst, aber auch unsere Worte haben eine Wirkung. Worte können heilen, sie können wie Balsam sein, sie können aber auch verletzen. Worte können aufrichten, sie können aber auch zerstören. Diese Erfahrung haben wir alle schon gemacht, sei es als Sprechende oder als Empfänger der heilsamen oder verletzenden Botschaft.

Das lateinische Wort für «segnen» setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: «bene» und «dicere», gut und sagen. Benedeien und Benediktion erinnern uns an dieses lateinische Wort. Der Segen ist in diesem Sinne ein guter Zuspruch, ein gutes Wort über einen Menschen. Und dieser Zuspruch wirkt, verwandelt, ermutigt zum Guten. Wenn wir uns also als Gesegnete verstehen, wie wir es im Eingangslied gesungen haben, dann meinen wir damit, dass Gott uns Gutes zuspricht, Gutes zutraut und uns für gut erachtet. Und wer solche Anerkennung und Liebe erfährt, wird auch befähigt und ermutigt, diese Anerkennung – das Gefühl des Angenommenseins – weiterzugeben.

Und doch fällt uns Kritik oft leichter als Lob. Ausser vielleicht, wenn es um Menschen geht, die uns lieb und sympathisch sind. Aber sonst? Ob das nicht mit der eigenen Wahrnehmung zu tun hat? Mit dem eigenen Selbstwertgefühl? Manchmal fühlen wir uns wie Ijob, der von Gottes Segen und Zuwendung nichts spürt – da fällt es schwer, Gutes weiterzugeben. Aber wenn wir ein Gespür entwickeln für das Gute, für den Segen Gottes in unserem Leben, dann kann sich in unserer Wahrnehmung und in unserer Ausstrahlung etwas verändern. Dann müssen wir niemanden klein machen, weil wir uns selbst nicht klein fühlen.

Leben verändern: Vom Segen, gesegnet zu sein

Wir segnen gerne Gegenstände, Räume, Menschen und Tiere, heute werden wir Brot und Kerzen segnen. Wir wollen damit nichts Magisches tun, sondern unseren Glauben zum Ausdruck bringen, dass Gott mit uns ist und uns gut-heisst. Und seine Gegenwart erfahren wir nicht nur im Geistigen, sondern vor allem auch im Alltäglichen, im Materiellen, das uns durchs Leben begleitet. Im Brot, das uns nährt und das wir mit anderen teilen, in den Werkzeugen, die wir Tag für Tag benutzen, um Gutes zu bewirken, in den Räumen, in denen wir leben, in den Ritualen, die wir vollziehen. Gott ist überall erfahrbar, weil Gott mit uns ist, weil er uns liebt. Wenn wir diese Überzeugung verinnerlichen, können wir als Gesegnete zum Segen für andere werden. Wir können wie Jesus verkündigen und heilen: unseren Mitmenschen heilsam nahe sein, sie aufrichten und ermutigen, sie etwas von dem Guten spüren lassen, das wir selbst an uns erfahren haben.

 

Franziskanerkirche, 3./4. Februar 2024
Simone Parise

Nachlese Sonntag 14.1.2024

Kommt und Seht: Der Transformative Ruf Jesu in Unsere Kirche

Alles hat ungefähr so begonnen: Jesus hat Andreas und den anderen Jünger zu sich nach Hause eingeladen und gesagt: "Kommt und seht." Das muss für die jungen Männer erstaunlich gewesen sein, so dass sie sich sogar die Uhrzeit gemerkt haben, "es war um die 10. Stunde". Das ist der Anfang der Kirche. Der Ruf an die Jünger war der erste Schritt zur Bildung der Kirche.

Die Entfaltung des Glaubens: Vom Pfingstfest zur heutigen Zeit

Die Kirche wurde erst vollständig, als sie am Pfingstfest den Heiligen Geist empfing, aber der erste Ruf war der Anfang. Vor 2000 Jahren hat sich so über Generationen eine Kette von Gläubigen gebildet bis in unsere Zeit. Es ist ein grosses Wunder des Glaubens, dass zwölf gewöhnliche Menschen den neuen Weg von Jesus Christus in die ganze Welt verbreiten konnten. Fischer, ein Steuereintreiber, ein politischer Eiferer und ganz normale Menschen, die selten reisten, gingen buchstäblich ans Ende der Welt.

Doch wie hat das bei uns persönlich begonnen?

Wir hatten nicht die Chance, direkt von Jesus angesprochen zu werden. Es waren andere Menschen, die uns in die Kirche brachten. Man sagt: "Als du geboren wurdest, hat dich deine Mutter in die Kirche gebracht... Als du geheiratet hast, hat dich deine Frau/dein Mann in die Kirche gebracht... Wenn du stirbst, werden dich deine Freunde in die Kirche bringen... Warum versuchst du nicht, auch mal alleine in die Kirche zu kommen?"

Von Tradition zu Transformation: Mein Persönlicher Glaubensweg

Ich selbst bin in einer christlich-katholischen Familie geboren und wurde im Glauben eingeführt. Doch wie begann die Kirche in mir zu wachsen? Ich erinnere mich an ein prägendes Treffen mit einem Kapuzinerbruder aus einem nahegelegenen Kloster. Er fragte mich einfach: " Möchtest du unser Kloster besuchen? Komm und sieh!"

Von Katechismus über den Dienst als Ministrant bis hin zu einem Leben im Glauben - ich bin langsam in den Glauben hineingewachsen. Anfangs war es ein traditioneller Glaube mit klaren Grenzen zu Nicht-Christen, sogar zu Nicht-Katholiken. Ich glaubte, dass alles von Anfang an so von Gott angeordnet ist und für immer so bleiben müsse.

Aber dann kam das "Kommt und seht". Je mehr ich sah, desto mehr änderte sich in mir. Jesus näher zu kennen verändert uns und führt uns tief in den Glauben. Und seitdem ist vieles anders.

"Kommt und Seht" in der Gesellschaft: Der Wandel in Unserem Umfeld

Schau mal, welche Überzeugungen und Dinge sich in unserer Umgebung verändert haben, seit wir dem Ruf Jesu gefolgt sind - "Kommt und seht!"

Unsere Gesellschaft hat sich deutlich verändert, und damit auch das Glaubensleben und die Glaubenspraxis. Früher waren Nicht-Christen nicht akzeptabel, jetzt sind sie unsere Brüder und Schwestern. Früher waren Reformierten unberührbar, jetzt sind sie Mitgläubige. Man versteht heute kaum mehr, weshalb man sich nicht auch gegenseitig zum Abendmahl einladen kann.

Früher zählte die Mitgliedschaft in der Kirche, jetzt zählt der Glaube an Gott. Der Kirchgang hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Viele Menschen haben zwar noch irgendwie einen Gottesglauben, aber von der institutionellen Kirche haben sie sich verabschiedet.

Herausforderungen und Veränderungen: Die Dynamik des Glaubenslebens

Doch das "Kommt und seht" ist ein Prozess, bei dem wir mit Jesus sind und der uns sehr verändert. Was einst das Charakteristikum des Christentums war, hat sich in harte Forderung und Diskriminierung gewandelt. Heute warten Fragen wie das Pflichtzölibat oder die Frage der Gleichberechtigung der Frauen auf eine längst fällige Lösung. Papst Franziskus hat neuerdings die Erlaubnis gegeben, auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu segnen. Was früher undenkbar schien, wird plötzlich offen in Frage gestellt.

Die Transformative Kraft des "Kommt und Seht"

Wenn wir kommen und sehen, dann passieren Veränderungen. Die katholische Kirche durchläuft im Laufe der Zeit verschiedene Entwicklungen und Erneuerungen in ihrer pastoralen Arbeit und Lehre, um den Gläubigen näher zu kommen und ihre spirituellen Bedürfnisse besser zu erfüllen.

Das "Kommt und seht" von Jesus ist nicht nur eine Einladung zu einem Ort, sondern zu einer Beziehung, um Teil seines Lebens zu werden. Die Jünger folgten dieser Einladung, sahen, wo er blieb, und verweilten bei ihm. Diese Erfahrung inspirierte sie so sehr, dass sie radikal transformiert wurden.

Die Zukunft der Kirche: "Kommt und Seht" als Kontinuierlicher Prozess

Die Botschaft bleibt klar: Die Einladung Jesu, mit ihm zu bleiben, hat eine verwandelnde Kraft. Wenn wir uns darauf einlassen, können wir eine tiefere Beziehung zu ihm entwickeln und uns selbst sowie unsere Überzeugungen erneuern. Seit der ersten Einladung an die Jünger bleibt die Kirche bei Jesus, in seiner Gegenwart zu Hause. Je länger die Kirche bei Jesus bleibt, desto mehr lernt sie ihn kennen, desto tiefer wird die Beziehung, und desto radikaler werden die Veränderungen. Einiges wird sich in uns ändern, auch in der Kirche – auch in der Kirche - ja es muss sich ändern.

Kommt und seht!

Br.George

Nachlese Predigt zum Fest Epiphanie

Evangelium Die Huldigung der Sterndeuter Mt 2, 1—12

Ansprache: MENSCHEN SEHNEN SICH NACH DEM KÖNIG DER WELT

Die drei Könige stehen für die damals bekannten Erdteile – Asien, Europa und Afrika - und für die drei Alter – jung-mittel-alt. Menschen unterschiedlicher sie nicht sein können, verfeindet vielleicht, mit verschiedenen Religionen, finden zusammen vor der Krippe. Ob sich hinter den Sterndeutern tatsächlich Könige, oder Astrologen, Priester oder Wissenschaftler verbergen muss dahingestellt bleiben, das erscheint auch für uns nicht wichtig. Entscheidend ist, dass Menschen die Zeichen der Zeit bzw. der Sterne deuten und sich auf den Weg machen, um die Geburt eines aussergewöhnlichen Königs zu bestaunen.

Wenn das Evangelium heute geschrieben würde, wer würde sich da einfinden, zusammen auf die Knie fallen vor dem König der Welt, vor dem Friedensfürsten? Hungernde und Satte, Ukrainer und Russen, Chinesen und Amerikaner, Palästinenser und Israelis… Aller Zwist und Hass würde vergessen, weil sie sich alle an diesem Kind an der geteilten Sehnsucht und Hoffnung auf Erlösung und Frieden ausrichten. Das ist in jedem Menschen im Innersten gleich - egal wie alt, woher und mit welcher Lebensgeschichte. Das ist die Vision des Evangelisten Matthäus, dass alle Menschen erkennen: Gott – egal welchen Namen wir ihm geben und wie wir ihn ansprechen – ist hier bei uns auf der Welt. Gott will der Welt Frieden schenken. Sein Licht soll erstrahlen und die Welt in seinen Glanz stellen. Und wir wissen, dass Gottfried Ephraim Lessing in seiner Ringparabel und Hans Küng Recht hatten: Keine Friede auf der Welt ohne Frieden unter den Religionen. 

Viele sind in ihrer Verunsicherung soweit, dass sie sich auch einen wünschen, der durchgreift. Kann ein Politiker diese Hoffnung je erfüllen? Ein Ghandi, ein Nelson Mandela, ein Martin Luther King – vielleicht werden auch Falsche an die Macht gewählt wie vor knapp hundert Jahren in Deutschland. Grosse Versprechungen, grosse Worte… und dann verheerende Taten – Kriegsheere, die zur Machterhaltung ausgesendet werden. Nein, einen solchen Führer wollen wir nicht. Wir sind wie die Sterndeuter zur Krippe gekommen, weil wir den Fürst des Friedens, das Licht der Völker sehen wollen. Wir wollen Frieden und bringen auch die Hoffnung mit auf Versöhnung mit unseren eigenen Dunkelheiten und Lebensgeschichten.

SCHEITERN

Dieses Kind wird scheitern: Bei seiner Geburt versammelte sich die Welt. Bei seiner Kreuzigung werden Schaulustige nach Jerusalem strömen, um dabei zu sein, wie sie die Verbrecher hinrichten. Seiner Mutter Maria wird der Schmerz wie ein Schwert durch die Seele dringen.

Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder auf von Krieg und Zerstörung, Bilder von Opfern, Videos von Tätern, wie sie Opfer misshandeln, Zerstörte Häuser, Menschen, die umherirren und nicht ein und aus wissen. Ich komme mir da auch wie ein unfreiwilliger Zaungast vor. Am schlimmsten ist die Ohnmacht, die ich fühle, nichts ändern zu können und schon fast eine Scham, dass ich das Glück habe in diesem Land und in Sicherheit zu leben, mit Freunden und Familie an einen Tisch Platz nehmen darf, Essen und Trinken, Wohlwollen und unzensierte Gespräche. Das möchte ich doch für alle Menschen wünschen.

HANDELN

Wir leben und jeder und jede von uns hat eine Rolle und eine Aufgabe in der Heilsgeschichte Gottes. Gott hat uns eine bestimmte in unserer Lebensgeschichte im Hier und Jetzt zugedacht. Er hat uns nicht nur als Statisten oder Komparsen eingesetzt. Jeder und jede von uns hat eine Hauptrolle im Weltgeschehen.

Wir sind heute hierhergekommen, haben uns aufgemacht zum Gottesdienst. Wir verschanzen uns nicht und kleben nicht im bequemen Sessel daheim. Mit den Hirten und den Sterndeutern kommen wir zu Krippe. Die Bekleidung der Könige und auch die Geschenke waren gewiss ausgefallen: Gold, Weihrauch und Myrrhe – Symbolisch für den König, den Gott und das Leiden, das er auf sich nehmen wird. Es gäbe praktischere Geschenke, wie sie vielleicht die Hirten mitgebracht haben: Windeln, ein Lammfell zum Wärmen, etwas zu Essen, damit die Mutter nach der Geburt wieder zu Kräften kommt.

Was bringen wir mit: Dank, dass wir uns an Jesus orientieren können, dass er das Licht ist, das uns unseren Lebensweg erleuchtet. Ich denke an Menschen, die aus ihrer Bahn geworfen werden wegen einer Trennung, wegen einer schlimmen Krankheitsdiagnose, wie sie die Arbeitsstelle verloren haben oder weil ihnen die Wohnung gekündigt wurde. Von uns ist eine Haltung gefragt und gefordert: Schauen wir von oben herab? Ach der Arme, tut mir leid, aber da kann ich leider nicht helfen. Da ist leider nichts zu machen?

WISSE DIE WEGE (HILDEGARD VON BINGEN)

Oder geben wir uns als Ortskundige zu erkennen: Ich weiss da einen Ausweg. Ich kenne Wege, wie sich die Not lindern lässt.

Viele von ihnen waren an Weihnachten hier und ich möchte ihnen herzlich für die grossen Spenden danken besonders an das Kinderspital in Betlehem aber auch das ganze Jahr über. Betlehem ist nur ein unbedeutender Ort in Juda, so heisst es beim Propheten Jesaia. Und Betlehem ist auch heute nur so gross wie ein Fliegenschiss auf der Landkarte. Aber dennoch geht von diesem Ort und von diesem Spital eine Hoffnungsbotschaft aus, dass ALLEN Kindern geholfen wird, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit. ich will damit sagen, dass auch kleine Anfänge grosse Wirkung haben und Kreise ziehen können.

Danke, wenn sie spenden, wenn sie sich politisch oder sozial engagieren. Danke wenn sie sich um ein angenehmes Miteinander kümmern, Frieden fördern, an einen gemeinsamen Tisch einladen. Wie oft ist unsere Hand und unser Herz gefragt. Wie oft sind es die kleinen Dinge, die so glücklich machen.

In unserer Zeit ist Radikalisierung und Polarisierung für viele der einfachste Weg, sich in der Welt zurecht zu finden. Die Welt ist aber nicht so einfach, nicht nur Schwarz und Weiss. Gott hat mit einer ganz bunten Palette gemalt und jedes von uns zu einem Einzelstück gemacht. Jeder und jede von uns ist ein Lieblingsmensch Gottes. Wir schauen dem Kind in die Augen und lesen darin: Auch auf dich kommt es an, dass diese Welt zu einem schönen Ort wird, dass Menschen und Schöpfung nicht unter die Räder der Herodesse unserer Zeit kommen.

EINFACH UND KLAR

In einem christlichen Gedicht „In the bleak midwinter“, das zu einem beliebten englischen Weihnachtslied wurde schrieb Christina Rossetti in der letzten Strophe:

Was kann ich ihm geben,

arm wie ich bin?

Wäre ich ein Schäfer, brächte ich ein Lamm;

wäre ich ein Weiser, würde ich meinen Teil beitragen,

doch was ich ihm geben kann,

das gebe ich ihm, mein Herz.

Ein Gott mit «Fleisch am Knochen»

Predigt zum Weihnachtstag

Ich weiss nicht, ob Sie das auch so sehen, aber die Heilige Nacht und der erste Weihnachtstag können doch irgendwie unterschiedlicher nicht sein. In der Christmette klang es noch «Stille Nacht» und «schlaf in himmlischer Ruh’» und heute haben wir den Gottesdienst am hellichten Tag mit dem Weihnachtsoratoium von Bach, mit Pauken und Fanfaren begonnen: «Jauchzet, frohlocket». Die Feier der Heiligen Nacht mit Krippe, Kind, Engeln und Hirten hat etwas Magisches und Besinnliches. Heute, am Tag, haben wir es mit einer nüchternen und anspruchsvollen Botschaft zu tun. In der Nacht haben wir die wohl meisterzählte Geschichte der Welt gehört und heute, am Tag, einen der schwierigsten Texte der Bibel.

Ja, es stimmt, die Weihnachtsnacht und der Weihnachtstag könnten unterschiedlicher nicht sein. Aber für mich braucht es beides: das Besinnliche und Magische der Nacht und das Nüchterne und Herausfordernde des Tages. Denn Weihnachten ist für mich nicht nur eine märchenhafte Erzählung und darf zugleich nicht nur eine nüchterne Glaubensvorstellung sein. Für mich braucht es das Wunder und zugleich die Realität.

«Und das Wort ist Fleisch geworden...»

Im Vorwort aus dem Johannesevangelium haben wir einen Schlüsselsatz für Weihnachten gehört: «Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt». Diese etwas sperrige Aussage erschliesst sich uns nicht auf Anhieb. Versuchen wir sie ein wenig zu entschlüsseln. In der Schweiz kennen wir den Ausdruck «Fleisch am Knochen». Keine Angst, ich spreche jetzt nicht vom Weihnachtsbraten. Das bleibt eine vegetarische Predigt. Meistens verwenden wir diese Redewendung, um auf einen Mangel hinzuweisen. Wenn etwas mehr Fleisch am Knochen braucht, dann muss es konkreter, reichhaltiger, substantieller werden. Diese Redewendung hilft uns, die Aussage des Johannesevangeliums zu verstehen. Das Wort ist Fleisch geworden bedeutet nämlich, dass Gott nicht eine abstrakte, abgehobene Idee oder eine unverständliche Botschaft geblieben ist, sondern in Jesus konkret, greifbar und erfahrbar geworden ist.

Das Weihnachtsevangelium sagt uns etwas Unerhörtes: Der höchste Ausdruck des göttlichen Wortes ist die Menschlichkeit. Durch die Menschlichkeit Jesu, die in einer stillen, geheimnisvollen Nacht begann, blicken wir auf Gott. Der unergründliche Gott wird begreifbar und menschennah. In diesem Sinne ist Weihnachten das Fest der Konkretheit: Gott ist keine Floskel, kein leeres Versprechen - Gott hat «Fleisch am Knochen». Und so ist die Botschaft dieser Tage nicht nur eine nette Geschichte, die man bei Kerzenschein erzählt und dann mit dem Weihnachtsschmuck wegräumt, sondern eine konkrete Wirklichkeit, die von uns gelebt werden will. Auch wir sollen Menschen mit «Fleisch am Knochen» werden, also greifbare Menschen mit Substanz - nicht Gläubige der leeren Worte, sondern der fassbaren Taten. So wie Jesus, der die Liebe nicht gepredigt, sondern gelebt hat.

Gott in unserer Lebensrealität

Dieser Jesus, der damals in Betlehem zur Welt kam, bleibt Gegenwärtig in unserer Wirklichkeit. Die Menschwerdung Gottes, das feiern wir heute, ereignet sich immer wieder neu. Das bedeutet, dass der lebendige Christus durch seinen Geist und durch unseren Glauben in stets neue Räume der menschlichen Kultur und Gesellschaft eintritt. Und zwar als dynamische und verwandelnde Kraft, die auch durch uns wirken soll. Gott hat «Fleisch am Knochen», auch heute, wo sich viele Menschen vom Glauben distanzieren, weil für sie Gott keine reale, existentielle Bedeutung mehr spielt. Vielleicht sind auch wir ein bisschen schuld daran. Vielleicht haben wir zu lange einen Gott verkündet und bezeugt, der mit uns Menschen, mit unserer Zeit, mit unserer Kultur, nichts am Hut hat.

Weihnachten lädt uns ein, uns neu auf das Abendteuer der Suche nach dem Lebendigen Christus in unserer Zeit und in unserer Lebenswelt einzulassen. Auf dieser Suche können wir auch unsere Lebendigkeit und unsere Erfüllung finden. «In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen», heisst es im Evangelium. Möge dieses Licht, das von der Finsternis nicht ergriffen werden kann, uns helfen, uns immer konkreter Jesus anzunähern. Denn auch wir können Liebe in unserem Alltag leben, wenn wir bereit sind, eine weihnachtliche, nämlich menschennahe und menschenfreundliche Grundhaltung einzunehmen. Eine solche Grundhaltung der Freundlichkeit und Nähe kann uns und die Welt verwandeln. Dann wird das Wunder von Weihnachten zu einer neuen Wirklichkeit und unser Glaube an den lebendigen Christus zu etwas Konkretem, das viel Fleisch am Knochen hat.

 

Franziskanerkirche, 25.12.2023
Simone Parise

Damals und heute

Predigt zu Heilig Abend

Weihnachten! Endlich! Wie haben wir uns alle darauf gefreut. Das Evangelium (Lukas 2, 1-14) trifft unsere Stimmungslage in unserer Welt heute ziemlich genau: Es beginnt mit dem Weltgeschehen: Der gierige und machtbesessene Augustus und sein Handlanger Quirinius zwängen dem Volk Opfer auf. Eintrag in Steuerlisten, damit dem Kaiser nichts entgeht. Genauso heute die Despoten, die ihre Völker ausquetschen, ihnen Heimat, Auskommen und Gerechtigkeit vorenthalten. Krieg, Hunger und Gewalt toben in so vielen Ländern wegen der Korruption und Gier.

Dann die Heilige Familie: Hochschwanger auf dem Esel reiten einmal quer durch das Land, keinen herberge finden – ein Elendsbild, das wir auch heute von Bildern aus dem Fernsehen kennen. Armut in der Ferne und Armut ganz nah: Die versteckte Armut in der Schweiz steigt an. Obdachlose sind unübersehbar im Strassenbild von Luzern.

Dann geht der Blick zu den Hirten. Beim alttestamentlichen Propheten Maleachi wird das Bild der Hirten gezeichnet, wie sie beim Volk verachtet waren. Man unterstellte ihnen, herumzustreunen und er nennt vor allem die Hirten, die es mit der Reinheit der Opfertiere nicht so genau nahmen. Diese Hirten mussten sich gemäss der alten Vorstellung besonders um ihr Seelenheil fürchten, wenn am Ende der Zeit Gott in seiner Herrlichkeit erscheint und Gericht hält. Also dürfen wir uns die Hirten als eine eher nicht besonders angesehene, wenn nicht gar verachtete Randgruppe vorstellen.

Also: Politische Unruhen und Ungerechtigkeit, persönliche Not einer Familie und ganze Volksgruppen, die man schon allein wegen der vielen Vorurteile eher meidet. Damals wie heute gibt es in diese Lage einen Lichtblick, die Engel: Sie verkünden grosse Freude, die allen gilt, dem ganzen Volk zuteilwerden soll.

Menschwerdung Gottes

Gott hat sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen, damit endlich Frieden und Gerechtigkeit werde: Der Allerhöchste macht sich persönlich auf und präsentiert den Retter: Als Mensch unter Menschen, logisch mit einer Geburt. Aber muss es in einem abgelegenen Stall unter ärmlichsten Bedingungen sein? Auf die Idee muss man erst einmal kommen und was hat sich Gott dabei gedacht? Was wollte er damit sagen? Gott stellt die Welt auf den Kopf. Kein Stock mehr, der auf einen Menschen niederprasselt – Alle Gewalt wird zerbrochen. Es gibt kein Kind mehr, das vor Hunger nur wenige Tage überlebt, sondern reiche Ernte; kein drückendes Joch, Freude und Jubel, ein Ende der Kriege. Das ist eine Utopie, eine Welt, die es so noch nicht gibt. Aber diese Welt wird als radikale Alternative wach gehalten und jeder und jede von uns kennt und teilt diesen Traum. Für die einen ist das Kitsch und eine Illusion. Andererseits würde das leben depressiv und hoffnungslos ohne diese Bilder. Manche können die schönen Texte der Weihnachtslieder nicht mitsingen, weil sie so verstörend wirken und so weit von der Realität weg sind.

Weihnachten ist ein Kontrastprogramm! Nur Menschen, die sich stören lassen und etwas vermissen, sind offen für etwas Neues und haben eine Sehnsucht in sich nach einer Welt in Frieden und Harmonie.

Gewohnheit versus Aufbruch

Das ist das Schwierige an Weihnachten: Eigentlich wollen wir auch an Weihnachten alles so, wie wir es gewohnt sind mit den lieben und vertrauten Ritualen. Die Familie findet sich ein, alle strengen sich an und geben ihr Bestes. Geschenke, das Festtagsessen mit dem einhergehenden Vorbereitungen, der Weihnachtsbaum darf nicht fehlen und die Geschenke sind ein schöner Brauch. Das ist alles schön und richtig. Aber das wichtigste ist: Mit der Heiligen Nacht will eine neue Welt anbrechen!

Ein Himmlisches Engelsheer bringt die Nachricht: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.

Gott in der Höhe wird Ehre und Dank erwiesen für das Wunder der Menschwerdung. Friede sei auf Erden. Das gilt für die Menschen seines Wohlgefallens, das sind die Menschen, die sich an Gott ausrichten, seine Vision teilen und den Frieden umsetzen. Die frohe Botschaft ist nicht deshalb froh, weil wir uns Mühe geben, fröhlich zu sein. Das Zentrum ist der Friede auf Erden, eine neue Welt- und Friedensordnung! Menschen seines Wohlgefallens sind Menschen, die mit Gott rechnen. Es sind Menschen, die nicht sich selbst und ihr Ich als Zentrum des Universums anerkennen. Menschen die eine Vision haben, dass es etwas größeres und umfassendes gibt, wagen neue Wege und denken grösser und weiter. Sie haben eine Ahnung was sich hinter dem Geheimnis verbirgt, das sich in dem Wort „Ich glaube an Gott“ aussagen.

Wenn Gott sich schon so etwas Verrücktes einfallen lässt, mit uns hier auf der Welt unterwegs zu sein und gleichzeitig alle und alles in seinen Händen zu bergen, dann hat das Folgen! Diese Botschaft ermutigt die Hoffnungslosen, stärkt die Schwachen, lädt ein, sich nicht mit einem vielleicht oder ein wenig zufrieden zu sein. Weihnachten stellt die Welt auf den Kopf.

Das Evangelium beginnt mit Kaiser Augustus und seinen Schergen die das Volk unterdrücken – Der Zimmermann Josef steht mit seiner Familie für den gehobenen Mittelstand, während die Hirten die untersten Schichten der Gesellschaft respräsentieren. Von oben schauen sie auf das Volk hinab und bedienen sich, treiben Steuern ein, bedrohen, verhaften, werfen ins Gefängnis, verurteilen und morden. Ganz unten liegt das Kind in der Krippe, dem Herodes nach dem Leben trachtet, weil er die Bedrohung ahnt: Das Kleine wird gross. Der Ohnmächtige wird die Macht bekommen.

In Jesus, dem Kind das in der Krippe liegt, schaut Gott die Welt von unten an. Wer statt von oben hinab von unten hinauf schaut, der hat den weiteren und offeneren Blick auf die Sterne.

Perspektivenwechsel

Weihnachten heißt Hoffen


Die Wahrheit ist
Dass Weihnachten nur noch ein Konsumfest ist


Ich glaube nicht
Dass ich in diesen Tagen zur Ruhe kommen kann
Dass ich den Weg nach innen finde
Dass ich meine Blickrichtung ändern kann


Es ist doch so
Dass in unserer Zeit der Glaube verdunstet


Ich kann mir nicht vorstellen
Gott ist wirklich unter uns

Gott wechselt die Perspektive.
Gott kommt auf die Erde!

 

Und nun lest den Text von unten nach oben!

 

Gott kommt auf die Erde!

Gott wechselt die Perspektive.

Gott ist wirklich unter uns

 

Ich kann mir nicht vorstellen

Dass in unserer Zeit der Glaube verdunstet

 

Es ist doch so

Dass ich meine Blickrichtung ändern kann

Dass ich in diesen Tagen zur Ruhe kommen kann

Dass ich den Weg nach innen finde

 

Ich glaube nicht

Dass Weihnachten nur noch ein Konsumfest ist

 

die Wahrheit ist

Weihnachten heißt Hoffen

 

Franziskanerkirche, 24.12.2023
Gudrun Dötsch
 

Komm in unser festes Haus

Predigt zum 4. Advent

Das Lied, das wir vor dem Bussakt gesungen haben, die Nummer 592, ist eines meiner Lieblingslieder aus unserem Gesangbuch. Jedes Mal, wenn ich es singe, berührt es mich irgendwie neu. Schlagen Sie es noch einmal auf.

Die vierte Strophe dieses Liedes passt wunderbar zu den heutigen Lesungen: «Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen. Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen; denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.» Zwei gegensätzliche Bilder tauchen hier auf: Auf der einen Seite die Stabilität des Hauses, auf der anderen Seite das Provisorium des Zeltes.

Wie wir in der Lesung aus dem Ersten Testament gehört haben, konnte es König David nicht ertragen, dass die Bundeslade mit den Gesetzestafeln, das Allerheiligste, in einem Zelt aufbewahrt wurde, während er in einem festen, stabilen Haus wohnte. Vielleicht von seinem schlechten Gewissen geplagt, wollte er für Gott ein würdiges Haus bauen lassen. Aber Gott lässt sich nicht darauf ein. Der Ewige will mit seinem Volk mitgehen und sich nicht an einen Ort binden lassen. Er ist kein Gott der Statik und der Sicherheit, sondern ein Gott des Aufbruchs. Als der Tempel schließlich gebaut und später zerstört wurde und die Bundeslade verloren ging, hatte Gott plötzlich kein offensichtliches Zuhause mehr. Die Israeliten lebten in der Fremde - und auch dort machten sie die Erfahrung, dass Gott mit ihnen war.

Verkündigung in jedem Augenblick: Gott ist da

Diese lebendige und bleibende Gegenwart wird durch die Verkündigung an Maria neu sichtbar. Gott wird Mensch. Im Johannesevangelium, das wir bald an Weihnachten hören werden, heisst es: «Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt». Gott nimmt Wohnung in unserer menschlichen Existenz. Wie uns die Weihnachtsgeschichte und das Leben Jesu zeigen, bleibt Gott sich selbst treu, nämlich ein Gott des Aufbruchs, nicht des Stillstands. Jesus kommt auf dem Weg zur Welt, unter prekären Bedingungen, und bleibt sein Leben lang mit den Menschen unterwegs.

Die Verkündigungsgeschichte, die uns in die Menschwerdung Gottes einführt und uns Gottes Nähe so wunderbar vor Augen führt, ist immer aktuell. Deshalb hören wir sie immer wieder im Kirchenjahr. Deshalb ist es Tradition, dass täglich um die Mittagszeit das Gebet des Engels gebetet wird. Die Kirchenglocken laden uns um 12 Uhr zu diesem Gebet ein und erinnern uns an diese Geschichte. Wenn wir also das nächste Mal zur Mittagsstunde die Kirchenglocken hören, auch wenn wir keine Zeit zum Beten haben, können wir doch kurz daran denken, dass Gott nicht in einem festen Haus wohnt, nicht hier in unserem Tabernakel im schönen barocken Hochaltar, sondern dass er in diesem Augenblick da ist, mitten unter uns, mitten in unserem Leben. Und so sind auch wir berufen, da zu sein, mitten im Leben, nicht als statische und unbewegliche Menschen, sondern als Menschen des Aufbruchs, die auf dem Weg zu Gott und zueinander bleiben.

Es ist überhaupt nicht einfach so zu leben, immer zum Aufbruch bereit zu sein. Wir mögen die Stabilität und die Sicherheiten unserer «festen Häuser». Trotzdem müssen wir aber acht geben, dass wir uns damit nicht selber im Weg stehen, unsere eigene Entwicklung verhindern und unser Potential nicht ausschöpfen. Weil es eine grosse grosse Herausforderung ist können wir uns aber auch betend zu Gott wenden: «Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen. Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen; denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.»

Amen.

 

Franziskanerkirche, 23.12.2023
Simone Parise

Sonntag 3. Advent

Predigt zu Joh 1,6-8.19-28 (Johannes predigt in der Wüste)

 

WÜSTENERFAHRUNG ALS BEDROHUNG UND BELASTUNGSPROBE

Ich beginne mit der Frage: "Wo fühlt sich mein Leben wie eine Wüste an?" Die Erfahrung der Wüste kann sich in verschiedenen Lebens-Phasen sehr deutlich zeigen:

- Eine Beziehung, die sich im Alltag abgenutzt hat. Vieles wirkt selbstverständlich, anderes nervt… Wie kann ich die Liebe wieder aktivieren, meinem Gegenüber wieder wie früher Aufmerksamkeit und Wertschätzung zukommen lassen?

- Ein Mensch entdeckt, dass er oder sie zu lange nur im Aussen gelebt und sich im Beruf und Aktivitäten verausgabt hat. Alle Kräfte sind ins Tun geflossen. Innere Leere und der Wunsch nach einer neuen Ausrichtung und Stärkung des Inneren toben über diesen Menschen wie ein Sandsturm nahe an einem Burn-Out. Als glaubende Menschen würden wir sagen: Die Sehnsucht nach Transzendenz, nach Gott und nach Sinnstiftung drängt sich auf.

- Ein Mensch verliert nach einem gemeinsamen Leben den Partner oder die Partnerin. Und muss sich neu orientieren, das eigene Leben neu entwerfen. Allein und übriggeblieben. Wie soll das Leben weitergehen?

- Die einsamen, physisch oder psychisch eingeschränkten Menschen, deren Radius auf ihre Wohnung - und sei sie noch so schön- beschränkt ist.

 

Das sind Beispiele, die mir zum Stichwort Wüste einfallen.

Vielleicht kommen Ihnen jetzt noch ganz andere Dinge in den Sinn, die zu den Wüstenerfahrungen des Lebens zählen müssen.

 

WÜSTENERFAHRUNGEN ALS GOTTESERFAHRUNG

Im heutigen Evangelium begegnet uns Johannes der Täufer als der Rufer in der Wüste.

Die Wüste ist in der Bibel immer ein Ort der Gotteserfahrung. 

Johannes wird für die Reinkarnation des Elija gehalten, der sich depressiv und lebensmüde in die Wüste zurückzieht. Ein Engel stellt Elija einen Fladen Brot und einen Krug Wasser ans Kopfende und fordert ihn auf, aufzustehen, zu essen und zu trinken, sonst sei der Weg zu weit.

Die Wüste ist ein Synonym für Einsamkeit, Abgeschiedenheit, das Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst, Stille. Wüste beinhaltet auch körperliche Strapaze und psychische Belastungsproben, die Angst ums nackte Überleben.

Die Wüste ist mehr als nur eine Landschaft, sondern auch ein Bild für eine Zeit der Verwandlung und des Aufbruchs von etwas Neuem.

 

WÜSTENERFAHRUNG ALS BILD DES AUFBRUCHS ZU NEUEM

Wüstenerfahrung steht auf den ersten Blick das Lebensfeindliche: In die Wüste wird man geschickt, da geht man eher nicht freiwillig hin. Andererseits kostet es viel Kraft zu verharren im Alten, das sich nicht mehr bewährt und Entwicklung und Leben behindert. Ich kann all das Unangenehme mit Aktionismus überdecken. Die Wüste will durchschritten werden! Und: Leider haben wir alle kein Kamel daheim im Stall, das uns tragen würde. Deshalb müssen wir uns mühsam zu Fuss auf den Weg machen.

Im heutigen Evangelium sagt Johannes der Täufer: „Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft:  Ebnet den Weg für den Herrn!“

 

Wie können wir Gott den Weg ebnen?

Im Persönlichen heisst das, den Kopf nicht bei der ersten Enttäuschung hängen zu lassen oder zu resignieren.

Viele Lebenszeugnisse und Beispiele – von der Bibel bis zu Teilhard de Jardin und Antoine de Exupery-  ermutigen, in Wüstenerfahrungen gerade dort eine Oase zu suchen, wo das Leben intensiv wird und wo man Unannehmlichkeiten nicht mehr ausweichen kann.

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WÜSTENERFAHRUNG ALS CHANCE

In all unseren Wüsten-Erfahrungen dürfen wir mit Gott rechnen. Ich höre, die innere Stimme, in der Gott zu mir spricht, zu welchem nächsten Schritt sie mich auffordert und welche Richtung ich einschlagen soll. Wenn ich mir nicht gewiss bin, ob ich einen klaren Rat erkenne, dann suche ich das Gespräch mit Gott. Beten, das ist eine Möglichkeit in Wüstenerfahrungen Orientierung zu erhalten. Einfach kopflos loszurennen ist in der Wüste nicht zu empfehlen.

 

Der Rufer in der Wüste möchte mich an meine Berufung erinnern: „Wo wolltest du hin in deinem Leben und wo stehst du aktuell? Wo kommst du nicht weiter?“ Dem Herrn den Weg ebnen, meint, sich auf das Wagnis der Wüste einzulassen. Wüste bedeutet, die Leere, das Ungewisse, das Schmerzhafte nicht zuzudecken mit Aktionismus, Ablenkung und Zerstreuung. Johannes weist auf Jesus hin: Seht da ist einer, grösser als ich und er ist schon mitten unter euch.

 

HEUTE DEM HERRN DEN WEG EBNEN

So wie wir kein Kamel haben, dass uns bequem durch die Wüste trägt, so haben wir auch keine Baufirma mit Geräten daheim, um den Weg zu ebnen. Ich meine damit, dass wir mit kleinen Aktionen anfangen. Ein Spitzensportler trainiert ja auch lange über Jahre. Ein paar Übungen als Beispiel, ohne sich gerade zu überfordern: Ein Besuch im Altersheim. Oder wenn sie schon fortgeschritten sind in den Übungen der Liebe, dann können sie sich ans Verzeihen persönlicher Kränkungen heranmachten. Zur Erholung dienen dann zwischendrin fröhliche Stunden mit den Nachbarskindern auf dem Spielplatz oder ein Besuch bei der Freundin, die mit dem Velo gestürzt ist. Zu der „Nachbarschaft des Herzens“ gehören auch die Spenden an wohltätige Institutionen.

Diese Art von Vorbereitungstraining auf das Weihnachtsfest kann das ganze Jahr über geübt werden.

Die Wüste ist nur ein Zwischenhalt. Wüstenerfahrungen sind Herausforderungen, Probleme, in die wir geraten. Schwierigkeiten sind immer auch Chancen für Entwicklung – also etwas, was verknotet und verknorzt ist, auseinanderzunehmen und besser aufzurollen.  Gott sei Dank sind wir nicht allein: Gott ist in uns, so dass wir in vielen Fällen intuitiv wissen, was zu tun ist. Gott ist aber auch um uns herum, neben uns und gegenüber. Er begegnet uns in Menschen, die uns um Hilfe angehen. Gott ist auch da in den Menschen, die uns zur Seite stehen, wenn wir selbst auf Hilfe angewiesen sind und ein ermutigendes Wort brauchen. Und schliesslich ist Gott unsichtbar immer bei uns, um uns auf den Wegen durch die Wüsten zu geleiten. Die Wüste ist nur ein Zwischenhalt, ein Lernpfad, und nicht für den Aufenthalt auf Dauer geeignet.

Und schliesslich ist es wahrscheinlich so, dass Menschen, die Erfahrungen von Wüste, Einsamkeit, Neuorientierung …in ihrem Leben bewältigt haben, zunehmend mehr Empathie und Verständnis aufbringen für Menschen, die in einer schwierigen Situation befinden.

Das Leben erscheint manchmal so schwer und scheint ein einziger negativer Gottesbeweis zu sein. Deshalb braucht es Menschen, die darüber hinaus sehen und erlebt haben, dass es Oasen gibt – Menschen, die Mut machen, die notwendigen Schritte zu gehen.

 

Bereitet den Weg des Herrn

 

Bereitet den Weg des Herrn

durch die Wüste der Hoffnungslosigkeit

durch das Gestrüpp des Misstrauens

durch das Meer der Traurigkeit

durch das Labyrinth der Enttäuschungen.

 

Bereitet den Weg des Herrn:

Versöhnt die Verfeindeten.

Ermuntert die Müden.

Sucht die Irrenden.

Besucht die Einsamen.

 

Bereitet den Weg des Herrn.

Denkt das Undenkbare.

Hofft das Unmögliche.

Glaubt das Unfassbare.

 

Der Herr ist nahe.

 

© Gisela Baltes

Und als Schlusssatz möchte ich noch zufügen: es muss keiner und keine von uns sagen müssen: ich bin allein.

Nachlese Sonntag 2. Advent

Die Faszination authentischer Lebenswege

In der Adventszeit rückt eine faszinierende Figur ins Zentrum – Johannes der Täufer. Warum finden wir diesen Kerl so spannend, dass wir ihn als bedeutende Figur in der Adventszeit betrachten?

Authentizität im Glauben

Viele sind von Johannes dem Täufer fasziniert, besonders wegen seiner Authentizität. Seine Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Leben und dem Glauben hat die Leute beeindruckt. Johannes hat den Mut gehabt, die Wahrheit auszusprechen, selbst wenn sie unbequem war.

Mutige Worte gegen Ungerechtigkeit

Er unterstützte nicht Herodes' fragwürdige Entscheidungen. Er konnte nicht von den Mächtigen diktiert werden. Sondern sprach gegen die unerlaubte Ehe mit der Frau seines Bruders. Stellt euch vor, Johannes hätte nicht gesagt: "Hey Herodes, mach einfach, was du für richtig hältst. Verliebt sein ist wichtig, und wenn du so dich fühlst, Wenn du wirklich in sie verliebt bist, ist das cool." Nein, er hat ganz klar gesagt: "Es ist nicht in Ordnung, die Frau deines Bruders zu heiraten." Seine klaren Worte haben die Menschen seiner Zeit überrascht.

Konsequenzen für Überzeugungen

In einem ähnlichen Sinn möchte ich etwas über das Leben von Justin erzählen. Das habe ich von Bruder Willi gehört, dem damaligen Verantwortlichen für Fernseh- und Radiogottesdienste. „Justin gehörte von 1978 bis 1983 beim Schweizer Fernsehen DRS dem Team der Wort-zum-Sonntag-Sprecher an. 1983 war in der Schweiz eine Abstimmung angesagt, für die sich Justin in seinem Wort zum Sonntag öffentlich engagieren wollte, was ihm aber die Redaktion aus medienrechtlichen Gründen verbot. Daraufhin legte Justin sein Mandat als WzS-Sprecher sofort nieder. So konsequent war er, dass er sich auch vom Fernsehen das Maul nicht verbinden liess.“

Lebenszeugnis eines herausragenden Pfarrers: Pater Justin Rechsteiner

Es ist wichtig zu betonen, dass Pater Justin nicht darauf aus war, durch unsere Worte heiliggesprochen zu werden, wie mir Cornel mitteilte. Trotzdem möchte ich etwas berichten, das wichtig ist, um zu verstehen, wer Justin war.

Von dem, was Cornel Baumgartner – der Nachfolger in der Pfarreileitung von Justin, Franz Schaffner – langjähriger Organist in der Franziskanerkirche, und Sandra Witprächtiger - Präsidentin des FranziskanerChores, habe ich mitbekommen und auch gelesen, was sie von Justin berichtet haben.

Ein herausragend berufener Mensch war Pater Justin Rechsteiner, der letzte Pfarrer in der Franziskanerkirche. Ab 1996 leitete er die Pfarrei St.Maria bis zu seiner Pensionierung, stand als Aushilfspriester aber auch weiterhin gerne im Dienst. Seine Beerdigung fand am vergangenen Mittwoch in Immensee statt. Viele von uns erinnern sich an die liebevolle und zugängliche Art von Justin.

Gemeinschaft und Gleichwertigkeit: Das Erbe von Pater Justin in der Franziskanerkirche

Justin hat als Pfarrer der Franziskanerkirche ein modernes Bild von Pfarrei geprägt. Er legte Wert auf flache Hierarchien, aktive Beteiligung des Teams in der Leitung und betonte die gleichwertige Bedeutung von Pfarrkirche und Pfarreizentrum Barfüsser. Das offene Pfarreizentrum sollte für alle zugänglich sein, sowohl für Gläubige als auch für Ungläubige.

Sein Herz schlug für eine zeitgemässe Liturgie und Musik. Mit grosser Sorgfalt verfasste er Gebete und Texte. Als liebenswerter Mensch und aktive Kraft in der Gemeinde schätzte er Musik besonders.

Abschied von einem Wegweiser

 

Liebe Brüder und Schwestern, Johannes der Täufer hat eine klare Message überbracht: Er hat einen anderen, nicht sich selbst, als den Messias verkündet. Er hat sich lediglich als ein Werkzeug gesehen, eine Stimme in der Wüste, die auf den Kommenden hinweist, der stärker ist als er.

Hier nehmen wir Abschied von einem Menschen, Pater Justin Rechsteiner, der durch sein Leben uns den Messias, Jesus, gezeigt hat. Ein Werkzeug Gottes hat uns verlassen.

In der Stille können wir nun an ihn denken und Gott für das Geschenk von Justin an unsere Gemeinde danken. Danach wird Freddie ein meditatives Stück von Sebastian Bach spielen, das auch Justin sehr gemocht hat.

Br. George

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Predigt zum 1. Advent (Jesaja 63,16 ff.)

Und wieder ist ein Kirchenjahr vorbei – und wieder ist sie da, die Adventszeit. Diesmal sogar fast zeitgleich mit dem Schokoladenkalender oder der Eröffnung des Weihnachtsmarktes auf unserem Franziskanerplatz. Kürzer als in diesem Jahr kann die Adventszeit nicht sein. Wie geht es Ihnen mit dem Advent? Sind Sie schon in dieser besonderen Zeit angekommen? Freuen Sie sich schon auf diese Wochen und haben Sie schon viele adventliche Pläne und Termine? Für viele ist der Advent mit viel Stress, aber auch mit Wohlfühlen und Geniessen verbunden. Liturgisch und biblisch hat der Advent eine ganz andere Melodie, ist geprägt von Umkehr, Weckrufen und Vorbereitung. Wir hören in diesen Wochen viele Texte aus dem Buch Jesaja – und da geht es um Grundthemen des Menschseins, um Zerstörung und Hoffnung, um Verheissung und Gerechtigkeit, um Sehnsucht und Erfüllung.

Wenn wir diese Lesungen hören, müssen wir auch ein wenig an die Geschichte denken, die dahinter steht. Das Volk Israel war von einem stärkeren Volk besiegt und in ein fremdes Land, nach Babylon, verschleppt worden. Jerusalem lag in Trümmern, der Tempel war zerstört. «Warum hat uns unser Gott im Stich gelassen?», fragten sich die Israeliten in der Fremde. Dort, inmitten fremder Sprachen, Sitten und Götter, wuchs das Bewusstsein, dass es nicht Gott war, der sich von ihnen abgewandt hatte. Im Gegenteil: Sie hatten sich immer mehr von Gott entfernt. So erwachte in der Fremde die Sehnsucht nach der Nähe Gottes, nach der verlassenen und verwüsteten Heimat, nach der schönen und sorgenfreien Zeit. In diesem bitteren Schicksal Israels blüht allmählich die Verheissung des Messias auf. Diese Verheissung lässt neue Hoffnung aufkeimen - Hoffnung auf eine Wende, auf eine andere Zukunft. Das ist das Adventliche dieser Lesungen.

Und Sie? Was erhoffen Sie sich in dieser Zeit? Was erhoffen Sie sich für unsere Gesellschaft, was für sich selbst und für Ihre Lieben?

Klage, Sehnsucht und Erinnerung

Die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja ist Teil eines grösseren Klage- und Sehnsuchtsgebetes. Die Trauer über die Zerstörung Jerusalems, der Umgang mit der eigenen Schuld, die Klage über fehlende Zukunftsperspektiven, aber auch die Sehnsucht nach einer neuen Zuwendung Gottes kommen zur Sprache. In ihrem grossen Leid ist Gott für die Israeliten nicht mehr erkennbar, nicht mehr erfahrbar. Für Jesaja stellt sich die Frage, wie mit dieser Situation umzugehen ist: Gibt es Wege, die über Gottverlassenheit und Tod hinausführen? Was kann Mut machen, erste Schritte zu wagen? Jesaja ruft positive Erfahrungen aus der Vergangenheit in Erinnerung. Er zeigt, dass das Leid der Gegenwart nur eine Momentaufnahme und nicht die ganze Wirklichkeit ist: Du, EWIGER, bist unser Vater. / «Unser Erlöser von jeher» ist dein Name, so beginnt dieses Gebet.

Der Prophet versucht, das von Generation zu Generation weitergegebene Urvertrauen in Gott wiederzubeleben: «Erinnert euch an all das Gute, das Gott an euch, an euren Eltern und Grosseltern, am ganzen Volk getan hat», scheint Jesaja seinem Volk zu sagen. Erinnert euch an die Anfänge. In einem eindrücklichen Bild wird sogar an die Schöpfungsgeschichte erinnert: Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.

Gottes Spuren in unserem Leben

Gibt es Wege, die über Gottverlassenheit und Tod hinausführen? Was kann Mut machen, erste Schritte zu wagen? Das sind Grundfragen des Advents. Die Bibel gibt uns heute eine Antwort: Um mit unseren kleinen und grossen Alltagssorgen, unseren Vorbehalten, Unsicherheiten und Ängsten zurechtzukommen, sollen wir uns zurückerinnern: an einen Moment, in dem wir Gott als besonders nahe, besonders mächtig, besonders fürsorglich und behütend erfahren haben. Was haben wir mit Gottes Hilfe schon alles gemeistert, erlebt, durchgestanden? Warum sollte unser Erlöser von jeher uns jetzt im Stich lassen?

Erinnern wir uns an die Spuren Gottes in unserem Leben. Dazu lädt uns die heutige Lesung ein, dazu lädt uns aber auch dieser erste Sonntag im neuen Kirchenjahr ein, an dem gewissermassen alles wieder von vorne beginnt, an dem sich die Geschichte wiederholt. Wir stehen in der Gegenwart, bewegen uns in die Zukunft, aber immer auch mit einem Blick in die Vergangenheit. Nicht um nostalgisch zu sein, sondern um aus unseren Erfahrungen Kraft zu schöpfen. Sich an die Anfänge erinnern: Das tun wir an Weihnachten. Das tun wir jedes Mal, wenn wir die Geschichten unserer Vorfahren neu erzählen, oder wenn wir, wie in diesem neuen Lesejahr, das Markusevangelium neu lesen. Die Adventszeit ist eine Chance, um unser Leben neu zu lesen und um neues Vertrauen in uns selbst und in Gott, unseren Erlöser von jeher, zu gewinnen.

 

Franziskanerkirche, 2./3. Dezember 2023
Simone Parise

Nachlese

Predigt zum Christkönigssonntag Evangelium Mt.25, 31-46

Ansprache:

EIN BOCK

Oh je! So hart geht der Menschensohn mit uns ins Gericht. Als erstes hab ich mich gefragt wie viele Böcke in einer Schafherde sind. In der Regel besteht eine Schafherde aus den Mutterschafen und ihren Lämmern. Daher sollten Schafe niemals allein und mindestens in Gruppen von vier Tieren gehalten werden. Bei zwei Böcken ist grundsätzlich Vorsicht geboten, denn trotz Kastration kann es zu heftigen Revier- und Ressourcenkämpfen kommen. Der Zuchtbock ist wichtiges Mitglied der Schafherde und wird sehr genau ausgesucht, weil er mehr seiner Gene überträgt als das Mutterschaf. Das ist sehr beruhigend, finde ich. Heisst das doch, dass da nicht allzu viele zur Linken aussortiert werden. So ein Schafbock hat also ziemliches Aggressionspotenzial. Aggressives Verhalten ist weder bei Menschen noch beim Tier angenehm.

Die zweite bange Frage: Auf welche Seite würde ich wohl zugeordnet beim letzten Gericht, wenn ich mich vor Gott verantworten muss? ich habe ja auch schon manchmal einen Bock geschossen, mich bockig verhalten und hab mich widersetzt Ganz sicher habe ich das eine oder andere in meinem Leben verbockt, d.h. nicht optimal gelöst. 

Die Vorstellung vom letzten Gericht löst eine gewisse ängstliche Beklemmung aus.

Menschen mit einer nah.-Tod-erfahrung berichten, dass sie in völliger Klarheit ihr ganzes Leben im Zeitraffer in Bruchteilen von Sekunden vor sich sahen. Mit Traurigkeit und Bestürzung erkannten sie, wem sie hätten sagen wollen, wie sehr sie den Menschen lieben, wie dankbar sie für die lange Freundschaft sind, Briefe, die nie geschrieben wurden und Gespräche, die verpasst wurden. Kurz: Wo wir Liebe schuldig geblieben sind.

Herbsttag 


Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke (Paris 1902)

So stelle ich mir das letzte Gericht vor. Glücklich diejenigen, die mit dieser Erfahrung und Klarheit dem Tod von der Schippe springen und ihr Leben nachbesser können.

DER RICHTER

Das Bild vom Richter ist ein sehr altes Bild. Richter ist ein Ehrentitel wie König oder Herr, das sind Personen, die für Recht und Gerechtigkeit stehen. Für glaubende Menschen ist Gott die letzte Instanz der Gerechtigkeit. Viele Schandtaten kommen nie ans Tageslicht. Wie viele Menschen erleiden Traumata, über die sie ihr Leben lang nicht sprechen können: ungeheilt, unentdeckt, verschüttet graben sich bittere Erfahrungen ein und manifestieren sich in möglicherweise in Krankheiten an Leib oder Seele. Da tröstet die Vorstellung, dass ein gnädiger Richter die Wunden beim Namen nennen würde. Er legt die Wunden, die Traumata, frei und führt die Opfer der Heilung entgegen. Und sogar auch die Täter, indem sie sich ihrer Schuld stellen und ihr Leben ehrlich betrachten, können Versöhnung erfahren.

Nun wäre das genau das, was Marx meinte, als er sagte, Religion sei Opium für‘s Volk: Eine Vertröstung auf eine letzte Gerechtigkeit am Ende der Zeit, damit die dummen Schafe schön ruhig sind, sich nicht aufbäumen und alles über sich ergehen lassen.

Der Gedanke an ein letztes Gericht ist tröstlich, aber eben auch gefährlich, wenn es ein ohnmächtiges Warten, Ausharren und Erdulden bewirkt. Die Vorstellung von einem letzten Gericht, einer finalen Beurteilung, bei der ich mich meinem Leben stelle, hat Sinn, wenn ich mich bereits im Hier und jetzt bemühe, schreiendes Unrecht zu verhindern.

DIE SCHAFE

Die Schafe sind keineswegs dumm. Schafe sind Herdentiere. Auch wir Menschen sind keineswegs dumm, sondern mit Vernunft begabt und mit einem Gespür für die Unterscheidung von Gut und Böse. Und wir sind soziale Wesen, aufeinander angewiesen und halten es in freundlicher Atmosphäre gerne aus.

Wie einfach und wie wohltuend ist es, dem anderen etwas zulieb zu tun: Einen Besuch, einen Anruf, eine kleine Geste, ein freundliches Gesicht,… Sie, liebe Gottesdienstfeiernde wissen genau und könnten ihre Beispiele anfügen….

Es dürfen auch die grossen Beispiele aus dem Evangelium sein. Wichtig ist, irgendetwas zu tun. Sonst wären wir wie der unnütze Diener vom letzten Sonntag, der seine Talente aus Angst vergräbt. Vielmehr möchte es uns doch im Rückblick auf unser Leben so ergehen, dass wir finden: Wenn ich das vorher gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich gedacht, dass ist eine Nummer zu gross für mich, das schaffe ich nie: Ein behindertes Kind begleiten oder die Trauer um ein zu früh verstorbenes Kind aushalten; eine Trennung durchstehen; sich in einem Amt einsetzen und sich der öffentlichen Kritik aussetzen, ein Elternteil im Alter pflegen…. Im Nachhinein scheint alles einfach und klar, und man staunt, dass es oft so gut gegangen ist und im richtigen Moment die Kraft zum Handeln da war.

DER HIRT

Damit wir gut durch dieses Leben kommen und uns am Ende nicht zu den sturen Böcken zählen müssen, dürfen wir uns der Führung anvertrauen: Unserer inneren Führung, die weiss, dass es uns besser geht und uns wohler ist, wenn wir freundlich und hilfsbereit, offen und freundlich sind. Nun schützt Wissen vor Torheit nicht und wir können auch gegen unsere innere Stimme handeln und uns total in eine Sackgasse verrennen oder plötzlich wie vor einem Abgrund stehen und nicht mehr weiterwissen.

Gegen Panik hilft das Wort aus dem Buch Ezechiel: So spricht Gott: Ich selbst will nach meinen Schafen fragen und mich um sie kümmern. Wie ein Hirt, der mitten unter seinen Schafen ist, so will ich allen nachgehen und retten, wenn sie sich verirrt haben. Ich selbst werde meine Schafe weiden, sie ruhen lassen, verbinden, kräftigen, behüten.

Fazit

Das Bild vom Gericht, einer finalen Abrechnung soll nicht Angst machen, sondern uns Menschen zu einem geglückten Leben herausfordern. Der Gerichtsgedanke hilft, den Blick für die Entscheidung zwischen Gut und Böse zu schärfen.

Das Leben in einer Schafherde ist hat, Wind und Wetter ausgesetzt. Eine Schafherde ist auch kein Streichelzoo. Genauso haben wir in unserem Leben manchen Sturm zu bestehen, manche Verletzung – seelischer oder körperlicher Natur- tragen wir davon. Wie trostvoll und ermutigend, dass da ein Gott ist, der bis zum Schluss da ist und uns gut behütet und auf jede und jeden einzelnen von uns bedacht ist.

Gudrun Dötsch

Was zählt?

Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A)

Was zählt, wenn die Tage gezählt sind?

Diese Frage haben sich die ersten Christinnen und Christen gestellt. Sie lebten in der festen Überzeugung, dass sie die Wiederkunft Christi – das Ende der Zeit – noch erleben werden. Schliesslich hatte Jesus selbst seine Wiederkunft angekündigt. In der Theologie nennt man diesen Glauben „Naherwartung“, das Warten auf das baldige Kommen des Herrn.

Einer dieser Christen war der Apostel Paulus. In seinem Brief an die Gemeinde in Thessalonich (1 Thess 5, 1-6) mahnt er zur Wachsamkeit, denn „der Tag des Herrn kommt“. Offenbar gab es bei den Christinnen und Christen von damals schon Ermüdungserscheinungen. Das Warten auf den Herrn, der sich immer mehr verspätete, wurde wohl nicht mehr so ernst genommen.

Naherwartung heute

Und wie sieht es bei uns aus? Für uns ist der Gedanke an eine Naherwartung doch sehr befremdlich. 2000 Jahre Verspätung? Wenn ich auf jemanden warte und er schreibt, er sei unterwegs und komme bald, dann rechne ich vielleicht mit 5 oder 10 Minuten, aber sicher nicht mit Jahrtausenden.

Bedauerlich ist aber, dass mit der Naherwartung noch etwas anderes aus unserem Bewusstsein verdrängt wurde. Nämlich die Dringlichkeit, das Leben jetzt so zu leben und zu gestalten, dass ich damit einen Unterschied mache.

Unser Zeitgefühl und unsere Prioritäten sind durcheinander geraten. Wie oft verschieben wir auf morgen – oder auf eine unbestimmte Zeit – was uns wirklich wichtig wäre, was uns wirklich gut täte, was wirklich einen qualitativen Unterschied in unserem Leben machen würde, weil wir gerade Dringenderes zu tun haben oder einfach zu bequem sind.

Zeit scheint für uns oft keine Rolle zu spielen. Und so nehmen wir leichtfertig in Kauf, dass wir manchmal nur halbwegs zufrieden und glücklich leben – natürlich nur für kurze Zeit, sagen wir uns, nur vorübergehend, meinen wir. Zuerst noch das erledigen, dann vielleicht noch dieses Ereignis abwarten, und dann, dann werde ich (vielleicht) mein Leben endlich wirklich leben…

Was zählt, wenn die Tage gezählt sind?

Eine verpasste Chance

Im Evangelium haben wir das berühmte Gleichnis von den Talenten gehört. (Matthäus 25, 14-30) Matthäus bettet es in die letzte grosse Rede Jesu ein, in die Rede über das Ende der Zeit. Darin gibt es, wie bei Paulus, viele Aufforderungen zur Wachsamkeit bis zur Wiederkunft des Herrn. Aber das Gleichnis von den Talenten geht einen Schritt weiter und will uns zeigen, wie die Wartezeit genutzt werden soll.

Talente waren wertvolle Münzen. Ein Talent entsprach etwa 20 Jahreslöhnen eines Arbeiters. Im übertragenen Sinn meint das Gleichnis aber Gaben und Fähigkeiten, so wie wir ja heute das Wort Talent verstehen. Der reiche Herr, der im Gleichnis für Christus steht, vertraut seinen Angestellten sein Vermögen bis zu seiner Wiederkunft an. Die drei Diener erhalten unterschiedlich viele Talente. Während die ersten zwei die Talente fruchten lassen und dafür vom Herrn bei seiner Rückkehr gelobt werden, hat der dritte Diener sein einziges Talent vergraben, aus Angst, es könnte gestohlen werden; vor allem aber aus Angst, etwas falsch zu machen und dann vom Herrn bestraft zu werden. Lieber nichts riskieren, lieber nichts aufs Spiel setzen, lieber alles so lassen, wie es ist. Der dritte Diener verpasst die Chance auf einen Gewinn: auf einen Zugewinn an Erfahrung, an Freude, an Leben. Und deshalb steht er am Ende mit nichts da.

Sich selbst ins Spiel bringen

Trotz des eher düsteren Endes will uns das Gleichnis nicht erschrecken, sondern ermutigen, mit den uns anvertrauten Talenten und Gaben etwas anzufangen. Der reiche Herr ist nämlich gar nicht so streng, wie der dritte Diener meint, im Gegenteil:

  1. Er vertraut ihnen sein ganzes Vermögen an und ist damit der erste, der alles riskiert, weil er seinen Mitarbeitern zutraut, mit seinem Reichtum etwas Gutes anzufangen.
  2. Er gibt jedem nach seinen Möglichkeiten. Dem ängstlichen Diener gibt er nur ein Talent – wohl um ihn nicht zu überfordern, um seine Angst nicht zu vergrössern.
  3. Schliesslich freut er sich über die ersten zwei, die aus eigenen Antrieb und selbstständig etwas bewirkt haben. Der dritte Diener geht nicht leer aus, weil der Herr ihn bestraft, sondern weil er selbst entschieden hatte, auf seinem Talent sitzen zu bleiben.

Gott traut uns zu, etwas Gutes aus unserem Leben zu machen. Er gibt uns so viele Gaben, wie wir brauchen, und so viele Aufgaben, wie wir bewältigen können. Und er schaut auf unser Bemühen, auf unsere Bereitschaft, uns selbst und unseren Glauben ins Spiel zu bringen. Sind wir bereit, über unseren eigenen Schatten zu springen? Unsere Bequemlichkeit zu überwinden?

Wenn nein, dann haben wir unsere Chance verpasst. Wenn ja, dann gewinnen wir an Zufriedenheit und Erfüllung.

 

Franziskanerkirche, 18./19. November 2023
Simone Parise

Nachlese Sonntag 5.11.232

Glaube, Heuchelei und die Lehren Jesu: Ein Blick auf authentische Führung

Die Geschichte von Albert Schweitzer

Im Jahr 1953 erreichte ein Mann den Bahnhof von Chicago, um den Friedensnobelpreis entgegenzunehmen. Beim Verlassen des Zuges bedankte er sich höflich, während die Kameras aufblitzten und städtische Beamte auf ihn zukamen. Inmitten des Trubels bat er um einen kurzen Moment der Unterbrechung. Er machte sich den Weg durch die Menschenmenge zu einer älteren schwarzen Frau, die Schwierigkeiten hatte, ihre beiden großen Koffer zu bewältigen. Mit einem freundlichen Lächeln half er ihr und begleitete sie zum Bus, half ihr beim Einsteigen und wünschte ihr eine angenehme Reise. Anschließend wandte sich Albert Schweitzer an die versammelte Menge und entschuldigte sich für die Wartezeit. Laut einem Mitglied des Empfangskomitees soll dieser gesagt haben: "Das ist das erste Mal, dass ich eine Predigt laufen sehe".

Die Warnung vor Heuchelei

Die zentrale Botschaft im heutigen Evangelium liegt in der Kritik, die Jesus an den Schriftgelehrten und Pharisäern übt, die "nicht tun, was sie predigen". Er prangert ihre mangelnde innere Aufrichtigkeit an, da sie anderen Lehren erteilen, die sie selbst nicht befolgen würden.

Unter all den Übeln, denen Jesus begegnete, war die Heuchelei eine der größten. Seine schärfste Kritik richtete sich an diejenigen, die sich als Heuchler erwiesen. Durch die Verlesung des zitierten Abschnitts in der heutigen Liturgie sendet sie offensichtlich eine Botschaft an ihre Nachfolger: an jene, die die Kirche repräsentieren. Dies betrifft Bischöfe, Priester, Theologeninnen und Theologen, Seelsorgerinnen und Seelsorgern in den Pfarreien, Katechetinnen und Katecheten und jeden, der eine Rolle in der Kirche innehat. Es ist jedoch eine Botschaft, die auch jeden von uns angeht.

Reflexionen über die Kirche, Heuchelei und die Lehren Jesu

Während meiner Zeit als Priester war der größte Schaden, der unserer Kirche zugefügt wurde, zweifellos der Missbrauchsskandal und die damit verbundene Aura der Heuchelei.

Der Kragen oder die Kutte symbolisierte damals Macht und Privilegien und löste eine beträchtliche antiklerikale Haltung aus. Jesus hätte zweifellos die Welt, in der ich meinen Dienst als Priester begonnen habe, treffend beschreiben können. "Alles, was sie tun, tun sie, um Aufmerksamkeit zu erregen", sagte er, "ihre Gebetsriemen sind breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, sie lieben die Ehrenplätze bei den Gastmählern und die Ehrenplätze in den Synagogen und wenn man sie grüsst auf den Marktplätzen und die Leute sie Rabbi nennen". Unabhängig von der äußeren Kleidung, die wir Priester tragen, ist es von größter Bedeutung, dass wir uns nach der Lehre Christi richten: "Der Größte unter euch soll euer Diener sein".

Einige ehemalige Katholiken haben ihren Austritt aus der Kirche damit begründet, dass sie von Menschen umgeben waren, die sich für heilig hielten, aber im Alltag ein unheiliges Leben führten. Während sie sonntags fromm wirkten, war ihr Verhalten von Montag bis Samstag nicht christlich. Vor diesem Hintergrund präsentiert Jesus seinen Jüngern und uns ein neues Leitungsmodell, das sich deutlich von dem der Schriftgelehrten und Pharisäer unterscheidet.

Zeitlose Prinzipien der Führung

In diesem Zusammenhang möchte ich drei Hauptmerkmale des von Jesus vorgeschlagenen Führungsstils hervorheben. Obwohl diese Prinzipien seit 2000 Jahren bekannt sind, sind sie in unserer Gesellschaft und Kirche möglicherweise immer noch hoch relevant und von großer Bedeutung.

Erstens wünscht sich Jesus, dass Leitungskräfte nicht Lasten auferlegen, sondern bereit sind, sie zu teilen und zu erleichtern.

Zweitens strebt Jesus danach, dass Leitungspersonen anderen in echter Dienstbarkeit dienen, ohne dabei nach Aufmerksamkeit zu dürsten oder erwarten, mit besonderer Würde behandelt zu werden.

Drittens möchte Jesus, dass Führungspersönlichkeiten durch ihr eigenes Verhalten Vorbilder für die Menschen sind, denen sie dienen, indem sie ihre Worte mit Taten in Einklang bringen.

Die Rolle der Gläubigen in der Kirche

Angesichts dieser Herausforderungen, die insbesondere an Führungskräfte gerichtet sind, stellt sich die Frage, was wir als hoffnungsvolle Gläubige tun können. Eine naheliegende Antwort lautet: Beten.

Lasst uns also beten, dass Priester und Bischöfe, Theologen und Theologinnen, Seelsorger und Seelsorgerinnen durch die Inspiration des Heiligen Geistes befähigt werden, ihre Predigten stets in die Tat umzusetzen.

Infolgedessen könnte man auch über uns sagen, was über Albert Schweitzer gesagt wurde: "Das ist das erste Mal, dass ich eine Predigt laufen sehe." Amen!

Sehnsucht nach Glückseligkeit

Predigt zum Allerheiligenfest

Vielleicht haben Sie schon einmal dieses berühmte Zitat von Antoine de Sainte-Exupéry gehört:

«Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen. Sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.»

Sehnsucht bewegt, gibt uns innere Orientierung, lässt uns nach dem Ersehnten greifen. Doch was oder wer setzt uns in Bewegung? Wonach sehnen wir uns? Allerheiligen stellt und auch diese Fragen, denn wir feiern heute das Fest der Sehnsucht: der Sehnsucht nach Erfüllung, nach Heiligkeit, nach Glückseligkeit. Auf Latein gibt es auch eine zweite Bezeichnung für die Heiligen: Beatus, Beata – der Selige, die Glückliche. Damit ist nicht ein Glück gemeint, das ausserhalb von uns liegt und das wir irgendwie schmieden könnten, sondern ein inneres Glück, das tief in uns verankert ist, wie eine tief verborgene Wahrheit, die wir vielleicht ahnen, aber noch nicht ganz begriffen haben.

Sehnsucht nach Glückseligkeit

Auch die Seligpreisungen (Matthäus 5,1-12) sprechen von einer Sehnsucht nach der Glückseligkeit, die aber nicht der gängigen Definition von Glück entspricht. Glück wird oft an Erfolg, Reichtum, Status, Freiheiten und Unabhängigkeiten gemessen. Ein Leben, das diesen Massstäben nicht entspricht, verliert in den Augen vieler an Wert, wird gar zum Fluch. Zu Beginn der Bergpredigt verkündet Jesus, dass das Glück unabhängig von diesen gängigen Werten und Maßstäben ist – und niemandem abgesprochen werden kann. Denn es ist eine von Gott geschenkte Wirklichkeit, die wir als Menschen nur annehmen müssen.

Der Theologe und Tiefenpsychologe Eugen Drewermann beschreibt die Seligpreisungen als «die Ouvertüre einer zauberhaften Symphonie, die in unser scheinbar so verlorenes Leben Töne von Heimweh und Rückkehr, von Verheissung und Wiedergefundenwerden zurückträgt, bis dass es uns verlockt, all die Wahrheiten und Überzeugungen endlich zu leben, die wir im Grunde immer schon (...) in uns trugen (...).» (Drewermann)

Töne von Heimweh und Rückkehr – Sehnsucht nach einer ursprünglichen und wahren Glückseligkeit. Damit diese zauberhafte Symphonie der Seligpreisungen an Lebenswirklichkeit gewinnt, müssen wir unsere Weltsicht vom Evangelium auf den Kopf stellen lassen. Solange wir unser Leben nach den gewohnten Massstäben beurteilen, bleiben wir Gefangene unserer Angst vor fremder Be-Urteilung und Verurteilung. Wir tragen dann immer die Idee mit uns herum, wir müssten anders sein.

Armseligkeit und Glückseligkeit

Um diesen Gedanken zu vertiefen möchte ich die erste Seligpreisung genauer betrachten: «Selig / Glücklich, die arm sind vor Gott.» Alles beginnt mit der Seligpreisung der Armen. Für Matthäus sind das nicht Menschen, die äusserlich arm sind und auf Besitz verzichten, sondern Menschen, die es wagen, vor Gott arm zu sein, die ihre Bedürftigkeit nicht verleugnen. Dieses erste Wort der Seligpreisungen ist an uns alle gerichtet, die wir uns unendlich schwertun, einfach so zu sein, wie wir sind. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie Armseligkeit und Glückseligkeit zusammenpassen. Sind wir also im Grunde glücklich oder armselig? Oder kann man etwa armselig glücklich sein?

Das Gefühl der Armut und der Begrenztheit ist etwas Unangenehmes, das wir zu vermeiden suchen und vor dem wir uns fürchten: Wir halten es für das schlimmste: nicht «reich» genug zu sein; wir schämen uns für unsere vermeintlichen wie auch für unsere wirklichen «Mangelstellen». «Ständig entdecken wir, wo wir vermeintlich zu kurz geraten sind und nicht ausreichend erscheinen könnten unter den Augen der strengen Kritik anderer. Und schon geht es los – das Spiel der Selbstablehnung, der wechselseitigen Erniedrigungen...» (Drewermann)

Unser Gott hingegen will uns aufrichten. Jesus befreit uns von der Angst, wir könnten irgendjemandem gegenüber nicht auf der Höhe sein – sei es vor uns selbst, vor einem anderen Menschen oder vor Gott. Er lehrt uns, dass wir trotz oder gerade wegen unserer Armut selig sind, denn das Gefühl der Unvollkommenheit führt uns zu unserem Wesen, zu unserer Menschlichkeit.

Heilige Armut

In der Haltung der Armut wird alles still und ruhig und klar. Arm sein vor Gott bedeutet: einfach so da sein zu dürfen; «es bedeutet die Erlaubnis, endlich zu sich selbst zu kommen und sich selber annehmen zu können ohne Selbsthass und ohne verzweifelte Selbstverliebtheit». (Drewermann) Durch die Annahme unserer Begrenztheit wird unsere Armut zur Heiligkeit. Zur Heiligkeit finden wir nämlich nicht, wenn wir alles Negative in uns beseitigt haben, sondern wenn wir beginnen, in der Wahrheit zu leben, so, wie wir wirklich sind; wenn wir beginnen, ja zu uns zu sagen.

Der französische Schriftsteller Christian Bobin hat diesen Gedanken einmal treffend ausgedrückt: «Heiligkeit hat so wenig mit Vollkommenheit zu tun, dass wir sie geradezu als ihr glattes Gegenteil bezeichnen könnten. (...) Heiligkeit (...) ist der intensive Geschmack am Leben, so wie es ist – eine kindliche Fähigkeit, sich an dem, was ist, zu freuen, ohne anderes haben zu wollen».

Der Johannesbrief (1 Johannes 3,1-3) hat uns heute als Kinder Gottes angesprochen. Vielleicht ist das auch eine Einladung, unsere kindliche Fähigkeit zur Freude und zum Glücklichsein wiederzuentdecken, damit wir ehrliche, wahrhaftige, authentische Menschen werden, die einander mit Echtheit begegnen, so dass jede Lüge, jedes Schauspiel überflüssig wird. So dass wir uns in dieser zwischenmenschlichen Wahrheit gegenseitig annehmen können und alle Armut in Glückseligkeit aufgelöst wird.

 

Franziskanerkirche, 1. November 2023
Simone Parise

 

Die Zitate von Drewermann stammen aus: Eugen Drewermann, Kommentar zum Matthäusevangelium, Bd. 1, Olten 1992, S. 367-372.

29. Sonntag im Jahreskreis A

21./22. Oktober 2023

Vor etwa sechs Wochen präsentierten die Forscherinnen der Uni Zürich die Ergebnisse der Pilotstudie zum Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz. Es war nicht zu erwarten, dass die Ergebnisse anders ausfallen würden als in unseren Nachbarländern. Dennoch erschütterte auch mich, was ich eigentlich nicht hören wollte. Wieviel Leid wurde den Opfern klerikaler Machtträger durch erniedrigende sexuelle Handlungen angetan. – Noch immer und immer wieder muss ich an diese Männer, Frauen und viele Kinder denken. Sie wurden durch diese Verbrechen für ihr Leben gezeichnet.

Kann es die Kirche selbst schaffen, das durch ihre Mitarbeiter begangene Unrecht aufzuarbeiten? Wird sie neue Strukturen schaffen, in denen Macht- und sexueller Missbrauch keinen Platz mehr haben und nicht mehr vertuscht wird? Das ist für mich keineswegs sicher. Bischof Bonnemain soll die Voruntersuchung bezüglich des Vertuschens seiner Bischofskollegen leiten. Doch geht das? Kann er gegen seine eigenen Kollegen ermitteln? Für diese Voruntersuchung müssen staatliche Juristinnen und Juristen beigezogen werden.

Überhaupt braucht die Kirche zurzeit den Blick von aussen bei der Auswahl ihrer Leitungspersonen, jedenfalls was deren persönliche Integrität und das entsprechende Verhalten betrifft.

 

Selbst Papst Franziskus schreibt in seiner Enzyklika «Fratelli tutti»:

„Paradoxerweise können diejenigen, die sich für ungläubig halten, den Willen Gottes manchmal besser erfüllen als die Glaubenden.“ (Nr. 74)

 

Ich will Sie nicht weiter mit diesem schmerzvollen Thema belasten, liebe Mitfeiernde. Aber mir ist genau dies in den Sinn gekommen, als ich die heutige Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja gelesen habe.

Die Situation ist folgende: Die Babylonier hatten das damalige Israel erobert und die Oberschicht der Einwohner Jerusalems nach Babylon verschleppt. Viele Angehörige des von Gott erwählten Volkes lebten um 540 v. Chr. schon während über 40 Jahren im babylonischen Exill.

Nach so langer Zeit in der Fremde verloren die Israeliten allmählich ihr Vertrauen in Gottes Verheissungen. Sie klagten darüber, dass Jahwe das Lebensrecht seines Volkes übergangen und es verlassen habe. So lesen wir bei Jesaja.

Doch die Herrschaft der Babylonier bröckelt. Eine neue politische Macht steht bereit. Dies wird auch für die verschleppten Israeliten Konsequenzen haben. Der Perserkönig Kyrus wird Babylon erobern und die Israeliten nach Jerusalem zurückkehren lassen.

Nun schildert Jesaja diesen Kyrus in fast euphorischen Worten: Gott nennt ihn seinen Gesalbten. Er hat ihn bei der Hand gefasst. Er wird Nationen unterwerfen und Könige entwaffnen usw. Um Israels Willen hat Gott ihn beim Namen gerufen.

Ein Fremder wird also Israel zurückkehren lassen. Einer, der den Gott Israels, gar nicht kennt. Und doch soll Israel erkennen, dass Gott diesen Fremden beruft, damit er sein Volk aus dem Exil befreit und heimkehren lässt nach Jerusalem.

Sie haben nun gewiss selbst die Analogie festgestellt, die mir in den Sinn gekommen ist.

Hat sich unsere Kirche – mindestens, was die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs betrifft – selbst ins «Exil» befördert? Jedenfalls braucht sie Hilfe von aussen, um aus dieser verhängnisvollen Situation herauszufinden. Forscherinnen und Forscher schauen genau hin. Juristen und Juristinnen müssen die Täter anklagen und zur Rechenschaft ziehen.

Und es braucht uns alle als Glieder dieser Kirche. Wir dürfen nicht aufhören, die Strukturen anzuprangern, welche den Missbrauch und das Vertuschen ermöglicht haben: Eine Machtkonzentration auf Kleriker, die oft auch vom Kirchenvolk mitgetragen wurde aus Bewunderung oder übergrossem Respekt.

Ich brauche heute deutliche Worte. Das ist mir bewusst. Ja, es ist unbequem und wenig erbaulich, so zu predigen. Ich weiss auch, dass die Täter zum Glück in der Minderheit sind. Dennoch kann ich nicht schweigen darüber, vor allem, wenn ich an das Leid der unzähligen Opfer denke.

 

Ich erhoffe mir eine Kirche – bis hinauf zu den höchsten Amtsträgern, die Ernst macht mit der gleichen Würde aller im Gottesvolk.

Im Umfeld dieses Themas tagt noch bis am 29. Oktober die Bischofssynode in Rom mit dem Titel: „Für eine synodale Kirche - Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“.

Ich erhoffe mir eine Veränderung der Kirche, um ihrer Glaubwürdigkeit willen. Jesu Botschaft braucht verlässliche Zeuginnen und Zeugen. Nicht solche, die etwas zu verstecken haben oder andere schützen, statt zur Verantwortung zu ziehen.

Im Reich Gottes, von dem Jesus spricht, gibt es nicht arm und reich und nicht oben und unten. Es ist ein Reich der Gerechtigkeit. Und es beginnt schon jetzt überall da, wo Menschen einander respektieren in ihrer Würde und ihren Rechten.

Auch wenn ich letztlich darauf vertraue, dass Gott am Ende der Zeiten Gerechtigkeit schaffen wird, ist mir dies Ansporn, schon jetzt darauf hinzuwirken, soweit dies in meinen Möglichkeiten steht. Im Glauben an Gott und Gottes neue Welt sind alle Glaubenden schon jetzt dazu aufgerufen, nicht nur auf Gerechtigkeit im Jenseits zu hoffen, sondern jetzt darauf hin zu wirken.

 

Manchmal ist das im alltäglichen Handeln nicht so eindeutig. Das haben auch die Pharisäer gemerkt. Sie waren mit Jesus im Gespräch forderten ihn heraus mit einer «Fangfrage», wie es im Matthäusevangelium heisst:

Ist es erlaubt, dem Kaiser (in Rom) Steuern zu bezahlen?

Mit dem Bezahlen der Steuern an den Kaiser, einen Nichtgläubigen, befürchteten sie, dessen Macht auch über religiöse Angelegenheiten zu anerkennen. Die Pharisäer wollen aber streng nach dem Gesetz Gottes leben und sich nicht mit der Fremdherrschaft der Römer arrangieren. Wie steht also Jesus zu dieser Frage?

Jesus wechselt die Ebene, indem er auf die Münze hinweist. Darauf ist das Bild des Kaisers geprägt. Für ihn gibt es kein Dilemma, wenn die Eigentumsverhältnisse respektiert werden: «Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört – also die Steuern – und gebt Gott, was Gott gehört.»

Gott interessiert nicht das Geld in Form der Münze, sondern das Verhalten jener, die auf ihn hoffen und nach seiner Weisung leben. Dazu gehört gewiss auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Geld, mit Eigentum – und der Versuch, dies möglichst gerecht zu verteilen.

Es gehört ebenso dazu, sich Gott anzuvertrauen und schon jetzt in seinem Sinn zu leben zu versuchen. Machtmissbrauch und andere Formen des Missbrauchs gehören gewiss nicht dazu.

Franziska Loretan- Saladin

 


[1]https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html

[2] Drei Deportationen aus Jerusalem und Israel zwischen 597-592; Texte Deuterojesajas entstehen in den Jahren 550-540; der Perserkönig Kyros erobert 539 Babylon und tritt auch die Herrschaft über das Babylonische Reich an. Die Texte Deuterojesajas sind nicht als Voraussagen zu lesen, sondern wenden sich an die Israeliten im Exil und deren Zweifel an Gott, der sie vergessen hat…

Nachlese

Predigt und Anleitung zur Stille

Frieden

Ein Mitbruder sagte mir, dass er sich nicht vorstellen kann, dass all dies in einem Land geschieht, in dem Jesus lebte. Ich erklärte ihm, dass genau deshalb Jesus in Bethlehem geboren wurde und in Israel lebte – um gerade dort, wo der Frieden so gestört ist, die Gegenwart Gottes zu zeigen. - um dort zu sein, wo Gott gebraucht wird. Dort, wo der Frieden am dringendsten benötigt wird.

 

Jesus sagte zu denen: "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch." Er weiss, dass es für die Menschen dort nicht immer einfach ist, nach Frieden zu suchen und in Frieden zu leben.

Was geschieht nun?

Gewalt erzeugt Gegengewalt, eine gefährliche Spirale, ohne sichtbaren Ausweg. Drohungen erzeugen Gegendrohungen, nicht nur in der Ukraine und Russland, nicht nur in Israel und Palästina, sondern weltweit. Es ist eine tödliche Logik, eine Sackgasse ohne erkennbaren Ausweg.

Zum Nachdenken

Elie Wiesel, ein Holocaust-Überlebender und Friedensnobelpreisträger, beschrieb diese Realität in seinem Buch "Die Nacht". Heute lese ich Auszüge aus seinem Werk "Wo ist Gott?"

Als wir eines Tages von der Arbeit zurückkamen, sahen wir auf dem Appellplatz drei Galgen. Antreten. Ringsum die SS mit drohenden Maschinenpistolen, die übliche Zeremonie. Drei gefesselte Todeskandidaten, darunter der kleine Pipel, der Engel mit den traurigen Augen. Die SS schien besorgter, beunruhigter als gewöhnlich. Ein Kind vor Tausenden von Zuschauern zu hängen, war keine Kleinigkeit. Der Lagerchef verlas das Urteil. Alle Augen waren auf das Kind gerichtet. Es war aschfahl, aber fast ruhig und biss sich auf die Lippen. Der Schatten des Galgens bedeckte es ganz. Diesmal weigerte sich der Lagerkapo, als Henker zu dienen. Drei SS-Männer traten an seine Stelle. Die drei Verurteilten stiegen zusammen auf ihre Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher Zeit in die Schlingen eingeführt. „Es lebe die Freiheit“ riefen die beiden Erwachsenen. Das Kind schwieg. „Wo ist Gott, wo ist er?“ fragte jemand hinter mir. Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um. Absolutes Schweigen herrschte im ganzen Lager. Am Horizont ging die Sonne unter. „Mützen ab!“ brüllte der Lagerchef. Seine Stimme klang heiser. Wir weinten. „Mützen auf!“ Dann begann der Vorbeimarsch. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr... Aber der dritte Strick hing nicht leblos, der leichte Knabe lebte noch... Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Und wir mussten ihm ins Gesicht sehen. Er lebte noch, als ich an ihm vorbeischritt. Seine Zunge war noch rot, seine Augen noch nicht erloschen. Hinter mir hörte ich denselben Mann fragen: „Wo ist Gott?“ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: „Wo er ist? Dort – dort hängt er, am Galgen...“

Anleitung zur Meditation

Lasst uns einen Moment innehalten.

Lassen wir unsere Sorgen und Ängste vorüberziehen.

Lassen wir Raum für Hoffnung und Zuversicht.

Richten wir unseren Blick auf das Göttliche in uns und um uns herum.

Schliesst sanft eure Augen.

 

Atmet langsam und tief ein.

Spürt, wie der Atem in eure Körper strömt.

Lasst ihn eure Gedanken klären und euren Geist beruhigen.

Erlaubt euch, in dieser Stille Frieden zu finden.

 

2 Minuten Stille

Nachlese

HANDELN ODER KLEBEN

Die Klimaaktivisten, die sich am Pult des Dirigenten bei den Festspielen festklebten sorgten für Buh-Rufe aus dem Publikum. Der Dirigent Vladimir Jurowski, der mit dem Bayrischen Staatsorchester an dem Abend Bruckners 4. aufführte, rief  das Publikum zur Ruhe auf. Die Aktivisten sollten reden dürfen, sonst breche er das Konzert ab, so sei es sein Versprechen gewesen. Daraufhin setzte er sich im Schneidersitz neben das Dirigentenpult und liess die beiden zu Wort kommen. An den Klimaaktivisten scheiden sich die Geister. Wie kann man konstruktiv über Klimafragen diskutieren? Diese Frage gehört zu den Themen, bei denen Fronten aufeinanderprallen und Gespräche schnell zu eskalieren drohen. Es ist klar, dass die Klimaaktivisten stören, wenn sie den Konzertgenuss unterbrechen, sich auf die Fahrbahn oder die Rollbahn am Flughafen kleben und den ganzen Verkehr aufhalten, insbesondere wenn man es eilig hat und einen Termin einhalten muss. Das Thema ist jedoch von allgemeiner Bedeutung: Liegt ihnen das Klima am Herzen? Was tun oder unterlassen sie selbst für ein gutes Klima?

Selina Lerch, eine der beiden Aktivisten im KKL, geht der Klimaschutz zu langsam und für sie persönlich ist der Protest der einzige Weg, um Klimaschutz voranzutreiben. Sie ist sich bewusst, dass sie und ihre Mitstreier:innen mit den Aktionen polarisieren. Protest und gewaltfreier Widerstand sei nicht konstruktiv, meinen politisch Andersdenkende. Auf das Notrecht zurückzugreifen und den Klima-Notstand auszurufen, traut sich niemand. Die Entwicklung neuer Technologien und die Investition in alternative Energien brauchen Geld und vor allem Zeit, die uns davon läuft. Die Jungendverbände Jubla und auch die Pfadi setzen auf nachhaltige Entwicklung und ermöglichen den Kindern naturnahe Erlebnisse. Sie schärfen damit das Bewusstsein für die Zusammenhänge der Natur. Diese Sensibilisierung ist ein wichtiger Beitrag an die Bildung unserer jungen Generation.  Die Schweiz allein kann aber das Klimaproblem nicht lösen.

ALLIANZEN MIT GLEICHGESINNTEN

Franz Perrez war von 2010 bis Juli 2023 Umweltbotschafter der Schweiz. Er sagt, die Bezeichnungen «Entwicklungsländer» und «Industrienationen» als Gegensatzpaar bilden nicht die Realität ab.  Es gibt auch «ökologische Entwicklungsländer» zu denen er China, Südkorea und Saudi-Arabien zählt. Diese Länder gehören zu den Ländern mit den Höchstwerten an CO2-Ausstoss. Perrez befürchtet, durch die Berufung auf ihren Status als Entwicklungsland könnten diese Länder sich selbst nicht in der Pflicht sehen. Gemäss Perrez besteht der wirkliche Gegensatz zwischen Ländern, die Klimaschutz wollen und jenen, die sich dagegen wehren. Die Schweiz setzt sich für einen globalen Klimaschutz ein. Franz Perrez sieht eine Lösung darin, dass die Schweiz Allianzen schmiedet mit Ländern, die ähnliche Interessen haben, das können auch kleine Inselstaaten und ärmste Länder sein. Ebenso müssen Länder mit grossen Emissionen eingebunden werden.

DAS GEMEINSAME HAUS

Die Formulierung, der Mensch sei Krone der Schöpfung, findet sich nicht in der Bibel, sondern das hat sich der Mensch immer nur eingebildet. Überschätzt sich der Mensch in seinen Möglichkeiten oder sind wir wirklich die Herren und Herrinnen, die die Welt auf gedeih und Verderb verwalten? Kochen, Heizen, Hausbau, Mobilität, Metallverarbeitung und all ihre Endprodukte verschlingen Energie. In seiner Enzyklika Laudato Si schreibt Papst Franziskus: «Die dringende Herausforderung, um das eigene Haus zu schützen, schliesst die Sorge ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen.» Das Bild des gemeinsamen Hauses ist ein Bild aus Psalm 104, den wir in einer Variante als Lesung gehört haben. «Du hüllst dich, Gott, in Licht wie in einen Mantel, du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt. Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser.» So wird hier die Schöpfung als Wohnhaus Gottes beschrieben. Es muss darum gehen, die dramatischen Folgen der Umweltzerstörung im Leben der Ärmsten zu lösen, meint Papst Franziskus.

Die Veränderungen sind augenfällig: Das Abschmelzen der Gletscher; in Apulien, Kalabrien und Sizilien wachsen inzwischen exotische Früchte, Mangos, Avocados und Papayas. Bei uns gehören Kiwi- und Feigenbäume längst nicht mehr zu den bestaunten Seltenheiten.

Die Kaiserpinguine in der Antarktis sind ein Symbol für die Klimakrise: Eine aktuelle Studie meldet, dass in vier Kolonien der gesamte Nachwuchs im letzten Jahr verstorben ist. Ihnen ist im wörtlichen Sinn der Boden unter den Füssen weggebrochen. Die Küken fallen ins Wasser und ertrinken. Diejenigen, die sich wieder aufs Eis retten können, erfrieren, weil ihre Federn noch nicht wasserdicht sind. Sogar wenn sie es schaffen, auf der Scholle zu bleiben, werden sie weggetrieben und verhungern, weil ihre Eltern sie nicht mehr finden können. Wir werden womöglich Zeugen einer untergehenden Art, die den Planeten seit Millionen Jahren mit ihrer Anwesenheit beehrt hat.

VERÄNDERUNG IST DRINGLICH

Im Gegensatz zu den Kaiserpinguinen können wir unseren Lebensstil anpassen und einen Lebensstil anstreben, der ohne fossile Brennstoffe und täglichen Fleischkonsum auskommt. Die Katholische Stadt Luzern hat im vergangenen Jahr das Label «Grüner Güggel» verdient für nachhaltige Bewirtschaftung in Büros und Liegenschaften. Für die Zertifizierung wird alles geprüft vom Putzmittel über Heizung, energiesparsame Leuchtkörper, Abfalltrennung bis hin zum Sparen von Papier. Wenn wir nichts verbessern, watscheln wir früher oder später den Pinguinen in den Untergang hinterher.

Nicht nur die Tiere sind betroffen. Die Klimaveränderung wird eine weltweite Völkerwanderung nach sich ziehen. Klimaschutz muss die gesamte Weltbevölkerung im Blick haben, sonst zerstören wir nicht nur unsere physischen Grundlagen sondern verraten auch unsere Moral und christliche Ethik.

DIE KRONE DER SCHÖPFUNG

Die Natur ist unsere Lebensgrundlage. Sie wissen, wie wohltuend ein Spaziergang in der Natur ist, wie Herz und Geist und Seele zur Ruhe kommen.

Deshalb eine Übung für einen Glücksmoment. Viellicht empfinden sie bei der Umsetzung «Einen Flügelschlag des Herzens», wie es der Hl. Augustinus nenne, ein inneres Erleben, das die ganze Schönheit und das Wunder Gottes erfahren und bestaunen lässt. Wir können das Wunder täglich erleben, ohne Gott in seiner Grösse ganz erfassen zu können.

1. Gehen sie aus dem Haus und suchen sie sich einen grossen Baum.

2. Stellen sie sich in den Schatten und nehmen sie die Grösse wahr und wie klein sie sind im Vergleich.

3. Atmen sie. Hören sie das Rauschen der Blätter und spüren sie die sanfte Berührung des Windes auf der Haut.

4. Betrachten sie den Baum. Kein Blatt ist wie das andere, einzigartig wie ein Fingerabdruck.

5. Zwitschern Vögel und leben noch andere Tiere hier?

6. Schauen sie genau hin: Entdecken sie Insekten auf der Rinde, Moose und Flechten, vielleicht auch andere Pflanzen, die am Wurzelwerk wachsen.

7. nehmen sie sich ein paar Minuten und geniessen sie den Moment.

8. Werden sie sich bewusst: Ich bin ein Teil dieser wunderbaren Schöpfung und alles ist mit allem verbunden zu einem grossen Ganzen.

Vielleicht ist nicht nur der Menschen, sondern auch jede Baumkrone mit ihren unzähligen Blättern eine Krone der Schöpfung!

 

Und wenn sie sich nicht die Zeit nehmen können an jedem Tag, dann dieser Tipp: Geniessen sie ihr Essen dankbar und bewusst. Stellen sie sich vor, sie hätten noch nie in einen Apfel gebissen oder noch nie gerochen, wie frisches Brot duftet. Es ist ein Hochgenuss und ein Wunder, wie schön diese Welt ist und was sie zu bieten hat.

 

Nachlese

23.So A - 9./10.9.2023 Röm 13,8-10 und Mt 18,15-20

Liebe Gottesdienstgemeinde!

WIE DAMALS SO AUCH HEUTE

In der Lesung an die Gemeinde in Rom hörten wir eine Auswahl der wichtigsten Gebote, die das Zusammenleben regeln sollen. Wir können einmal davon ausgehen, dass das genau die Themen waren, bei denen es klemmte: Ehebruch, Mord, Diebstahl, Neid, das kam demnach auch in den ersten christlichen Gemeinschaften vor trotz aller hehren Ziele und Ideale. Wenn sich alle an die Gebote halten, gibt es keine grösseren Probleme.  Liebe und tu was du willst, so der Hl.Augustinus.

Schauen wir jetzt auf die Hörerinnen und Hörer, an die sich Matthäus wendet: Es sind Juden-Christen in frühchristlichen Gemeinden, die sich am jüdischen Ritus und den jüdischen Bräuchen orientieren aber gleichzeitig den neuen Weg suchen. Die Spannung zwischen althergebrachtem, altgewährtem und nicht mehr Tauglichem war auszuhalten und auszuhandeln. Das erzeugt Spannungen und Reibereien. Die neuen Gruppen innerhalb der jüdischen Gemeinde standen unter kritischer Beobachtung. Jedes Fehlverhalten wurde ihnen als Schwäche ausgelegt: „Seht ihr! Ihr seid auch nicht besser als wir mit eurem Jesus Christus. Ihr schafft es auch nicht ohne Streit. Der Friede ist noch nicht erreicht, also – so die jüdische Gemeinde – müssen wir wohl noch auf einen anderen, stärkeren Messias warten als euren Jesus.“ Die jungen Christengemeinden waren also unter Beobachtungs- und Beweisdruck.

HINSEHEN UND ANSPRECHEN

Fehler passieren. Menschen werden schuldig aneinander, verheimlichen, vertuschen, um möglichst ein gutes Bild abzugeben. Das ist nicht der Weg des Evangelisten. Im Konfliktfall den Balken im eigenen Auge sehen, also den eigenen Anteil bedenken und bevor ich ein Urteil über den anderen fällt, diese Haltung darf vorausgesetzt werden. Das Anliegen Jesu ist und das hat er vorgelebt: dem Streit nicht aus dem Weg gehen, die Augen nicht verschließen. Wie oft hat er den Finger in die Wunde gelegt und damit geheilt, körperliche und im gleichen Zuge auch seelische Leiden. Jesus war ein Arzt, der nicht nur die Wunden offenlegte und benannte, sondern anschließend auch wieder verbinden und heilen konnte.

 

Er regt an, dass es zuerst ein Vier-Augen Gespräch geben soll. Das gegenüber soll nicht bloßgestellt werden, die Wunde wird freigelegt und nicht aufgerissen. der Schuldige wird zunächst nicht an den öffentlichen Pranger gestellt, sondern es wird um Lösungen gerungen. Warum ist es zum Zerwürfnis gekommen? Ist die Dissonanz zwischen und unüberbrückbar? Was kann einen Ausgleich schaffen? Kann der Schaden wieder gut gemacht werden? Ist Versöhnung möglich? Negative Entwicklungen sind manchmal darauf zurück zu führen, dass die Probleme unter den Teppich gekehrt werden, dass nicht miteinander gesprochen wird oder man hofft, dass die Sache sich aussitzt und Gras darüber wächst – bis das berühmte  Kamel kommt und das Gras wieder abfrisst. Oft kann ein Vier-Augengespräch den Konflikt lösen: einander zuhören, ausreden lassen, den anderen verstehen wollen. Es kann aber auch sein, dass der Konflikt sich nicht lösen lässt. Dann kann eine dritte Person, die Vertrauen geniesst, vielleicht weiterhelfen. Ist dann immer noch keine Lösung in Sicht, sollen alle involviert werden. Theologisch könnte man das Bild verwenden der Eucharistie: Nur was auf den Tisch kommt, kann verwandelt werden.

AUS VERSTRICKUNGEN LÖSEN

Das ist der Kern des Evangeliums:

Die Probleme, die auf Erden nicht gelöst werden können, bleiben ungelöst. Was gelöst werden kann, wird auch im Himmel gelöst sein, d.h. es kommt nicht mehr auf die Rechnung, ist vergeben und vergessen.

 

Da ist der Knackpunkt: Das Lösen, das Vergeben und Vergessen! Verletzungen können sehr tief sitzen, das Vergehen ist nicht mehr ungeschehen zu machen. Der eine kann die andere um Entschuldigung bitten und um Wiedergutmachung ringen. Vergeben können und sich versöhnen mit dem anderen Menschen und mit dem Konflikt, so wie er war, ist ein grosses Geschenk und schwere Arbeit:

Deshalb empfiehlt Matthäus nicht nur den Disput und das klärende Gespräch sondern auch das Gebet: Wenn zwei miteinander einmütig um das Gleiche beten, wird es erhört werden.

Vergebung ist eine willentliche Entscheidung, genauso wie die Liebe nicht nur ein Gefühl ist, sondern eine Entscheidung braucht, damit sie auch in schweren Zeiten trägt. Wenn ich für eine Person beten kann, dann ist das ein grosser Schritt zur Vergebung. Wahrscheinlich reicht es nicht, nur einmal für diese Person zu beten, sondern es braucht oft und lange, bis die Wunde in mir heilen kann.

VERGEBUNG HEILT WUNDEN

Vergeben wollen ist heilsam. Auf Dauer rauben Ärger und Kummer Energie und machen vielleicht sogar krank. Ich schade mir also selbst mit dem Ärger. Wenn ich mich entscheide, den Ärger, die Wut, die negativen Gefühle loszulassen, bedeutet das Arbeit, die Ausdauer braucht. Immer und immer wieder bringe ich den Menschen, vor Gott im Gebet. Sie wissen es aus eigner Erfahrung, dass es nicht möglich ist, für einen Menschen zu beten und gleichzeitig schlecht für ihn oder sie zu denken. Das verändert mit der Zeit meine eigene Wahrnehmung. Ich gewinne Abstand, sehe die Sache mit anderen Augen – vielleicht mit den liebenden Augen Gottes, der den und die andere genauso lieb hat wie mich-. Und wenn dann irgendwann Frieden einzieht, Vergebung, ist das eine wunderbare Erfahrung. Versöhnung heisst frei werden von Groll und Nachtagen. Das Freiwerden von dem, was so schwer war, eröffnet Zukunft und gibt die verloren gegangene innere Fröhlichkeit des Herzens zurück.

VERZEIHEN BRINGT GEDEIHEN

Was ich mit Freiheit und Zukunft meine veranschauliche ich gerne mit einem Beispiel, das ein befreundeter Arzt, prof. Dr. Med Helmut Renner, mir erzählt hat:

„Bei einer meiner abendlichen Krankenvisitationen besuchte ich einmal einen schwer kranken Patienten. Dieser wusste, dass er bald en seiner Krebserkrankung sterben würde. Ich versuchte, ihm Trost du Mut zuzusprechen für seine letzte ihm noch verbleibende Zeit. dabei erwähnte ich, wie wichtig es sei, jetzt in dieser letzten Lebensphase den inneren Frieden zu finden und dass dies nur durch vollständige Vergebung gelingen würde. er wurde nachdenklich und sagte: „ich muss noch meinem Vater vergeben.“ Er schilderte in groben Zügen die grossen Verletzungen und Demütigungen, die sein Vater ihm vor Jahrzehnten zugefügt hatte.

Als ich am nächsten Abend wieder an seinem Krankenbett stand, berichtete er: „ich habe heute Nacht meinem Vater vergeben. Noch etwas muss ich ihnen erzählen, etwas schier Unglaubliches. wie sie wissen, besitze ich eine grosse Firma. Diese hatte ich von meinem Vater geerbt. seit Monaten versuche ich, mit Hilfe der teuersten Anwälte, die nachfolge für meine Firma zu regeln. immer wieder türmten sich Schwierigkeiten auf, es ging nicht wirklich voran. Aber heute Nachmittag, nachdem ich meinem Vater vergeben hatte, haben sich alle Probleme innerhalb einer Stunde gelöst und die Verträge konnten unterschrieben werden.“ Durch sein Vergeben konnte er inneren Frieden finden, und gleichzeitig haben sich schlagartig die negativen Bindungen an seinen Vater und an das Erbe des Vaters gelöst.“

Man könnte die Gedanken auf den Punkt zusammenfassen: Verzeihen bringt Gedeihen.

 

"Lasst euch verwandeln"

Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis

Wir setzen heute unsere Reise mit Jesus im Matthäusevangelium (Mt 16,21-27) fort. Letzte Woche waren wir in Cäsarea Philippi, wo wir das wunderbare Bekenntnis des Petrus gehört haben: Du bist der Christus, der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! Das war die richtige Antwort zur richtigen Zeit. Petrus hat das Theologie-Prüfung mit Bestnote bestanden, und Jesus nennt Petrus «selig», weil er diese Offenbarung vom Vater empfangen hat. Heute haben wir die Fortsetzung dieser Geschichte gehört. Jesus kündigt an, dass er nach Jerusalem gehen muss, um dort zu leiden, getötet und am dritten Tag auferweckt zu werden. Und wieder ergreift Petrus, der Klassenbeste, das Wort und weist Jesus zurecht: «Das soll dir Gott ersparen – das darf nicht geschehen!»

Ein anderer Weg

Die Reaktion Jesu ist heftig: Der selige Petrus wird zum Satan erklärt, also zu dem, der auf die Probe stellt und in Versuchung führt. Jesus schreckt vor dieser Verführung zurück, nämlich vor der Verführung, immer den einfacheren und bequemeren Weg zu wählen, der den Schwierigkeiten und Herausforderungen ausweicht. Diese Verführung täuscht schnellen Erfolg ohne grossen Aufwand vor. Der Weg Jesu dagegen führt zur Auferstehung, zur ewigen Freude und Erfüllung. Aber zu diesem Ziel kann man nicht gelangen, ohne sich selbst aufs Spiel zu setzen. Hier schwingt eine psychologische Botschaft mit: Wer persönlich reifen und wachsen will, kann nicht in seiner Komfortzone bleiben, sondern muss über sich hinausgehen, Ängste überwinden, den Sprung ins Leere wagen. Das ist schwierig, mühsam, auch mit Leid verbunden - diesem «Kreuz», so lehrt uns Jesus, kann man nicht ausweichen. Doch die Auseinandersetzung mit den Kreuzen unseres Lebens lohnt sich, denn sie führt uns zur wahren Freude, die Gott für uns vorgesehen hat.

Das Christusbekenntnis des Petrus war kein Lippenbekenntnis, sondern seine aufrichtige und tiefe Überzeugung. Und doch begeht Petrus diesen Fehler. Er macht seine eigenen Vorstellungen von Gott und dem Messias zum Massstab, ohne sie zu hinterfragen. Er glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, statt weiter um sie zu ringen. Das heutige Evangelium zeigt uns also, dass auch wir als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu nicht immun gegen solche Fehltritte sind. Der Glaube allein ist keine Garantie dafür, dass wir wirklich nach dem Willen Gottes leben. Verzerrte Gottesvorstellungen können sogar dazu führen, dass wir uns von Gott entfernen, statt uns ihm anzunähern. Diese Geschichte warnt uns davor, einfach anzunehmen, wir hätten die Wahrheit schon gefunden.

Sehnsucht nach Gott und nach Verwandlung

Aber wie können wir sicherstellen, dass wir uns wirklich nach dem Willen Gottes richten und nicht nach unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen? Ich lese zwei Hinweise, zwei mögliche Ansätze aus den heutigen Lesungen heraus:

1) Die Suche nach dem Willen Gottes hat mit unserem inneren Verlangen nach Gott zu tun, das uns heute der Psalm (Ps 63 (62)) beschreibt: «Meine Seele dürstet nach dir, o Gott». Durst und Hunger sind natürliche biologische Alarmsignale, die sicherstellen wollen, dass wir unserem Körper Wasser und Nahrung zuführen, damit wir funktionieren und am Leben bleiben können. Mit Gott, mit unserem geistlichen Leben, ist es ähnlich, aber hier werden die Alarmsignale leicht überhört oder missverstanden. Erst wenn wir innehalten und uns wirklich Zeit nehmen, uns auf unser geistliches Dasein einzulassen, können wir «Hunger» und «Durst» nach Gott spüren. Dann können wir uns unserer tiefen Verbundenheit mit Gott bewusst werden, wie wir sie im Psalm gehört haben: «Meine Seele hängt an dir, deine starke Hand hält mich fest». Die Suche nach dieser Nähe zu Gott ist ein ständiger Prozess, eine lebenslange Aufgabe, der wir uns Schritt für Schritt, Tag für Tag stellen dürfen. Und in diesem Unterwegssein mit Gott können wir, wenn wir offen und aufmerksam sind, seinen Willen erkennen.

2) Diese Sehnsucht nach Gott allein reicht nicht aus, wenn wir uns nicht auch von Gott berühren und verwandeln lassen. Dazu ermahnt uns Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom (Röm 12,1-2): «lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist». Die Erneuerung des Denkens, das Umdenken, war Petrus noch nicht gelungen. Seine alten Vorstellungen passten nicht zur «Neuheit», die Jesus brachte. Mir scheint, dass uns Petrus als Urgestein der Kirche in dieser Hinsicht tief geprägt hat. Als Kirche haben wir oft Angst vor Erneuerung und berufen uns auf das Alte und Bekannte, das uns Sicherheit und Halt gibt. Jesus fordert eine ganz andere Haltung: Wir sollen keine Angst davor haben, Sicherheiten und Überzeugungen, ja im übertriebenen Sinne unser eigenes Leben hinter uns zu lassen, um eine «neue» Existenz zu gewinnen. «Lasst euch verwandeln», fordert uns Paulus auf. Wenn wir uns am Sonntag zur Eucharistiefeier versammeln, bitten wir um die Wandlung der Gaben von Brot und Wein. Wir dürfen diese Bitte bewusst ausweiten und auch uns selbst und unser Dasein mit einbeziehen. Denn für Gott, der sich uns in Brot und Wein gegenwärtig macht, ist jede Verwandlung, jede Erneuerung, jedes Umdenken möglich.

Aber sind wir wirklich bereit, uns auf unsere eigene Verwandlung einzulassen?

 

Franziskanerkirche, 2./3. September 2023

Simone Parise

Nachlese

Die Kraft der Ehrlichkeit: Eine Einladung zur Wahrheit in Christus

Wir bitten die Menschen um ihre Meinungen, indem wir sie nach ihren Ansichten fragen. Gleichzeitig holen wir auch nach jeder Veranstaltung die Rückmeldungen und Meinungen unserer Brüder im Kloster ein. Ich erinnere mich daran, dass ein Bruder oft zusätzliche nachdenkliche Fragen stellt, bevor er seine Antwort gibt. Er fragt: "Soll ich ehrlich oder höflich sein?

Erwartet ihr von mir eine aufrichtige oder höfliche Antwort?"

Ein Reich im Schweigen

Stellt euch ein Königreich vor, das in Schweigen gehüllt ist. Der König möchte wissen, wie es wirklich um sein Reich steht. Also hat er die Leute eingeladen und ihnen Geschenke versprochen, wenn sie ihm die Wahrheit sagen. Nach vielen Flüstereien hat sich eine tapfere Person gemeldet, die sehr mutig ist. Mit zittriger Stimme hat sie die Wahrheit gesagt, die sich angefühlt hat wie ein ganz zerbrechlicher Moment. "Ihre Hoheit", zitterte die Stimme, "Sie tragen einen Umhang der Brutalität, eine Krone der Selbstsucht und führen einen ungerechten Zepter, alles für Ihren eigenen Gewinn." Der König war zuerst sehr wütend, weil er mit der echten Wahrheit konfrontiert wurde. Dann ist ein weiser Mann gekommen, der viele Falten im Gesicht hatte, als ob es eine Karte seiner Erfahrungen wäre. Er hat gesagt: "Ihre Hoheit, die Wahrheit über uns selbst zu erfahren, ist oft ein zweischneidiges Schwert. Es kann wehtun, aber es hilft uns auch, zu wachsen."

Caesarea Philippi: Ein Tiefgründiger Dialog

Nun wechseln wir die Erzählung zu einer vertrauten Szene im Evangelium - Caesarea Philippi. In dieser Szene führt Jesus seine Jünger in einen tiefgründigen Dialog. Diese Anfrage führt zu zwei unterschiedlichen Fragen: "Was sagen die Leute, wer ich bin?" und "Was sagt ihr, wer ich bin?"

Die Tapferkeit des Glaubens: Petrus' Bekenntnis

Auf die erste Frage: "Was sagen die Leute, wer ich bin?" lachen die Jünger und wiederholen einige Antworten, die sie gehört haben. Offensichtlich halten sie diese Vermutungen für absurd.

So etwas wie: "Glaub es oder nicht, manche denken, du seist Johannes der Täufer, der von den Toten zurückgekehrt ist!"

"Die, mit denen wir gesprochen haben, sagten, du wärst der Prophet Elias! Es war urkomisch!"

"Einige von ihnen sagten, du seist Jeremia oder einer der anderen Propheten! Sie wissen einfach nicht, was sie mit dir anfangen sollen."

Gelächter überall.

Aber Jesus wird hier ernst. Er sagt abrupt: "Und was ist mit euch? Was sagt ihr, dass ich bin?"

Blicke schweifen, Füsse scharren, Gelächter verwandelt sich in Husten. Der Glaube der Jünger ist noch jung und vielleicht sind sie verwirrt darüber, abgesehen davon, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgefordert wurden, etwas laut auszusprechen. Rote Gesichter.

Petrus ist mutig. Er stammelt seine beste Antwort heraus. "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!"

Stille und dann Nicken und Erleichterung überall.

 

Jesus' Fragestellung bestand aus zwei Teilen, zwei unterschiedlichen Fragen - erstens die Frage nach den Meinungen anderer und zweitens die persönliche Frage, die an die Jünger gerichtet war: "Für wen haltet ihr mich?"

 

Während ersteres nur eine Berichterstattung erforderte, verlangte letzteres eine tiefgründige Offenbarung aus dem Herzen. Es forderte jeden Jünger auf, über gesellschaftliche Wahrnehmungen hinauszugehen und ihre eigenen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen.

Jesu Fokus: Überzeugung überstimmt äußere Stimmen

Dieser Dialog offenbart Jesu Fokus. Er sucht nicht die Meinung der Welt, sondern die persönlichen Überzeugungen seiner Jünger. Er drängt sie dazu, über den Schutz öffentlicher Übereinkünfte hinauszugehen und ihr echtes Verständnis zu zeigen. Dies steht im Gegensatz dazu, einfach die Standpunkte anderer zu wiederholen oder sich hinter gesellschaftlichen Stimmen zu verstecken.

 

Diese Situation könnte ein Test gewesen sein, eine Art spirituelles Vorstellungsgespräch, um herauszufinden, wer von ihnen die Wahrheit umarmt und den Mut zeigt, dazu zu stehen. Er sucht nach Führungspersonen, die eine Position einnehmen können, die nicht von äusseren Einflüssen abgelenkt werden.

Die Macht der Worte: Inspirieren, Anleiten, Lenken

Innerhalb der Struktur der Leitung stellt Überzeugung einen grundlegenden Faden dar. Eine Person, die leitet, sollte nicht zufrieden sein damit, lediglich die Ansichten anderer wiederzugeben, noch sollte Schutz im Lärm der Medien gesucht werden. Wahre Leitung erfordert Mut - den Mut, eine standhafte Position einzunehmen, ungeachtet äusserer Einflüsse. Während wir die feine Balance zwischen Ehrlichkeit und Höflichkeit meistern, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass Worte, die in Überzeugungen verwurzelt sind, die Macht besitzen zu inspirieren, anzuleiten und zu lenken.

 

Denkt einen Moment lang über die Worte nach, die wir wählen - die Tendenz, unsere Gedanken mit Ausdrücken wie "Ich fühle", "Ich denke", "Ich spüre" oder "es macht den Eindruck" einzuleiten. Diese Ausdrücke haben ihre Bedeutung, fungieren jedoch mitunter als Schutzschilde und verschleiern die Kraft unserer Überzeugungen.

Aufrichtige Beziehungen: Die Ehrlichkeitssitzung

Eine Gruppe von Freunden, die nicht für ihre Ernsthaftigkeit bekannt sind, kam zu einer "Ehrlichkeitssitzung" zusammen. Sie stellten Fragen, die in den Kern ihrer Beziehungen eintauchten: "Was bewundert ihr an mir?" und "Wie seht ihr mich?" In diesen Momenten aufrichtigen Ausdrucks wurden Schichten von Einsicht und Verständnis enthüllt. Diese einfache Handlung verwandelte ihre Verbindungen und enthüllte Wahrheiten, die ungesagt geblieben waren.

 

Im gleichen Geist lädt Jesus uns alle ein - eine Einladung zu einer "Ehrlichkeitssitzung" mit uns selbst und mit Ihm. Er ermutigt uns, über gesellschaftliche Meinungen und oberflächliche Erscheinungen hinauszublicken. So wie jene Freunde tiefer gegangen sind, möchte Jesus, dass wir uns in echte Gespräche darüber vertiefen, wer Er für uns ist, wie wir Ihn in unserem Leben wahrnehmen.

Die Zwei Schneidige Wahrheit: Weh und Wachstum

Vergessen wir nicht, was der Weise zu dem König sagte: "Ihre Hohheit, die Wahrheit, die wir über uns selbst suchen, ist oft ein zweischneidiges Schwert. Es kann wehtun, aber es hilft uns auch, zu wachsen."

Amen.

Nachlese 20. Sonntag

Evangelium Mt.15,21-28

DIE BITTSTELLERIN

Die Frau ist ganz schön hartnäckig und Jesus lässt sich wirklich lange bitten. Zuerst behandelt er sie wie Luft und gibt ihr nicht einmal Antwort. Die Umstehenden zeigen sich genervt: Lästig ist sie ihnen. Dann erhält sie eine Abfuhr. Sie muss den Vergleich mit räudigen Hunden über sich ergehen lassen. Eine seltsame Geschichte! Es wäre doch einfacher gewesen, wenn Jesus einfach wie so oft gefragt hätte: „Frau, was willst du von mir? … Ich sehe deinen Glauben und deine Hoffnung,“ und unverzüglich wäre die Tochter geheilt. Wir sehen hier keinen allmächtigen Jesus, der nur ein Wort sprechen müsste und schon wäre die Tochter gesund. Jesus wehrt die Frau ab.

Die Kanaanäerin, die Ungläubige, muss zuerst einmal unten durch. Aber durch ihre Hartnäckigkeit legt sie die Unterwürfigkeit ab, ist eine klar Fordernde. Stufe um Stufe erringt sich die Frau Aufmerksamkeit und Respekt. Schliesslich wird ihr Bitten gehört und erhört und sie erhält, was sie braucht.

LANGER ATEM

Das Gleichnis auf heute übertragen zeigt mir, dass es oft einen langen Atem braucht. Lange politische und diplomatische Verhandlungen zwischen zerstrittenen Parteien. Langen Atem wenn etwas verändert werden soll. Ein Beispiel: Formell auf dem Papier ist die Sklaverei abgeschafft, stimmt aber nicht für viele Länder wie Indien oder Irak, all die Länder in denen Kinderarbeit üblich ist. Oder denken sie an Sexsklavinnen oder an die Bauarbeiter, die in Katar unter unfairen Bedingungen für die Fussball WM geschuftet haben. Vielleicht erinnern sie sich noch daran, dass vor Jahren in Italien chinesische Arbeiterinnen in ihrer Unterkunft verbrannt sind. Niemand wusste bis dahin von ihrer Existenz. Beispiele gäbe es noch unzählige. Gleichberechtigung zwischen den Rassen, Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Paare, Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern usw., da besteht immer noch Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Ich verneige mich vor mutigen Menschen, die ihr Leben einsetzen, die auf die Strasse gehen und ihre Meinung kundtun: Die Frauen im Irak und in Afghanistan, die sich gegen die rigide religiös begründete Unterdrückung wehren. Alle die, die in ihrem Land bleiben und wegen ihrer Meinung vor Gericht gestellt werden. In Russland gibt es vor der Urteilsverkündung für den Angeklagten das Recht auf das letzte Wort, bevor sie in irgendeinem Gefangenenlager verschwinden. 17.000 Menschen sind nur im letzten Jahr wegen des Verdachts der Kritik gegenüber der russischen Regierung hinter Gittern. Ägypten ist in den Medien an den Rand gerutscht, aber eine Strafe von 100 Stockhieben überleben nicht alle. Und da steht sie, die Frau, symbolhaft mit ihrer Geschichte in der Bibel vor 2000 Jahren.

INS GESPRÄCH KOMMEN

Was kommt den Menschen entgegen, die auf ihre Rechte pochen: Sei still! Es ist gefährlich, den Mund aufzumachen! Oder: Wir sind hier nicht zuständig. Usw.

Was für mich aus diesem Evangelium heraussticht ist: Dass die Frau mit ihrer Not und ihrem Anliegen dran bleibt bis Jesus und die Frau schliesslich doch ins Gespräch kommen, dass sie gesehen und gehört wird. Wir leben hier in der Schweiz in einem freien Land und das Recht auf freie Meinungsäusserung wird geachtet. Dennoch möchte ich gerne zwei Punkte für uns herausstellen:

 

In der Corona-Zeit haben sich Meinungen verhärtet: Impfgegner und Impfbefürworter. Die Fronten waren hart und klar. Ein Gespräch führte damals weder von der einen noch von der anderen Seite zu einer Annäherung. Mir scheint, dass Verschwörungstheorien Aufwind erhalten haben. Ich nehme an, sie sind auch in Kontakt gekommen mit abstrusen Behauptungen bis hin – ungelogen- dass die Erde eine Scheibe sei. Da denkt man doch: Da ist kein Gespräch möglich und verlorene Liebesmüh. Hier sehe ich eine Parallele: Erst wenn man ins Gespräch kommt, wenn verhärtete Fronten weich werden, kann es eine Lösung geben. Das Gespräch, das Interesse am anderen, das Zuhören und Aufeinander eingehen ist etwas zutiefst Christliches – auch wenn Jesus selbst sich offenbar damit manchmal schwergetan hat. Das Gespräch mit offenem Ausgang und Zuhören ist unserer Zeit und unserer Gesellschaft etwas abhandengekommen, meine ich zu beobachten. Gespräch und Auseinandersetzung sind anstrengend und kräftezehrend. Mangelhafter Austausch treibt die einen in die Einsamkeit, die anderen in die Arme extremer und extremistischer Gruppen.

ZUHÖREN

Der zweite Gedanke gehört mit dem ersten zusammen: Die Bereitschaft und die Mühe, dem anderen zuzuhören nimmt ab. Wahrscheinlich braucht das Zuhören auch Übung, man kann es lernen oder auch verlernen. Nehmen wir diese These weiter mit. Es braucht Feingefühl über den persönlichen Glauben und Religion mit anderen ins Gespräch zu kommen. Viele wenden sich von den christlichen Kirchen ab. Ich kann das teilweise sogar verstehen: Wenn ich dabeibleibe, so sagen sie, unterstütze ich dieses System, das in alten Machtstrukturen eingemauert ist. Andererseits – das ist meine Haltung – kann ich mehr einbringen, wenn ich bleibe als wenn ich mich zurückziehe. Da sind wir dann wieder bei der Frau im Evangelium, die nicht müde wird, auch wenn sie aufs Schlimmste beleidigt wird. Der Pfarreirat hat im Mai zu einem Vortrag eingeladen „Islam – eine Religion wie jede andere“. Wissen, Information und Austausch helfen, Grenzen zu überwinden, Grenzen zu verstehen und in einen Dialog zu kommen. Eine Befürchtung, die verbreitet wird und die vielleicht sogar zu den Verschwörungstheorien gezählt werden dürfte, ist die Angst vor der Ausbreitung des Islams und des Untergangs des christlichen Abendlandes. Das Christentum ist die am stärksten verfolgte Religion weltweit. Wäre das nicht ein Grund zu sagen: Da bleibe ich unbedingt dabei. Jeder Austritt, jeder und jede einzelne, die sich abwendet ist ein herber Verlust. Wenn wir eine starke Religionsgemeinschaft sind, müssen wir die anderen nicht als Bedrohung sehen. Angst und Abwertung des anderen führen nicht zum Ziel und nicht zu einem friedlichen Miteinander. In den Dialog treten auf Augenhöhe, das hat die Frau im Evangelium Jesus abgerungen. Offenbar und das wäre der Schluss sind auch Autoritäten -sogar Jesus- lernfähig und fähig ihre Haltung zu ändern.

FRIEDE UNTER DEN RELIGIONEN

Für Hans Küng war es klar: Kein Friede auf der Erde ohne den Frieden unter den Religionen. Religionen sind Ursache oder Vorwand für Kriege.

Darum tut allen Religionen der Erde kritische Selbstbetrachtung und Besinnung auf ihren Stifter und dessen Programm not. Die heutige Lesung gab einige Kriterien, die von allen Völkern und Religionen zu beachten sind. Durch Jesus und später vor allem durch die Missionsarbeit des Paulus gab es eine Öffnung des Judentums: Alle Menschen können den Weg zu Gott finden. Jedem Menschen ohne Ausnahme wurde eine Würde und Einmaligkeit zuerkannt - egal ob Israelit oder Nichtisraelit, ob Christ oder Nichtchrist. Der Apostel Petrus hat diesen Gedanken aufgegriffen. In einer Rede sagt er (Apg 10,28).: „Ihr wisst, dass es einem Juden nicht erlaubt ist, mit einem Nichtjuden zu verkehren oder sein Haus zu betreten; mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf“

Festgottesdienst Maria Himmelfahrt

Maria Aufnahme in den Himmel

IN GANZER PRACHT

Mitten im Sommer das Fest Mariens Aufnahme in den Himmel. Dieses Fest liegt ganz bewusst in einer Zeit, in der die Natur ihr Festgewand trägt und alles in voller Blüte und Kraft dasteht, bereit zur Ernte.

Der Festtag will kein Trauertag sein, obwohl des Todestages Mariens gedacht wird. Der Blick gilt vielmehr dem Leben Mariens, mit allem, was sie gelebt und gelitten hat, mit allem, was ihr Leben, ihr Wesen und ihre Person ausgemacht hat.

Der Todestag ist dabei wie ein Durchgang durch ein Tor in ein neues Leben bei Gott. Sie, die von Gott zu besonderem auserwählt wurde wird von den Engeln Gottes in den Himmel geleitet und dort wie eine Königin empfangen.

DER ANFANG

Wenn wir an Maria denken beginnt ihre Geschichte mit einer außergewöhnlichen Schwangerschaft. Maria macht sich auf zu ihrer Cousine Elisabeth. Ihre Motive werden nicht genannt: Vielleicht wollte sie dem Gerede der Leute entfliehen, denn eine Schwangerschaft lässt sich nicht verbergen. Bestimmt hatte sie auch die Hoffnung, bei Elisabeth einen guten Rat, ein gutes Wort und Aufnahme zu finden.

Marias Geschichte, so wie wir sie kennen, beginnt mit einem beschwerlichen Weg – schwanger, zu Fuss, und in brütender Hitze kämpft sich Maria durch.  Im Nacken ein ruinierter Ruf und eine verkorkste Beziehung zu ihrem Verlobten, der Gott und die Welt nicht mehr versteht. Und dann noch die geheimnisvollen Prophezeiungen des Engels, die Grosses aber auch Schweres erwarten lassen...

GOTTES PLAN

Wie ähnlich uns Maria doch ist: Was schleppen wir alles mit uns herum. Ganz alltägliche Lasten, nicht nur die sichtbaren schweren Einkauftaschen und Arbeit, sondern manchen Ärger - und Fragen wie: Warum muss das ausgerechnet mir passieren – warum gerade ich – so fragt einer, der seine Arbeit verliert. So fragt ein Kranker oder einer/eine, der einen geliebten Menschen verloren hat.

 

Ganz bestimmt stellt Maria auch die Frage WARUM ausgerechnet soll sie die Mutter des Erlösers werden?

Allerdings verliert sie sich nicht im Grübeln. Sie zögert nicht, sondern handelt, wie Gott es von ihr wünscht. Ihr ist bewusst, dass ihr Weg nicht einfach sein wird. Da kommt ihr das uralte Lied in den Sinn, das bereits Generationen vor ihr gestärt und ermutigt hat:

„Gott macht besonders die Niedrigen gross.“

Dieses Lied wird auch für Maria zu einer Lebenserfahrung.

In vollstem Vertrauen sagt sie JA. Sie ist offen für die Pläne Gottes mit ihr. Statt zu klagen über die grosse Last und Aufgabe, die Gott ihr zumutet, dankt sie Gott, weil sie spürt, dass sie einen Teil in Gottes Plan übernehmen darf.

GLAUBEN UND VERTRAUEN

Das Magnifikat ist ein Glaubensbekenntnis. Maria preist Gottes Treue, Güte und Macht. In der Geburt Jesu hat Gott nicht nur Maria auserwählt, sondern uns alle. Wir alle dürfen auf Gerechtigkeit hoffen: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“

 

Dieses Gebet soll auch uns heute entlasten von den Beschwernissen des Alltags. Es soll uns vor allem auch entlasten von dem, was das Leben uns an heranträgt.

Wer das Magnifikat betet überlässt sich Gott, vertraut sich Gott an.

So schwer es auch sein mag, was mich belastet, ich muss es doch nie allein tragen und alleine meistern.

Die Erfahrung zeigt, dass die Kraft wiederkommt, das ich wieder auf die Beine komme. Auch heute gibt es Menschen wie Elisabeth von der Maria wusste: Da kann ich hin. Sie hat ein offenes Ohr und wird mir weiterhelfen können. Es ist richtig, dass ich mich auf den Weg mache.

 

Ich wünsche uns allen Menschen, an die wir uns wenden können, wenn wir nicht mehr weiterwissen; vielmehr aber noch ein tiefes Vertrauen, dass Gott uns auf unseren Wegen führt. An uns ist es, uns Gott anzuvertrauen wir Maria es getan hat.

GLAUBENSBEKENNTIS

Wir machen uns das Leben nur unnötig schwer, wenn wir immer nur auf jene achten, die mehr geachtet, mehr geschätzt werden und die anscheinend besser dastehen. Maria zeigt uns wie wir es besser machen können. Sie lädt uns ein, in das Lob Gottes einzustimmen, gerade dann, wenn das Leben eintönig oder zu mühselig erscheint.

Wer mit glaubenden Augen die Welt und alles Geschehen betrachtet, fühlt sich gedrängt, Gott zu danken:

Gott ich preise dich – denn du hast Grosses an mir getan. Du hast mir mein Leben geschenkt. Du hast mich an einen bestimmten Platz gestellt. Er ist unscheinbar, aber ganz für mich von Dir erdacht. Mein Gott, wie gross ist deine Liebe zu mir. Am Ende meines Lebens nimm mich auf in deine Herrlichkeit – wie Maria – deine kleine Magd. Stellen sie sich vor, wie Gott uns die Hand entgegenstreckt mit offenen Armen empfängt.

Nachlese

17.Sonntag im Jahreskreis A : Evangelium Mt, 13,44-46 (der Schatz im Acker)

VERGRABENE SCHÜTZE HABEN TRADITION

Man hört es ja an meinem Dialekt, dass ich aus dem Rheinland stamme. Ich habe in Trier studiert, der ältesten Stadt Deutschlands, die Römerzeit begegnet einem hier auf Schritt und Tritt. Man sagt: Wenn du in deinem Garten nur schon einen Ziegelstein findest, wirf ihn weg, sonst kommen die Archäologen und graben dir den ganzen Garten um. Auch zur Zeit Jesu träumten die Menschen von Schätzen. Damals war die Wahrscheinlichkeit, zufällig bei der Arbeit auf dem Feld einen Schatz zu finden wesentlich höher als heute. Viele Menschen vergruben damals aus Angst vor Dieben tatsächlich ihre Schätze in kleinen Truhen oder in Krügen mit Schmuck, Perlen oder wertvollen Münzen in der Erde. Denn in die meisten Häuser konnte man damals leicht einbrechen und es wäre zu gefährlich gewesen, dort wertvolle Dinge aufzuheben. Manchmal starben die Besitzer von so eingegrabenen Schätzen, bevor sie sie wieder ausgraben oder ihr Versteck jemandem verraten konnten. Oder sie vergaßen den Platz, an dem der Schatz lag. Das war dann sehr ärgerlich für die Betreffenden, aber ein großes Glück für andere, wenn sie den Schatz zufällig fanden, so wie wir es vorhin im Evangelium gehört haben.

 

UNVERHOFFTER REICHTUM 

Jesus vergleicht das Reich Gottes mit jemandem, der zufällig einen Schatz fand. Vielleicht war es ein Tagelöhner, der für einen niedrigen Lohn im Acker eines Bauern arbeitete. Was tat der Mann? Nahm er den Schatz und verschwand damit? (-) Nein, der Arbeiter wollte auf Nummer sicher gehen. Er grub den Schatz wieder ein, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. Nur so gehörte der Schatz rechtmäßig ihm.

Der Tagelöhner wurde vermutlich ein reicher Mann und war alle Geldsorgen los.

Jesus vergleicht den Schatz mit dem Reich Gottes. Er sagt uns: Das Reich Gottes ist da, wo wir die Liebe Gottes spüren, wo wir Jesus begegnen und erfahren dürfen: Er ist als unser Freund immer da, freut sich mit uns, wenn es uns gut geht. Er leidet mit in schweren Zeiten. Das ist der größte Schatz, den wir je in unserem Leben bekommen können: dass Gott uns liebt und dass Jesus immer bei uns ist. Wer das einmal erfahren hat, der wird alles tun, um diesen Schatz zu bekommen und nie wieder zu verlieren. Das ist wertvoller als alle Reichtümer dieser Erde, die ja -wie wir wissen- von Rost und Motten zerfressen werden können. Der Tagelöhner war durch den Fund frei von Geldsorgen und frei von der Sorge für den nächsten Tag, ob er Arbeit finden würde. So ist für mich - und ich nehme an auch für sie - der Glaube in sorgenvollen Zeiten eine Lebenshilfe und seelische Stütze Glauben und Vertrauen haben in sich etwas Positives, das ist ein Geschenk und eine Resilienzfaktor Krisen besser zu überstehen. Ich glaube, dass Gott einen guten Plan für mein Leben hat sich auch darum kümmert, dass es gut wird. Das bedeutet oftmals ein Warten, Geduld und Vertrauen aufbringen, dass es wieder anders und besser wird.

 

ALS SCHATZGRÄBER UNTERWEGS

Jesus möchte, dass wir uns das Reich Gottes so sehr wünschen, wie der Mann sich im Gleichnis den Schatz gewünscht hat. Vielleicht erleben wir ein Stück Himmel zufällig in unserem Alltag -so wie der Arbeiter zufällig den Schatz in dem Acker gefunden hat. Das kann sein, wenn wir Zeit und Ruhe haben, uns mit Gott zu befassen, eine Zeit der Stille oder beim Besuch einer Kirche, wenn die Atmosphäre zu uns spricht. Das gibt es doch, dass Räume eine Ausstrahlung haben und zur Gottesbeziehung einladen – unsere Franziskanerkirche mit ihrer langen Geschichte ist das beste Beispiel dafür. Oder in einem Gespräch wir spüren vielleicht die plötzliche Gewissheit: Ja, tatsächlich: Gott liebt mich. Jesus ist bei mir. Dann sollen wir die Gelegenheit beim Schopf packen und dieses Gefühl der Geborgenheit in Gott oder des absoluten Gottvertrauens nicht mehr loslassen. Wir sind sozusagen ständig als Schatzgräber unterwegs. Wo kann ich Gottes Nähe spüren? Wo finde ich Jesus? In meinem Alltag, in der Familie, in der Begegnung mit lieben Mitmenschen, in der Natur? Ich kann mir bewusst machen, wie schön es ist, einfach nur zu leben, staunen über den Atem, der mich ständig begleitet, das Herz, das schlägt. Achtsamkeit, Staunen und Dankbarkeit sind sichere Schritte, die zu Gott führen. Wenn wir diesen Schatz gefunden haben, die Gewissheit, dass Jesus unser Freund ist, dass Gott gut zu uns ist, dann können von diesem Urvertrauen auch unseren Freunden und Angehörigen erzählen und ihnen damit vielleicht ein Stück Himmel erfahrbar machen. Dann werden wir selbst zu einem Schatz für andere.

 

DRECK GEHÖRT DAZU

Allerdings gibt es noch die Feinheit in dem Gleichnis: Der Bauer findet die Perle beim Ackern. Der Schatz springt ihn nicht an. Der Mann hat sich zuvor abgemüht und die Schaufel und Hacke in der Hand gehabt, hat den Acker sicher schon manches mal gepflügt. Den Schatz zu finden, das ist ein einmaliger Glücksfall. Der Schatz ist der Glaube und das Vertrauen wider alle Widrigkeiten: All die quälenden Fragen, warum Gott das Leid zulässt, dass Kinder todkrank sind, dass es diesen schrecklichen Unfall gab, warum die Menschen sich bekriegen, warum es so viel Hass, Neid Gewalt, Zerstörung und selbstzerstörerisches Verhalten gibt. Das alles können wir nicht fassen und verstehen. Man könnte an dieser Welt verzweifeln.

 

Das ist wie auf einer Waagschale: Auf der einen Seite ist der harte Ackerboden, das Schwere und Mühsame, die Gedanken, die belasten, die Geschichten, die wir mitschleppen. Ich versuche auf die andere Seite den Schatz zu legen: Alles was ich aufbringen kann an Glauben, an Liebe und Hoffnung. Alles für das ich dankbar sein kann und was mich staunen lässt.

 

Martin Buber erzählt in den Erzählungen der Chassidim: Der Schatz.

Den Jünglingen, die zum erstenmal zu ihm kamen, pflegte Rabbi Bunam die Geschichte von Rabbi Eisik, Sohn Rabbi Jekels in Krakau, zu erzählen. Dem war nach Jahren schwerer Not, die sein Gottvertrauen nicht erschüttert hatten, im Traum befohlen worden, in Prag unter der Brücke, die zum Königsschloss führt, nach einem Schatz zu suchen. Als der Traum zum drittenmal wiederkehrte, machte sich Rabbi Eisik auf und wanderte nach Prag. Aber an der Brücke standen Tag und Nacht Wachposten, und er getraute sich nicht zu graben. Doch kam er an jedem Morgen zur Brücke und umkreiste sie bis zum Abend. Endlich fragte ihn der Hauptmann der Wache, auf sein Treiben aufmerksam geworden, freundlich, ob er hier etwas suche oder auf jemand warte. Rabbi Eisik erzählte, welcher Traum ihn aus fernem Land hergeführt habe. Der Hauptmann lachte: «Und da bist du armer Kerl mit deinen zerfetzten Sohlen einem Traum zu Gefallen her gepilgert! Ja, wer den Träumen traut! Da hätte ich mich ja auch auf die Beine machen müssen, als er mir einmal im Traum befahl, nach Krakau zu wandern und in der Stube eines Juden, Eisik, Sohn Jekels, sollte er heißen, unterm Ofen nach einem Schatz zu graben. Eisik, Sohn Jekels! Ich kann's mir vorstellen, wie ich drüben, wo die eine Hälfte der Juden Eisik und die andre Jekel heißt, alle Häuser aufreisse!» Und er lachte wieder. Rabbi Eisik verneigte sich, wanderte heim, grub den Schatz aus und baute das Bethaus, das Reb Eisik Reb Jekels Schule heisst. «Merke dir diese Geschichte, pflegte Rabbi Bunam hinzuzufügen, «und nimm auf, was sie dir sagt: dass es etwas gibt, was du nirgends in der Welt, auch nicht beim Zaddik finden kannst, und dass es doch einen Ort gibt, wo du es finden kannst.

Eine neue Perspektive

Predigt zum Fest Verklärung des Herrn

An diesem Wochenende findet in Lissabon die Hauptveranstaltung des Weltjugendtages mit Papst Franziskus statt. Rund 750’000 Jugendliche aus der ganzen Welt haben sich dort versammelt. Ich selbst habe zwei Weltjungendtage erlebt. Das sind außergewöhnliche, nicht alltägliche Ereignisse: So viele Gleichaltrige und Gleichgesinnte, die gemeinsam den Glauben feiern - das beflügelt und begeistert. Man erlebt in diesen Tagen einen unglaublichen Höhenflug, hat das Gefühl, mit dem eigenen Glauben Berge versetzen zu können. Doch was bleibt am Ende von diesem Erlebnis, wenn die Sorgen des Alltags und die Routine einen wieder einholen?

Auch die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes haben eine außergewöhnliche und intensive Glaubenserfahrung gemacht, wie uns die Lesung und das Evangelium berichtet haben. Sie sahen Jesus in einem anderen Licht, aus einer neuen Perspektive. Durch die Verklärung, so könnten wir sagen, haben sie Jesus aus der Sicht des Vaters erfahren: «Dieser ist mein geliebter Sohn». Diese erstaunliche Erfahrung kommt nicht aus dem Nichts. Sie ist eine Station auf einem langen Weg, den diese Menschen mit Jesus gegangen sind. Im Matthäusevangelium ist die Verklärungsgeschichte umrahmt von Kapiteln, die sich mit der Frage beschäftigen, wer dieser Jesus in Wirklichkeit ist. Dabei geht es nicht nur um die richtigen theologischen Aussagen über Jesus. Es geht immer auch um die Glaubenserfahrung der Menschen: Wer ist dieser Jesus für mich? Kurz vor der Verklärung hat Jesus selbst seine Jüngerinnen und Jünger gefragt: «Was sagen die Leute, wer ich bin?» Und gleich darauf: «Was sagt ihr, wer ich bin?» Die Frage nach der Identität Jesu ist nicht zu trennen von der Frage nach dem eigenen Glauben. Wenn wir also über die Verklärung des Herrn nachdenken, fragen wir im Grunde nach unserem Glauben, nach unserer persönlichen Antwort auf Gott.

Eine andere Wirklichkeit

Auf ihrem Glaubensweg haben die Apostel also diese außerordentliche Erfahrung gemacht. Die Reaktion von Petrus lässt mich schmunzeln, denn ich kann gut nachempfinden, was ihm durch den Kopf gegangen ist. Wahrscheinlich kennen Sie das auch: Sie sind im Urlaub an einem wunderschönen Ort, erleben einen einmaligen Tag und wünschen sich, dass dieses Erlebnis nie zu Ende gehen möge.  «Könnte ich doch für immer hier bleiben!» - Das dachte sich auch Petrus. Er wollte gleich Hütten bauen, sich dort oben auf dem Berg niederlassen, für immer diesen Höhenflug erleben. Aber auch er musste vom Berg der Verklärung wieder hinabsteigen ins Tal des Alltags. Und da stellt sich die Frage: Was bleibt von diesem intensiven Erlebnis?

Liebe Schwestern und Brüder, auch wenn wir keine lichterfüllten Visionen erleben, im Kleinen haben auch wir unsere Verklärungserfahrungen, in denen wir uns Gott besonders nahe fühlen, in denen tief verborgene Wahrheiten plötzlich klar werden. Manchmal ist vielleicht der Gottesdienst ein solcher Moment, der begeistert und beflügelt. Manche erleben einen solchen Moment in der Stille oder beim Verweilen in der Natur. Was geschieht danach? Was geschieht, wenn wir die Schwelle der Kirchentür überschreiten? Lassen wir uns von dieser Gotteserfahrung nachhaltig prägen? Lassen wir uns durch die Begegnung mit Gott verwandeln? Als Christinnen und Christen haben wir den Auftrag, Jesus zu folgen: «Dieser ist mein geliebter Sohn (…) Auf ihn sollt ihr hören.» Wir sind aufgerufen, nach seiner Botschaft zu leben. Und seine Botschaft fordert uns immer wieder heraus, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wir sind aufgefordert, andere Lesarten zu suchen als die, die uns der Mainstream vorgibt. Wir sind aufgefordert, Menschen und Situationen – und ja, auch uns selbst – nicht von vornherein zu beurteilen, zu etikettieren und in Schubladen zu stecken, sondern Augen zu haben für die wahre, oft verborgene Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die sich uns durch die Liebe erschliesst.

Ich möchte mit einem Liedtext und Gebet abschliessen, das leider nicht in unserem Kirchengesangbuch abgedruckt ist:

Herr, nimm auch uns zum Tabor mit, zum Berg der Verklärung, um uns dein Licht zu zeigen!
Lass unsre Hoffnung Schritt um Schritt mit dir zu Gott aufsteigen!
Lass leuchten deine Herrlichkeit, von der die Seher künden!
Mach uns für Gottes Reich bereit, wo alle Mühen münden.
Dann geh mit uns vom Berg hinab ins Tal der Alltagssorgen
Und sei uns Weg und Wanderstab durchs Kreuz zum Ostermorgen.

Amen

 

Franziskanerkirche, 5./6. August 2023

Simone Parise

Nachlese Sonntag 9. Juli 2023

"Entspannen" oder "Ruhe finden"

In Jesus Ruhe finden


Einmal entspannte sich der Eremit St. Antonius mit seinen Jüngern vor seiner Hütte, als ein Jäger vorbeikam. Der Jäger hatte bestimmte Vorstellungen davon, wie ein Mönch sich verhalten sollte, und tadelte Antonius dafür. Doch Antonius antwortete klug: "Spann deinen Bogen und schiess einen Pfeil." Der Jäger folgte seinen Anweisungen. Antonius sagte weiter: "Spann ihn nochmal und schiess einen weiteren." Der Jäger gehorchte immer wieder. Schliesslich erkannte der Jäger: "Vater Antonius, wenn ich meinen Bogen ständig gespannt halte, wird er brechen." Antonius antwortete: "So ist es auch bei einem Mönch. Wenn wir uns übermässig anstrengen, werden wir zerbrechen. Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit unsere Anstrengungen zu lockern."

 

Entspannung ist sehr wichtig

 

Entspannung oder Ruhe ist sehr wichtig in unserem Leben, und Jesus selbst hat ihre Bedeutung betont. In der heutigen Schriftstelle lädt Jesus seine erschöpften Jünger ein, sich nach einer intensiven Zeit des Dienstes auszuruhen. Jesus ruft uns dazu auf, zu ihm zu kommen und verspricht Ruhe für diejenigen, die möchten. Er ermutigt uns auch, sein Joch auf uns zu nehmen und von ihm zu lernen.

 

Es ist wichtig, dass wir Momente der Entspannung in unserem Leben haben. Wenn wir uns ständig überanstrengen, werden wir letztendlich an unsere Grenzen kommen.

 

issverständnisse und falsche Überzeugungen

 

Sollten wir nicht seinem Beispiel folgen? Lassen wir uns priorisieren, spezielle Zeit zum Ausruhen beiseite zu legen, um uns körperlich zu entspannen und uns emotional und spirituell zu erneuern. Dadurch können wir unser Bestes für Gott sein, genau wie ein Bogen gelockert werden muss, um ein Brechen zu verhindern.

 

Einige gängige Missverständnisse und falsche Überzeugungen umfassen:

 

• Die Arbeit über alles andere zu stellen und andere Aspekte des Lebens zu vernachlässigen.

 

• Immer "ja" zu jeder Anfrage zu sagen, ohne persönliche Grenzen zu beachten.

 

• Alle Formen der Freizeitgestaltung als Zeitverschwendung anzusehen.

 

• Zu glauben, dass man egal, wie viel man schon tut, immer noch mehr leisten kann.

 

Stress

 

Diese unrealistischen Motivationen können sich nachteilig auf unser Wohlbefinden auswirken. Im Jahr 2019 berichtete ungefähr ein Drittel der Menschen weltweit von Stress, Sorgen und Ärger.

 

In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurden die Hauptursachen für Stress in Amerika mit Finanzen, Arbeit, Wirtschaft, familiären Verpflichtungen und persönlichen Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht. Interessanterweise rangierte Religion nicht unter den zehn Hauptursachen für Stress.

 

Jesus war nicht im Stress

 

Jesus hat unsere Erlösung nicht nur durch das Tragen des Kreuzes erwirkt. Er war nicht immer im Stress und am Leiden. Sein ruhiges Leben in Nazareth als Zimmermann war ebenfalls erlösend und dem Vater wohlgefällig. Seine Ausübung von Demut und Sanftmut wurde nicht nur in seinem Predigt- und Heilungsdienst gezeigt. Es wurde auch in seinen Gesprächen und seiner Präsenz, einfache Präsenz unter den Menschen sichtbar. Das Essen und Trinken gehörte ebenfalls zum Erlösungsplan.

 

Hilft Technologie uns zu Entspannen?

 

In der heutigen Welt, in der die organisierte Religion abnimmt und uns die Technologie ständig miteinander verbindet, scheinen uns klare Richtlinien für Ruhe und ein gemeinsames Verständnis dafür zu fehlen, wie man sich von der Arbeit abgrenzt.

 

Jesus' Einladung in Matthäus 11, "Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid", dient als beruhigendes Heilmittel für diejenigen, die von der Arbeit und den ständigen Anforderungen des vernetzten Lebens überfordert sind. Es ist auch sehr interessant, diese Worte gewöhnlich zu Beginn der Ferienzeit zu hören.

 

In unserer heutigen Gesellschaft wird oft Ruhe als falsch oder egoistisch angesehen, während Geschäftigkeit verherrlicht wird und mit Wert und Beitrag gleichgesetzt wird. Die allgegenwärtige Antwort auf die Frage "Wie geht es dir?" hat sich von "gut" zu "beschäftigt" verschoben und betont unser ständiges Engagement in verschiedenen Aktivitäten.

 

Selbst wenn wir die Möglichkeit zur Ruhe haben, kann es eine Herausforderung sein. Moderne Technologie hält uns ständig durch Textnachrichten, E-Mails und Benachrichtigungen verbunden und macht es schwer, sich abzuschalten. Unsere Geräte bieten uns eine Fülle von stimulierendem Inhalt wie Spiele, Unterhaltung und soziale Medien, was die wahre Ruhe weiter erschwert. Es erfordert echte Anstrengung und Hingabe, um wirklich auszuruhen.

 

Ruhe und Gerechtigkeit

 

Diejenigen von uns, die das Privileg der Ruhe haben, sollten es annehmen. Darüber hinaus sollten wir den Wert der Ruhe für alle Menschen, die arbeiten, erkennen und hochhalten. Vielleicht wird wahre Gerechtigkeit erreicht, wenn alle, die belastet und müde sind, Erholung finden können. In der Bibel gibt uns Gott ein Beispiel, indem er am siebten Tag ruht, und Jesus zieht sich oft allein zurück, um zu beten und Ruhe zu finden.

 

In dieser Eucharistiefeier legen wir unser stressbeladenes Leben auf den Altar und lassen Jesus die überhitzten Heizkörper unseres hektischen Daseins beruhigen.

 

Schliesslich erkannte der Jäger: "Vater Antonius, wenn ich meinen Bogen ständig gespannt halte, wird er brechen." Antonius antwortete: "So ist es auch bei einem Mönch. Wenn wir uns übermässig anstrengen, werden wir zerbrechen. Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit unsere Anstrengungen zu lockern."

 

Fürchte dich nicht... du selbst zu sein

Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis

In Goethes berühmter Tragödie Faust stellt Margarethe dem Protagonisten die sprichwörtlich gewordene «Gretchenfrage»: «Nun sag, wie hast du‘s mit der Religion?» Diese Frage ist berühmt geworden, weil sie wohl einen empfindlichen Punkt und einen wesentlichen Aspekt unserer menschlichen Existenz trifft.

«Glaubst du an Gott?» Diese direkte Frage wagt man heute kaum zu stellen. Religion und Glauben sind doch Privatsache; das persönliche Bekenntnis fast zum Tabu geworden. Für viele ist die Frage nach Gott ohnehin längt überflüssig geworden.

Was haben wir glaubende Menschen dann noch zu sagen? In der Gesellschaft werden wir immer mehr an den Rand gedrängt, als ‚naiv‘ und ‚überholt‘ abgestempelt. Deshalb behalten wir unsere Überzeugungen gerne für uns, leben sozusagen als Inkognito-Christen. So stossen wir niemanden vor den Kopf und erregen kein Aufsehen. Unsere Überzeugungen, oft auch unsere Prinzipien, behalten wir gerne für uns. Zu gross ist die Angst vor fremden Urteilen, vor Mobbing, Ablehnung oder Ausgrenzung.

Ängste von damals und von heute

Von dieser lähmenden Angst waren auch die Menschen um Jesus betroffen. Wir haben heute einen Ausschnitt aus der Aussendungsrede im Matthäusevangelium gehört. Sie ist die zweite der fünf grossen Reden Jesu und steht im zehnten Kapitel, gleich nach der Berufung der zwölf Apostel. Jesus sendet die Zwölf aus mit dem Auftrag «Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.» Er gibt ihnen aber auch Warnungen und Ratschläge mit auf den Weg. Vor allem nimmt Jesus ihre Angst ernst: die Angst vor der Reaktion der Menschen. Dreimal wiederholt er die Aufforderung, die auch an uns heute gilt: «Fürchtet euch nicht».

Wir sollen keine Angst vor anderen Menschen haben. Vor allem sollen wir uns nicht davor fürchten, unsere Überzeugungen, unseren Glauben, mit Klarheit und Transparenz zu vertreten. Das heutige Evangelium lädt uns dazu ein, aufrichtige und ehrliche Menschen zu sein, die nicht im Verborgenen leben, sondern auch im Tageslicht ihr wahres Gesicht zeigen. Wir sollen Menschen sein, die sich nicht dem Gruppendruck beugen, die sich nicht verstellen, um in die Gesellschaft zu passen.

Starke Meinungen provozieren

Aber Jesus ist kein Schönredner und er ist auch nicht naiv. Er weiss, dass die Treue zu denen eigenen Grundsätzen früher oder später zur Konfrontation führt. Denn starke Meinungen provozieren. Wie viele Frauen und Männer, die wir aufgrund ihrer grossen Ideale schätzen, haben genau das erlebt: In der Treue zu ihren Überzeugungen, haben sie Ablehnung, Spott und Hass erfahren. Wie viele wurden mit dem Tode bedroht oder gar getötet, weil sie nicht schweigen, nicht zurückweichen, sich nicht anpassen wollten.

Zu diesen Menschen gehört auch der Prophet Jeremia aus der ersten Lesung. In diesem sehr intimen Text erfahren wir, was es ihn gekostet hat, seiner Berufung treu zu bleiben: er war gesellschaftlich komplett isoliert. Auch Jesus gehört zu diesen Menschen. Die Ablehnung seiner Botschaft von Gerechtigkeit und Liebe endete am Kreuz. Aber sowohl Jeremia wie auch Jesus machten die Erfahrung, dass sie in ihrer Verlassenheit und Einsamkeit, doch nicht ganz auf sich selbst gestellt waren. Sie spürten Gottes Nähe. «Doch der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held», haben wir beim Propheten Jeremia gehört. Jeremia hat darauf vertraut, dass Gott den Gerechten nicht im Stich lässt. Er durfte es selbst erfahren. Und so auch Jesus: Seine Auferstehung ist das grösste und stärkste Zeichen dafür, dass Gott seine Gerechtigkeit und Liebe am Ende immer durchsetzt. Wer zu Gott hält, zu dem wird auch Gott halten. Das versichert auch Jesus: «Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.» Für uns Christinnen und Christen heisst das im Grunde: Wer zu sich selbst und zu seinen Überzeugungen steht, zu dem wird auch Gott stehen.

Ich glaube, dass Jesus uns mit der heutigen Botschaft einen Weg zeigt, wie wir erfüllter leben können. Wie viel verpassen wir, weil wir uns von der Angst lähmen lassen? Wie viel sind wir bereit uns zu verstellen und von uns selbst aufzugeben, nur um anderen zu gefallen? Jesus ermächtigt uns dazu, wir selbst zu sein. Denn nur so können wir als authentische und aufrichtige Menschen leben, die das ausstrahlen, woran sie glauben. Nur so können wir am Ende sagen, dass wir unser Leben wirklich gelebt haben.

 

Franziskanerkirche, 24./25. Juni 2023

Simone Parise

Wie ist Gott für Sie?

Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag (3./4. Juni 2023)

 

Am Sonntag nach Pfingsten feiert die katholische und die evangelisch-lutherische Kirche den Dreifaltigkeits-Sonntag. Und dies, obwohl ja eigentlich jeder Sonntag - ja jeder Gottesdienst - unter dem Zeichen der Dreifaltigkeit steht. Viele Gebete und so besonders auch die Psalmen schliessen wir im Namen der Dreifaltigkeit ab, zum Beispiel durch das «Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist...». Auch das Hochgebet in der Messe wird ähnlich abgeschlossen: «Durch Christus und mit ihm und in ihm, ist dir Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes, alle Herrlichkeit und Ehre…». Wie ein solcher Abschluss oder wie ein feierlicher Schlusssegen rundet dieser Dreifaltigkeits-Sonntag die vergangene Osterzeit ab und setzt einen Schlusspunkt auf das Oster- und Pfingstfest.

Schlusspunkt? Habe ich da wirklich das richtige Satzzeichen genannt? Wird hier wirklich etwas abgeschlossen? In den vergangenen Wochen und speziell an Christi Himmelfahrt und an Pfingsten, haben uns die biblischen Texte darauf vorbereitet als Christinnen und Christen in der Welt zu leben: Als Menschen, die den Heiligen Geist empfangen haben. Nein, das heutige Hochfest kann also nicht ein Schlusspunkt sein. Da muss ein anderes Satzzeichen hin.

Glaubensbefehl oder kritische Rückfrage?

Einige verstehen diesen Sonntag vielleicht als Ausrufezeichen. Mit diesem Zeichen werden laute Ausrufe und Befehle ausgedrückt. Ist dieser Dreifaltigkeits-Sonntag etwa ein Glaubensbefehl? Wird uns hierdurch ein Dogma aus einer längst vergangenen Zeit aufgezwungen, das wir kaum verstehen können? Glauben lässt sich nicht aufzwingen oder befehlen. Er erwächst aus einer inneren und freien Auseinandersetzung mit Gott. Auch das Ausrufezeichen ist hier also fehl am Platz.

Könnte dieser Dreifaltigkeits-Sonntag also ein Fragezeichen sein? Vielleicht sollen wir heute kritisch hinterfragen, was wir letzte Woche an Pfingsten gefeiert haben: die Gabe des Heiligen Geistes. Dieser Sonntag kann als Einladung verstanden werden, zu überprüfen, ob die vergangene Osterzeit etwas angestossen hat. Sind wir auf unserem Glaubensweg, in unserer Beziehung zu Gott einen Schritt weitergekommen?

Da kommt noch mehr

Auch wenn das Fragezeichen gut zu dieser Feier passt, gleicht für mich der Dreifaltigkeits-Sonntag einem anderen Satzzeichen, nämlich einem Doppelpunkt. Auf den Doppelpunkt folgt immer etwas – zum Beispiel eine Erklärung oder eine direkte Rede. Der Doppelpunkt schafft Raum für etwas, das noch kommt und das mit Spannung erwartet wird. Mit Ostern und Pfingsten ist die Geschichte nicht zu Ende. Da kommt noch mehr, nämlich unsere persönliche Geschichte mit Gott, unsere Auseinandersetzung mit dem Evangelium. So scheint mir dieser Sonntag eher eine Überleitung von der Feststimmung der Osterzeit in den «gewöhnlichen» Alltag zu sein. Und erst im Alltäglichen zeigt sich, wie wir als Menschen leben, die den Geist empfangen haben.

Für mich passt der Doppelpunkt nicht nur zum Dreifaltigkeits-Sonntag. Er passt auch zu Gott. Wir haben unsere eigenen Gottesvorstellungen, gleichzeitg wissen wir aber, dass Gott diese Vorstellungen übertrifft. Da kommt noch mehr - wie nach einem Doppelpunkt. Für mich ist Gott also nicht eine abgeschlossene und definitive theologische Definition - er ist kein Schlusspunkt. Erst recht ist er nicht ein Ausrufezeichen, denn er drängt sich nicht auf. Für meinen Geschmack ist er sogar zu ruhig und zurückhaltend. Manchmal würde ich mir einen lauteren und deutlicheren Gott wünschen, der klare Ansagen macht. Gott ist für auch nicht ein Rätsel, etwas Unnahbares oder eine offene Frage, denn durch Jesus wurde er Konkret und ganz nah, so dass man in Beziehung zu ihm treten und mit ihm vertraut werden kann. Doch auch wenn er uns nahe ist, Gott bleibt dynamisch und spannend, immer offen für Neues und für Überraschungen, wenn wir bereit sind im Augenblick zu verweilen und uns auf seine Gegenwart einzulassen. 

Und für Sie, liebe Schwestern und Brüder? Wie ist Gott für Sie?

 

Simone Parise

Pfingsten 2023 Evangelium vom Tag: Joh 20,19-23

Liebe Gottesdienstgemeinde!

Was feiern wir eigentlich an Pfingsten? Für die meisten bedeutet Pfingsten ein paar freie Tage, um bei hoffentlich schönem Wetter einen Ausflug oder eine Wanderung unternehmen oder möglichst viel draussen sein zu können.

Die Kirche feiert Pfingsten Geburtstag der Kirche: Der heilige Geist kommt herab und erfüllt die Menschen. Froh und mit Kraft und Mut bekennen sie: Jesus ist auferstanden. Sein Geist wirkt weiter in dieser Welt, gewaltig und unbändig, ein anderes Mal auch ganz fein und zart.

Da wo der Geist Gottes aktiv wird, helfen nur noch Vergleiche: Die Lesung und das Evangelium sagen: Totgeglaubtes wird wieder lebendig. Wenn Jesus die Jünger anhaucht, dann ist das der Beweis, dass der Auferstandene lebt. Das Angehaucht-Werden erinnert an den Schöpfungsakt Gottes, als er oder sie „Gott“ dem Menschen den Atem in die Nase einhaucht und das Leben schenkt. Mit dem letzten Atemzug gibt der Mensch das Leben wieder in Gottes Hände zurück.  Der Mensch haucht sein Leben wieder aus. Heute geht es um das Leben, um den Atem der in uns ist, um den heiligen Geist. Der heilige Geist atmet in uns, sagt der Heilige Augustinus.

Die Anhänger und Freundinnen Jesu stossen Fenstern und Türen auf, gehen hinaus auf die Strasse. Und sie werden erstaunlicherweise verstanden, nicht von allen aber von vielen – sonst wären wir heute nicht hier. Wir müssen hinaus, wenn die Menschen nicht herein kommen. Wir sind ja alle nicht weltfremd und wir wissen, was unsere Leute daheim und in der Nachbarschaft beschäftigt. Deren Fragen unterscheiden sich nicht wesentlich von unseren. Auch sie versuchen ihr Leben zu bewältigen. Als Gemeinde können wir unsere verschiedenen Gaben einbringen: Die eine kann gut zuhören, der andere hilft gern im Garten aus, man trifft sich auf einen Kaffee … all die kleinen Dinge, die so gut tun. Und das besondere ist, dass sie gratis zur Verfügung stehen. Wahrscheinlich muss sich die Kirche von innen und nicht von oben reformieren. So lese ich den Propheten Ezechiel und geben die Hoffnung auf den Geist Gottes nicht auf, dass sich die toten Gebeine wieder zusammensammeln und wieder Fleisch an die Knochen kommt.

Danach sehnen wir uns: Dass es endlich Hilfe gäbe gegen all die körperlichen und seelischen Leiden, die Ausgrenzung, Feindseligkeiten, Neid und Hass, eine Lösung für den Frieden, dass ein Ruck auch durch die Kirche ginge. Es ist ja so, dass man sich erklären und verteidigen muss, noch zur Kirche zu gehen.. Es ist ja auch nicht zu verdenken: Der Reformstau und die Gräueltaten, das menschliche Versagen haben Schande über die vormals „Heilige Mutter Kirche“ gebracht und ihr einen Todesstoss versetzt.

Dazu eine Erzählung:

Kalte Gleichgültigkeit, das war die Atmosphäre hier in Chesterton, als Pfarrer Wright sein Amt antrat. Am ersten Sonntag predigte er in einer völlig leeren Kirche. Am zweiten Sonntag war es genauso. Und wenn der Pfarrer an den Werktagen seine Gemeindeglieder besuchte, erging es ihm nicht besser. "Die Kirche ist tot", so sagte man ihm. Aber am Donnerstag nach jenem zweiten trostlosen Sonntag geschah's, dass eine Todesanzeige in der Zeitung erschien. Dort konnte man lesen: Mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns und der Zustimmung meiner Gemeinde gebe ich den Tod der Kirche zu Chesterton bekannt. Die Trauerfeier findet am Sonntag um 11 Uhr statt. Herbert Wright, Pfarrer zu Chesterton. Die Anzeige löste lebhafte Diskussionen aus. Am Sonntag war bereits um halb elf die Kirche gedrängt voll. Als ich die Kirche betrat, sah ich einen Sarg auf einer Bahre vor dem Altar stehen. Pünktlich um 11 Uhr bestieg Pfarrer Wright die Kanzel: "Meine Freunde, Sie haben mir klar gemacht, dass Sie überzeugt sind, unsere Kirche sei tot. Sie haben auch keine Hoffnung auf Wiederbelebung. Ich möchte nun diese Ihre Meinung auf eine letzte Probe stellen. Bitte gehen Sie einer nach dem anderen an diesem Sarg vorbei und sehen Sie sich die Tote an. Dann verlassen Sie die Kirche durch das Ostportal. Danach werde ich die Trauerfeier allein beschließen. Sollten aber einige unter Ihnen Ihre Ansicht ändern und wären auch nur wenige der Meinung, eine Wiederbelebung der Kirche sei vielleicht doch möglich - dann bitte ich diese, durch das Nordportal wieder hereinzukommen. Statt der Trauerfeier würde ich dann einen Dankgottesdienst halten." Ohne weitere Worte trat der Pfarrer an den Sarg und öffnete ihn. Ich war einer der letzten in der Reihe vor dem Sarg. So hatte ich Zeit, darüber nachzudenken: "Was war eigentlich die Kirche? Wer würde wohl im Sarg liegen? Würde es vielleicht ein Bild des Gekreuzigten sein?" Die anderen in der Reihe dachten wohl ähnlich, ich merkte, wie uns ein Schaudern überkam, je mehr wir uns dem Sarg näherten. Zudem erschreckte uns ein Knarren und Quietschen. Die Tür des Nordportals drehte sich in ihren verrosteten Angeln. Herein trat eine kaum zu zählende Menge. Nun war es soweit, dass ich die tote Kirche sehen sollte. Unwillkürlich schloss ich die Augen, als ich mich über den Sarg beugte. Als ich sie öffnete, sah ich mich selbst - im Spiegel.

 

Was kann ich da als einzelne tun? Zuerst einmal mir selbst klar werden, was mich hier hält oder sogar hinzieht. Mein persönlicher Glaubensweg, die innere Gewissheit, die Erfahrung, dass mich der Glaube trägt und die Erfahrung, dass auch die Gemeinschaft trägt.

 

Was feiern wir an Pfingsten? Der Geist Gottes wird uns eingehaucht. Totes wird lebendig. Pfingsten, so heisst es, war vor 2000 Jahren der Geburtstag der Kirche. Wie und ob sie Kirche lebendig ist, dazu ist jeder und jede einzelne aufgefordert und gefragt.

 

Die unscheinbaren Helden

Nach der Himmelfahrt-Jesu kehrten die Apostel nach Jerusalem zurück und blieben in dem Obergemach, in dem sie das letzte Abendmahl gefeiert hatten. Davon haben wir in der Apostelgeschichte gehört. Der Evangelist Lukas, der sowohl die Apostelgeschichte als auch das Evangelium geschrieben hat, erzählt uns, wer dabei war. Aus unserer Lesung können wir Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes, Philippus, Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, den Sohn des Alphäus, Simon, den Zeloten und Judas, den Sohn des Jakobus, sowie Maria, andere Frauen und die Brüder Jesu erwähnen. Einige Personen werden hier namentlich genannt, andere werden in der Apostelgeschichte nicht genannt. Die einzigen Namen, die er ausdrücklich nennt, sind die Namen der übrigen elf Apostel und von Maria, der Mutter Jesu.

War das eine absichtliche Abwertung der Frauen, die Jesus folgten und die Apostelschar unterstützten? Vielleicht ja, oder wurden nur die Frauen nicht extra namentlich erwähnt?

Was ist mit den ungenannten Brüdern Jesu?

Selbst der erste Mensch auf Erden, der dem auferstandenen Jesus begegnete, konnte die Aufmerksamkeit des Autors nicht auf sich ziehen.

Die Wichtigkeit von Namen und ihre Auswirkungen auf Beziehungen

Der Name ist wichtig. Wie ein Name geschrieben und ausgesprochen wird, ist für viele wichtig. Namen sind Erlaubnisscheine: Sie laden ein, sich zu engagieren oder sogar eine Beziehung einzugehen. Die Namensgebung ist wichtig. Wenn die Menschen unsere Namen kennen und sie richtig aussprechen, können wir glauben, dass wir Teil von etwas sind - einer Gemeinschaft, einer Bewegung, einer Beziehung.

Wer war dabei?

Zu den "einigen Frauen", die mit der Gemeinschaft beteten, gehörten auch die Jüngerinnen, die Jesus zusammen mit der Gottesmutter Maria von Galiläa nach Jerusalem zum Passahfest begleiteten: Maria Magdala, Johanna, Susanna und Salome, die Mutter der Apostel Jakobus und Johannes Zebedäus. Wahrscheinlich waren auch die Jüngerinnen Jesu, Maria und Martha von Bethanien, Maria von Kleopas und Maria von Jerusalem, die Mutter von Johannes und Markus und Verwandte des Jüngers Barnabas, anwesend. Der Abendmahlssaal könnte das Haus von Maria von Jerusalem gewesen sein, der Mutter von Johannes und Markus und der Verwandten des Jüngers Barnabas.

Dennoch werden sie nicht als erwähnenswert angesehen. Der Autor Lukas ist das Kind der damaligen Zeit. Natürlich sind die Autoren Kinder ihrer jeweiligen Zeit.

Die Tatsache hinter den fehlenden Namen

In einem Artikel aus dem Jahr 2016 in der Biblical Archeological Review wurde festgestellt, dass in der Bibel 3.237 Personen genannt werden. Von diesen Personen sind nur 188 Frauen.

Es ist eine Tatsache, dass Frauen in den biblischen Erzählungen untervertreten sind. Das bedeutet aber nicht, dass Frauen von Gott herabgewürdigt wurden. Es ist eine Frage der Autoren, die die Bücher verfasst haben.

Wusstet ihr, dass es in der Bibel Tausende und Abertausende von namenlosen Männern gibt? Viele von ihnen können als «Gottes anonyme Männer» bezeichnet werden. Allzu oft richten wir unsere Aufmerksamkeit nur auf die grossen Persönlichkeiten des Buches. Die meisten Worte in der Bibel werden von Männern und Frauen gesprochen, die nicht mit ihrem Namen bezeichnet werden. Die grosse Schar der Unscheinbaren und Namenlosen ist auch unserer Aufmerksamkeit würdig.

In den Apostelgeschichten werden nicht nur Frauen namentlich nicht erwähnt, sondern auch die Brüder Jesu. Ja, es ist eine Tatsache, dass all diese Erfolgsgeschichten die Namen vieler vergessen, die sich dafür eingesetzt haben. Genauso wie die Nichterwähnung vieler Frauen und Brüder Jesu als Teil der ersten christlichen Gemeinschaft, als sie sich in Obergemach (Cenaculum) trafen.

Die göttliche Perspektive auf Bedeutung und Erfolg: Massstäbe abseits der Weltlichen

Aber es gibt eine wichtige Lektion, die wir aus diesem Umstand lernen können. Es geht darum, dass unsere Bedeutung nicht davon abhängt, ob unsere Namen in den Geschichtsbüchern verzeichnet sind oder nicht. «Unsere Bedeutung liegt in dem Dienst, den wir tun, in der Liebe, die wir teilen, und in der Hingabe, mit der wir Jesus nachfolgen.»

Auffahrt

Liturgischer Gruss: Die Liebe und Nähe des auferstandenen Christus sei mit Euch.

Abschiede haben meist zwei Blickrichtungen: Es ist der Blick zurück, auf das und den Menschen, der fehlt. Und der Blick geht nach vorne mit der Frage: Was kommt jetzt neu auf mich zu? Binden mich Sorgen und Ängste oder gibt es Träume und Visionen, wie es weitergehen kann?

Bei den Freunden Jesu hat es 40 Tage gedauert, bis sie nach dem Tod Jesu gemerkt haben: „Er kommt wirklich nicht mehr. Er ist unwiederbringlich tot. Wir sind auf uns allein gestellt.“ Wobei zu bemerken ist, dass 40 Tage nicht eine genaue Zeitangabe meint, sondern symbolisch einen Zeitraum mit intensiver emotionaler Arbeit.

Wenn der endgültige Verlust schliesslich nach Tagen, nach Wochen auch gefühlsmässig wirklich angenommen ist, fängt ein neuer Abschnitt an: „Ich muss allein zurecht kommen, ohne den geliebten Menschen.“ Das kann sein, dass sich einer an das Alleinsein gewöhnen muss. Es kann aber auch sein, dass jemand nach einer langen Zeit der Krankenpflege endlich wieder reisen oder ohne Druck zum Jassnachmittag gehen kann.  In einer Todesanzeige war als Spruch zu lesen: „Du bist gegangen. Deine Lebenszeit war kurz. Ich bleibe noch ein wenig hier und lebe noch eine Zeit, bis wir uns endgültig wiedersehen.“

 

Himmelfahrt nimmt uns in den Lesungen mit auf eine gefühlsmäßige Achterbahn: Blicke gehen hoffnungsvoll und staunend gen Himmel, dann wieder zurück, dann wieder in die Zukunft gerichtet, dann auf das hier und jetzt. Die Achterbahn des Lebens – so könnte ich das Thema dieses Gottesdienstes zusammenfassen.

 

KYRIE

 

Herr Jesus Christus, nach deiner Auferstehung bist du vierzig Tage hindurch deinen Jüngern erschienen und hast vom Reich Gottes gesprochen. - Herr, erbarme dich.

 

Vor den Augen deiner Jünger wurdest du in den Himmel emporgehoben. - Christus, erbarme dich.

 

Wie deine Jünger dich zum Himmel haben hingehen sehen, so wirst du wiederkommen am Letzten der Tage. - Herr, erbarme dich.

 

TAGESGEBET

Herr Jesus Christus,

du bist aufgestiegen zu Gott, zu deinem und zu unserem Vater.

Auch wir werden einst dort leben. Das hast du uns fest zugesagt.

Und du hast uns deinen Heiligen Geist als Beistand versprochen.

So bist du uns ganz nahe - hier und jetzt und überall.

Öffne uns, dass wir dich hören in deinem Wort.

Erschließe dich unseren Herzen, dass wir dich erspüren.

Darum bitten wir dich, der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst und uns liebst jetzt und in Ewigkeit. Amen.

 

 

1. DER BLICK NACH OBEN

Kennen sie noch den heute pädagogisch umstrittenen Kinderbuch-Klassiker Struwwelpeter, Strubbel Liese und Max und Moritz. Mit mahnendem Finger werden Kindern in diesen Bildergeschichten die Folgen ausgemalt, wenn sie sich nicht an die Anweisungen der Eltern halten.

Ein Beispiel:

Im "Struwwelpeter", einer Bildergeschichte des Frankfurter Nervenarztes Heinrich Hoffmann (1844), wird die unglückliche Geschichte von einem Jungen erzählt:

"Wenn der Hanns zur Schule ging,

stets sein Blick am Himmel hing /

Nach den Dächern, Wolken, Schwalben

schaut er allwärts allenthalben.

Vor die eignen Füsse dicht,

ja, da sah der Bursche nicht,

also dass ein jeder ruft:

“ Seht den Hans Guck in die Luft“."

Und sie wissen wahrscheinlich wie es aus ging:

„ Also dass er kerzengrad

immer mehr zum Flusse trat.

Und die Fischlein in der Reih’

Sind sehr erstaunt, alle drei.

Noch ein Schritt! Und plumps!- Der Hans

stürzt hinab, kopfüber ganz.“

 

Hans fällt ins Wasser und wird triefend nass herausgezogen und gerettet. Aber die Schulmappe schwimmt weit entfernt davon und sogar die sonst stummen Fische lachen ihn aus. Der pädagogische Zeigefinger ist unübersehbar:

Der Schulweg ist kein Spaziergang! Kopf geradeaus! Halt die Augen offen! Träum nicht! Guck, wo du hintrittst! Konzentriere dich auf den Weg, sonst läufst du in dein Unglück, gerätst auf Abwege!“

 

Die heutige Lesung scheint genau das zu sagen. Die Männer in den weisen Gewändern mahnen und tadeln die Jünger: „Was steht ihr da und schaut in den Himmel?“

So als ob sie sagen wollten. Schaut auf den Boden, wo ihr hintretet. Denn wer dauernd in die Wolken starrt und vor sich hinträumt, der fällt am Ende wie Hans-Guck-in-die –Luft auf die Nase.

Verlier dich nicht in Illusionen, sondern komm auf den Boden der Realität.

 

2. VISIONEN

Da möchte man dem Psychiater und auch den Gestalten in der Bibel entgegenhalten: Es ist doch wichtig, in den Himmel zu schauen und ab und zu zu träumen, Visionen zu haben. So kommen doch die besten Ideen. Wer nur nach unten schaut, sieht keine Sterne mehr, dem geht die Fantasie aus, der lebt nur in seiner kleinen engen Welt.

Das beste Beispiel:

- die Sterndeuter: Ohne den Blick nach oben hätten sie sich nicht auf den Weg zum Kind von Betlehem gemacht um den neugeborenen König zu finden.

  • Auch die Hirten mussten die Augen ihres Herzens nach oben wenden, um aus offenem Himmel das Engelskonzert zu hören: Friede den Menschen auf Erden. Der Heiland ist euch geboren.
  • Und Jesus bekam bei seiner Taufe im Blickkontakt mit "oben" das gute Wort des Vaters geschenkt „Du bist mein geliebter Sohn. An dir habe ich Freude“.
  • Ohne die Neugier der Astronomen gäbe es keine Himmelskunde, ohne den aufmerksamen Blick nach oben in das Sternenzelt wäre mancher Seefahrer nicht ans Ziel gelangt.
  • Und in angespannten Situationen die Hoffnung auf Versöhnung und Frieden nicht aufgeben. Es kann sein, dass wir Christen da als Träumer angesehen werden, aber wehe, wenn der Traum von einer heilen Welt und versöhnender Freundschaft nicht mehr lebendig wäre.

 

3. VOGEL-PERSPEKTIVE

Beten, sei es ein Dank- oder ein Bittgebet, ist ja auch ein In-den-Himmel schauen. Der Mensch, der betet, löst sich aus seiner eigenen engen Welt. Der /die Betende stellt seine Freude, seinen Dank, seine Sorgen, seine Probleme in einen grossen Gesamtzusammenhang:

Das Gebet könnte dann so lauten.

„Unser Vater im Himmel, ich komme zu dir.

Ich bin in meiner Sicht eingeschränkt,

kann nicht über meinen engen Horizont hinausschauen.

Aber bei dir, Gott, ist die Lösung und der Sinn.

Ich vertraue dir.

Schau du auf mich, auf die Situation

mit deinen liebenden Augen, die weiter und tiefer sehen.“

 

4. DER WELT ZUGEWANDT

 "Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?" Es gab ja wahrhaftig etwas zu sehen! Und die Elf schauen genau hin. Zwei geheimnisvolle Männer holen die Jünger auf den Boden der Tatsachen zurück und geben ihnen einen Trost: Der Jesus, den ihr habt weggehen sehen und in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen. Wendet euch der Welt zu und schaut nicht dem Toten nach. Jetzt seid ihr gefragt! Augustinus brachte das auf den Punkt: „Christus entschwand ihren Augen, dass wir ins eigene Herz einkehrten und ihn dort fänden.“ Das erinnert an den Gedanken von Angelus Silesius: Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, aber nicht in dir – du wärest auf ewiglich verloren.“ Der Immanuel, der Gott mit uns, will auf der Erde gefunden werden. Jesus will in uns Hand und Fuss, Herz und Gestalt annehmen.

 

4. APOSTEL UND APOSTELIN WERDEN

Geht, mischt euch unter die Leute. Bezeugt, was ihr erlebt und gesehen habt. Ihr werdet von Gottes Geist mit allem Nötigen ausgestattet werden.

Wenn ihr nur nach oben schaut, dann werden eure Augen unaufmerksam, verlieren sich in den Wolkengebilden und Träumereien. Bleibt nicht stehen, sonst kommt ihr nicht weit- und auch das Evangelium nicht! Ihr seid Apostel und Apostelinnen, Gesandte, nicht Träumer.

Ihr sollt nicht traumverloren nach oben starren, sondern das schreiende Elend sehen, das zu euren Füßen liegt,

die Stolpersteine auf dem Weg,

aber auch auf das Schöne und Naheliegende.

Werdet keine Traumwandler, kein Hans-Guck -in die Luft.

Übt den genauen und absichtslosen Hin-Blick auf euren Alltag!

öffnet Augen und Sinne.

Seid achtsam und

versucht Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden,

benutzt euren Verstand, der vor Falschnachrichten warnt.

Seid nachsichtig und vermittelnd, wenn andere eine andere Meinung vertreten.

Wendet euch dem Leben zu.

5. MATTHÄI AM LETZTEN

Und wenn es dir selbst einmal schlecht geht, wenn du dich am Boden fühlst dann sind die Verse des Evangeliums wie ein Rettungsanker. Wenn du am sprichwörtlichen „Mattäi am Letzten“ bist, dann geht der Blick doch wieder nach oben. Denn die letzten Verse im Matthäusevangelium Kapitel 28 sind ein Rettungsring: Sei gewiss. ich bin bei dir alle Tage bis ans Ende der Welt.

Das bedeutet:

Nach einem schweren Abschied – du bist immer noch da und darfst leben.

Nach einer Enttäuschung – du gehst gestärkt hervor.

Bei einem Neubeginn – das Leben wartet auf dich.

In schwierigen Situationen deines Lebens – Christus Jesus ist bei dir an allen Tagen bis zum Ende der Welt.

So gesehen ist der Auffahrtstag ein Fest, dass uns für die Auf- und Ab der Achterbahn des Lebens ermutigen will: Ich bin für dich da – sagen Menschen auf der Erde. Ich bin für dich da bis ans Ende der Welt, verspricht und Gott.

 

Evangelium vom Tag Mt 28,16-20

 

Antwort auf das Evangelium: 550 Mein Auge schaut den Berg hinan

 

FÜRBITTEN

 

In der Gewissheit, dass der in den Himmel erhöhte Christus alle Tage bei uns ist und bleiben wird bis zum Ende der Welt, tragen ihm wir unsere Bitten vor:

 

- Wir beten für alle, die Angst vor der Zukunft haben: Schenke ihnen die Zuversicht, dass du immer mit uns gehst, wohin auch immer wir gehen.

 

- Wir beten für alle, die nur ihren eigenen Vorteil und Gewinn im Sinn haben: Befähige sie zu solidarischem Denken und Handeln.

 

- Wir beten um Frieden und Versöhnung zwischen Zerstrittenen und den Kriegsparteien überall auf der Welt.

 

- Wir beten für alle, die sich Sorgen um die Zukunft der Kirche machen: Schenke ihnen den Mut, Überlebtes loszulassen und aus der Kraft des Heiligen Geistes neue Wege zu gehen.

 

- Wir beten für den Papst und die Bischöfe und für unsere Gemeinden: Dass sie die Zeichen der Zeit erkennen und Mittel und Wege finden, die Frohe Botschaft überzeugend und glaubwürdig zu verkünden.

 

- Wir beten für unsere verstorbenen Angehörigen und Freunde. Schenke ihnen neues Leben in jener anderen Welt, in die du uns vorausgegangen bist.

 

 

Du, Herr, bist heimgekehrt zum Vater und sorgst für uns vom Himmel aus.

Lass uns schon auf Erden den Himmel spüren, damit die Traurigen getröstet werden,

die Mutlosen ermutigt,

die Hoffnungslosen eine Perspektive bekommen,

die Einsamen sich aufgehoben fühlen,

die Enttäuschten aufgerichtet werden

und die Verstorbenen uns beistehen.

Dich preisen und dir danken wir jetzt und bis zu unserer Vollendung in der Ewigkeit. Amen.

GABENGEBET

Barmherziger Gott, mit den Zeichen von Brot und wein

legen wir das Leben -Freuden und Leiden- dieser Welt vor dich.

Wandle mit den gaben auch uns,

damit wir die Kraft deiner Liebe erfahren und vor der Welt bezeugen.

Darum bitten wir

Vater unser

 

Jesus ist zur Rechten des Vaters erhöht und tritt für uns ein. In seinem Namen und Auftrag beten wir, wir er uns selber zu beten gelehrt hat.

 

Christus spricht: „Ich bin bei euch alle Tage

bis zum Ziel der Welt.“ (Mt 28,20)

Schlussgebet

Grosser und gütiger Gott,

wir danken dir, dass du uns nahe bist

und diese Welt in deinen Händen hältst.

Schenke uns festen Halt auf dieser Erde

Aber auch die Offenheit für deinen Himmel,

wo immer er sich für uns auftut.

Jeden Tag und immer wieder aufs Neue

wollen wir deine Nähe spüren.

Hilf uns dabei. Darum bitten wir durch Christus,

unseren auferstandenen Bruder und Herrn.

 

Schlusslied: 455,1-3 Das ist der Tag, den Gott gemacht

 

Segen

 

Der gütige Gott,

der heute Christus in seine Herrlichkeit erhöht hat,

gebe auch uns Anteil an seinem göttlichen Leben.

 

Vor den Augen seiner Jünger wurde Christus zum Himmel erhoben. Er lasse auch uns die Liebe Gottes spüren.

 

Der Geist des Herrn, der uns als Tröster verheissen ist,

er gebe uns Mut und Kraft dort, wo wir es brauchen.

Dass gewähre uns der dreieinige Gott: ...

Osternacht

Evangelium Nacht A Mt 28,1-10

Ansprache

Wir haben in der Fastenzeit gesamtstädtisch mit unseren Geldspenden ein Projekt der Fastenaktion auf den Philippinen unterstützt. Die Bauern lernen, sich gegen Stürme und Naturkatastrophen zu wappnen und ihre rechte einzufordern. Es geht also um Lebensgrundlagen. Corona, Krankheiten, menschengemachte Bedrohungen der Lebensgrundlagen und Kriege, Gewalt Wirbelstürme, Erdbeben, – wir spüren und sehen wie zerbrechlich unsere Lebensgrundlagen sind.

Eine Geschichte aus den Phillippinen:

Ein König hatte zwei Söhne. Als er alt wurde, da wollte er einen der beiden zu seinem Nachfolger bestellen. Er versammelte die Weisen seines Landes und rief seine beiden Söhne herbei. Er gab jedem der beiden fünf Silberstücke und sagte: „Ihr sollt für dieses Geld die Halle in unserem Schloss bis zum Abend füllen. Womit, das ist eure Sache.“ Die Weisen sagten: „Das ist eine gute Aufgabe.“ Der älteste Sohn ging davon und kam an einem Feld vorbei, wo die Arbeiter dabei waren, das Zuckerrohr zu ernten und in einer Mühle auszupressen. Das ausgepresste Zuckerrohr lag nutzlos umher. Er dachte sich: „Das ist eine gute Gelegenheit, mit diesem nutzlosen Zeug die Halle meines Vaters zu füllen.“ Mit dem Aufseher der Arbeiter wurde er einig und sie schafften bis zum späten Nachmittag das ausgedroschene Zuckerrohr in die Halle. Als sie gefüllt war, ging er zu seinem Vater und sagte: „Ich habe deine Aufgabe erfüllt. Auf meinen Bruder brauchst du nicht mehr zu warten. Mach’ mich zu deinem Nachfolger.“ Der Vater antwortete: „Es ist noch nicht Abend. Ich werde warten.“ Bald darauf kam auch der jüngere Sohn. Er bat darum, das ausgedroschene Zuckerrohr wieder aus der Halle zu entfernen. So geschah es. Dann stellte er mitten in die Halle eine Kerze und zündete sie an. Ihr Schein füllte die Halle bis in die letzte Ecke hinein. Der Vater sagte: „Du sollst mein Nachfolger sein. Dein Bruder hat fünf Silberstücke ausgegeben, um die Halle mit nutzlosem Zeug zu füllen. Du hast nicht einmal ein Silberstück gebraucht und hast sie mit Licht erfüllt. Du hast sie mit dem gefüllt, was die Menschen brauchen.“

Was wir Menschen brauchen ist Licht! Kinder fürchten sich in der Dunkelheit. Es ist unangenehm in der Nacht durch unbekannte, dunkle Gassen zu gehen. Wir haben erlebt, wie eine einige Osterkerze unsere schöne Pfarrkirche mit Licht füllen kann.

Was ans Licht kommt, verliert seine Bedrohung. – Licht ist das Gegenteil von Dunkelheit, Bedrohung und Angst. Als Maria und die Jünger Jesus im Grab suchen kommt ihnen Jesus entgegen und sagt: Fürchtet euch nicht. Das feiern wir in dieser Nacht:

Den Sieg des Lichtes über die Dunkelheit.
Den Sieg des Lebens über den Tod.

Sie können nach dem Gottesdienst eine gesegnete Osterkerze für 10.- erwerben und sich zuhause an dem Licht freuen. In der Mitte ist eine goldene Sonne, die für Gott steht, für Jesus, der von sich sagt: ich bin das Licht der Welt. Drumherum sehen sie die Farben des Regenbogens. der Regenbogen ist ein Symbol für das Versprechen Gottes, die Welt und uns Menschen mit seinem Segen zu begleiten in hellen und in dunkeln Stunden.

Wir brauchen nicht wertloses Zeug, das vergänglich ist wie Stroh. Wir brauchen weniger Plunder und Gerümpel sondern sehnen uns nach Licht und Wärme, Brot und Zuwendung, echte Freundschaft und Begegnung.

Hier finden Sie die Sonntagspredigten der Pfarrei St. Maria zu Franziskanern zum Nachlesen.

Augen fangen dich auf

Predigt zum 4. Fastensonntag

Jesus heilt, andere diskutieren (El Greco: Heilung des Blindgeborenen, 16. Jh.)

Wenn ich meinen Blick durch die Bänke schweifen lasse, sehe ich einige Brillenträgerinnen und Brillenträger unter uns. Eine grosse Mehrheit der Bevölkerung braucht eine Sehhilfe oder eine Korrektur. Doch auch wer gestochen scharf sieht, weiss, dass unsere Augen sich manchmal täuschen können. Schliesslich sehen wir nicht nur mit unseren Augen, sondern auch mit unserem Verstand und oft auch mit unseren Gefühlen. Vorurteile und unsere persönlichen Werte prägen unsere Sicht. Machnmal sehen wir nur, was wir sehen wollen und blenden anderes aus.

Um Sehen, Sicht und Perspektive, geht es in den heutigen biblischen Lesungen, die auch diesen Sonntag ganz schön lange ausgefallen sind. Besonders das Evangelium (Johannes 9,1-41)enthält eine unglaubliche Fülle an Themen. Ich möchte drei Aspekte hervorheben, die mich beim Lesen und Nachdenken besonders beschäftigt haben.

Gott sieht das Herz

Den ersten Aspekt entnehme ich der ersten Lesung aus dem Ersten Buch Samuel (1 Sam 16, 1-13b). Wie wir gehört haben, werden Samuels Erwartungen enttäuscht. Auf der Suche nach dem künftigen König von Israel hat er nach einem starken, grossen, erfahrenen Krieger Ausschau gehalten. Nach einem Mann, der allein durch sein Erscheinen Ehrfurcht und Autorität ausstrahlt. Gott führt ihn stattdessen zum jungen und zierlichen David, der überhaupt keine königliche Figur hatte. Andere Eigenschaften, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben, scheinen für Gott im Vordergrund zu stehen: «Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der HERR aber sieht das Herz.» (1 Sam 16,7)

So lädt uns Gottes Wort heute ein, unsere Urteils- und Meinungsbildung kritisch zu hinterfragen: Urteilen wir nach Äusserlichkeiten und nach dem Grundsatz «das gehört sich doch so» oder halten wir Ausschau nach dem Wesentlichen? 

Bei der Neubesetzung von Orchesterplätzen ist es nun verbreitete Praxis, dass die Bewerberinnen und Bewerber hinter einer Trennwand vorspielen. Die Wahlkommission hört die Musik, bekommt aber die Person nicht zu Gesicht. Wie Studien zeigen, hat sich dadurch die Erfolgschance von Frauen deutlich erhöht. Das musikalische Talent wird ins Zentrum gerückt, das Geschlecht oder schlicht das Erscheinungsbild einer Person werden ausgeblendet. Es ist natürlich traurig, dass wir, um etwas möglichst sachlich beurteilen zu können und Diskriminierung zu verhindern, Trennwände aufstellen müssen. Und doch bleibt es eine Realität, dass wir uns vom Schein verführen lassen.

Doch wie bewusst ist uns im Alltag, dass wir in unserem Bewerten und Urteilen nicht immer sachlich und korrekt sind, dass wir einen Hang zu Vorurteilen, zu vorgeprägten Meinungen haben? Wie bewusst ist uns, dass unsere Sichtweise oft gesellschaftlich gelenkt ist?

Jesus hat durch sein Handeln und durch seine Lehren immer wieder versucht, die gesellschaftlichen Scheuklappen wegzureissen, die das Sichtfeld der Menschen einengen. So komme ich zum zweiten Aspekt, den ich aus dem Evangelium (Johannes 9,1-41) entnehme.

Jesus sieht den Menschen

Bevor es überhaupt zur Begegnung zwischen Jesus und dem Blindgeborenen kommt, haben wir von einem Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern gehört. Nach damaligem Verständnis war Krankheit oder eine Beeinträchtig wie Blindheit die Konsequenz einer Schuld, also eine göttliche Bestrafung. Da dieser Mensch von Geburt aus blind war, drängt sich für die Jünger die Frage auf, wer hier wann genau gesündigt habe und ob vielleicht die Sünde der Eltern auf die nächste Generation übertragen wurde.

Mich beschäftigt, wie unterschiedlich das Verhalten Jesu und das Verhalten der Jünger ist. Sie alle sehen den Blinden, nehmen ihn wahr, zeigen Interesse. Doch bald wird klar, dass die Jünger einen anderen Blickwinkel als Jesus haben. Sie sehen einen Blinden und fragen nach dem warum, nach den Ursachen und der Schuld - sie suchen also nach Erklärungen. Erklärungen, die wohlbemerkt, das Nichtstun, die Empathielosigkeit legitimieren sollen. Denn wer kann sich schon der gerechten Strafe Gottes widersetzen?

Jesus sieht hingegen einen Menschen in Not. Er räumt falsche Erklärungen beiseite und sieht die Würde dieses Menschen, sein Potential; und er würdigt, dass auch in diesem Notleidenden, der am Strassenrand sitzt, Gottes Herrlichkeit und Glanz offenbar werden können. Die Jünger sind blind für das Wesentliche, nämlich für den Menschen, der sich hinter dem Leiden, hinter diesem Zustand verbirgt. Jesus sieht hingegen ein Gegenüber, das wie alle Menschen bestimmt zum Glück, fähig zum Guten und berechtigt zum Stolz ist.  Die Haltung Jesu lehrt uns, dass wir erst wirklich sehen, wenn wir im Anderen nichts weiter erkennen als einen Menschen wie wir. Dann können wir auch menschlich handeln.

Eine neue Perspektive

Und so komme ich zum dritten und letzten Aspekt. Jesus sieht nicht nur diesen Menschen er glaubt auch an ihn, er glaub weit mehr als dieser Mensch je an sich selber glauben könnte. Es ist diese Erfahrung des geglaubt-werdens, die diesen geheilten Mann dann selber zum Glauben an Jesus führt. Er glaubt, weil zuerst Jesus an ihn geglaubt hat.

Die Begegnung mit Jesus schenkt dem Blindgeborenen nicht nur das Augenlicht. Die Geschichte beschreibt uns schon fast eine Neugeburt. Die Leute erkennen diesen Menschen nicht wieder; sie fragen sich, ob das wirklich dieser Blinde war, der die ganze Zeit am Strassenrand gesessen hatte. Wir haben es tatsächlich mit genau dem gleichen Menschen zu tun, nur dass in ihm viel mehr steckte, als man von ihm hat sehen können oder hat sehen wollen. Die heilsame Zuwendung Jesu lässt diesen Menschen in seiner Ganzheit neu aufblühen.

Jesus als das Licht der Welt bringt Licht in das Leben dieses Menschen. In diesem Glanz leuchtet er neu auf. Als Kinder des Lichtes wurde uns durch die Taufe der Auftrag gegeben, selber Lichtbringerinnen und Lichtbringer zu sein. Gott glaubt an uns, so sollen auch wir Gott und einander glauben. Wir sind gesehene und so sind wir gesendet, mit offenen Augen und Herzen zu leben. Tagtäglich begegnen wir Menschen. Unser Blick auf diese Menschen, die Haltung, die wir einnehmen, kann Grosses bewirken. Blicke können töten. Blicke können aber auch verwandeln, neu beleben und eine tiefe Wirklichkeit zum Vorschein bringen.

Es gibt dich

Ich möchte die Predigt mit einem Gedicht von Hilde Domin abschliessen, das diesen letzten Gedanken umschreibt: 

Dein Ort ist
wo Augen dich ansehen.
Wo sich Augen treffen
entstehst du.

Von einem Ruf gehalten,
immer die gleiche Stimme,
es scheint nur eine zu geben
mit der alle rufen.

Du fielest,
aber du fällst nicht.
Augen fangen dich auf.

Es gibt dich
weil Augen dich wollen,
dich ansehen und sagen,
daß es dich gibt.

("Es gibt dich" von Hilde Domin)

 

Franziskanerkirche, 18./19 März 2023
Simone Parise

Ein mutiger alter Mann

Predigt zum zweiten Fastensonntag

Abraham, ein alter Mann, wagt, neu anzufangen. Wieviel Kraft und Mut das braucht wissen alle, die sich je auf einen neuen Arbeitsplatz, neue Nachbarn, neue Kollegen oder Mitschüler, eine neue Wohnung einstellen mussten. Neu anfangen heisst es auch für alle, die nach einem Todesfall oder einer Trennung ohne einen geliebten Menschen leben müssen.

Abraham lässt alles zurück, was er sich aufgebaut hat. Was heisst „alles zurücklassen“? Wir sehen täglich in den Nachrichten zerbombte Gebäude, zerstörte Städte, Umweltkatastrophen, wir sehen Bilder von den Menschen auf der Flucht. Ich bewahre mir den Koffer meiner Grossmutter und das kleine Kinderköfferchen meines Vaters auf. Alles, was sie auf der Flucht aus Schlesien mitnehmen konnten, hatte darin Platz. Es erinnert mich daran, dass nichts, nicht einmal Grund und Boden ein sicherer Besitz sind. Aufbrechen und Loslassen wird in aller Regel durch die Umstände erzwungen sein. Kein Mensch verlässt seine Heimat, Haus und Hof freiwillig und ohne Grund.

Andere bleiben in den Kriegsgebieten und Hungerregionen dieser Welt, weil sie sich eine Existenz anderswo nicht vorstellen können oder es sich nicht zutrauen, einen neuen Anfang zu schaffen. und da ist ja auch die Familie, das Vieh, die geistige und physische Heimat, die man nicht verlieren will.

Was Abraham veranlasst hat, sich aufzumachen, wissen wir nicht: Vielleicht eine lange Trockenzeit oder eine Familiensituation, die nach Änderung verlangte? Entscheidend ist, DASS er sich aufmacht, nicht kopflos. Das Neuanfangen braucht Zeit, den rechten Ort zu finden, obwohl es in Anbetracht des Alters drängt. Er hätte auch sagen können: Ach was, in meinem Alter macht das alles keinen Sinn mehr. Er vertraute darauf, dass noch Segen auf ihn und vor allem für seine Nachkommen wartet.

Sich öffen hin zur Welt

Mit dem Blick auf das Hungertuch dieses Jahres lese ich aus dem Meditationsheft:

Das Land erben
Selig
die nicht siegen müssen
die nicht über ihre Verhältnisse leben
die nicht besitzen wollen, was nicht ihr eigen ist
die nicht ernten, was sie nicht gesäht haben

Selig
die den Schrei der Schlachthöfe hören
die sich an ihre eichenen Geschwister binden
die sich an die Abbruchkante der Kohle hinstellen
die dem Krieg ihre Gebete entgegenstemmen

Selig
die sich als Gäste der Erde verstehen
die die Samen aus dem Licht sammeln
die dem Regen danken
die im Reiskorn den Himmel schauen
Sie werden das Land erben.

Den Ruf hören und folgen

Abraham denkt nicht nur an sich, sondern an seine Verantwortung für die Jungen. Sie lernen an seinem Beispiel und Vorbild nicht aufzugeben und Neues zu wagen. Wie entmutigend und Zorn erregend dagegen die Alten, die nach dem Motto handeln: Ich bin schon alt. Nach mir die Sintflut.

Heute sind es ja vor allem die Jungen, die auf Klimagerechtigkeit pochen. Das zeigt: Gottes Ruf erreicht auch die Jungen. Sie erkennen die Richtung, in die es gehen muss und stehen lautstark und entschlossen auf.

Wer mit Gottes Plan in Einklang lebt, der verliert die Angst und spürt eine innere Gewissheit:

Ich bin auf dem richtigen Weg
Ich habe das Richtige gefunden.
Ich fühle mich innerlich im Einklang und im Frieden.
Ich folge meiner inneren Stimme im Einklang von Bauch, Kopf und Herz.

Den Durchblick haben

Das ist die Momenterfahrung, die auch die drei Jünger mit Jesus machen.

Wie Abraham haben sie ihr Leben völlig umgekrempelt, sie haben sich Jesus angeschlossen und sind einfach mit ihm gegangen.

Auf dem Berg sehen sie Jesus in einem anderen Licht. Sie haben den totalen Durchblick. Es ist ein intensiver Augenblick, in dem sie in Jesus Ewigkeit ahnen, spüren, erkennen durch ihn hindurch. Es ist ein Moment frei von Fragen und Zweifeln, voll mit glaubender Gewissheit. Sie wissen jetzt: Jesus ist der, dem wir folgen sollen, an dem sie sich orientieren sollen.

Petrus möchte diesen Moment der Erleuchtung festhalten. Lange hat er darauf gewartet und will den Moment festhalten und behausen mit einem Zelt.

Jesus geht mit den drei Freunden wieder den Berg hinunter – räumlich und gefühlsmässig. Was sie erlebt haben, sollen sie nicht weitererzählen, sondern es muss sich zuerst in ihrem Leben setzen und niederschlagen.

Wieder zurück auf dem Boden der Tatsachen wirkt das Ereignis in ihnen nach. Sie unterstützen und begleiten ihn nicht nur an Höhepunkten, wenn er bejubelt und umschwärmt wird, sondern auch, wenn sie davongejagt werden. Sie bleiben ihm treu in allen Höhen und Tiefen, sogar über seinen Tod hinaus und bekennen: Jesus ist der Sohn Gottes. Er lebt und ist bei uns.

Was sind das für gesegnete und begnadete Menschen, Petrus, Andreas und Johannes, die in so tiefer Gewissheit getragen sind: Gott ist mit mir auf dem Weg.

Für die drei und auch für uns sind solche Verklärungserlebnisse Ausnahmesituationen. Die Kunst besteht darin, aus diesen kurzen Augenblicken Kraft zu schöpfen für das Alltägliche wie für das Herausfordernde und Schwere.

Im Segen Gottes leben

Gemäss des Versprechens Gottes und nach seinem Willen geht der Segen, der auf Abraham liegt, an alle folgenden Generationen weiter. So dass Paulus schreibt: Alle die glauben, gehören zu dem glaubenden Abraham und werden mit ihm gesegnet.

Von Beginn des Lebens an begleitet uns Gottes Segen. Das Zeichen dafür ist die Taufe.

Wenn Eltern ihr Kind segnen am Abend oder vor der Schule, dann sagen sie damit: Gott möge dich begleiten und beschützen. Oder im Brautsegen wird zugesagt: Ihr seid gesegnet in euren Kindern und in eurer Familie. Du bist gesegnet in der Beziehung, in der du lebst.

Gerade auch in schwierigen Zeiten an dem Gesegnet-Sein festzuhalten gibt Mut und Kraft für den nächsten und richtige Schritt.

Halte dich daran fest: Du bist gesegnet. Dein Leben soll gelingen.

Krankensegen

An diesem Wochenende feiern wir den Krankensonntag. Am Schluss des Gottesdienstes haben sie die Möglichkeit sich den Krankensegen persönlich zusprechen zu lassen:

„Gott stärke dich und schenke dir Gesundheit. Du bist gesegnet an Leib und Seele. +“

Gudrun Dötsch

 

Auf die Probe gestellt

Predigt zum 1. Fastensonntag

Zu Beginn dieser Fastenzeit werden wir mit sehr langen Texten konfrontiert, die Wesentliches ansprechen und die auch unser Wesen betreffen. Sie fragen danach, was der Mensch ist und wie das Leben eines Menschen gestaltet wird. Sind wir einfach nur Staub? Aus Staub erschaffen und dazu bestimmt zu Staub zurückzukehren? Die biblische Schöpfungserzählung, die wir heute gehört haben, sagt viel mehr aus: Der Mensch wird mit Leben eingehaucht und mit Freiheit beschenkt. Er ist frei zu tun und zu lassen, was er will – auch wenn er sich dadurch von Gott abwendet und entfernt.

Ringen um die eigene Identität

Um die Beziehung zu Gott geht es auch im heutigen Evangelium. Nach seiner Taufe im Jordan und bevor er sich seinem öffentlichen Wirken widmet, zieht sich Jesus in die Wüste zurück. In diesen 40 Tagen in der Wüste tut sich viel im persönlichen Reifungsprozess Jesu, in der Stärkung und Vergewisserung seiner Identität. Bei der Taufe im Jordan erzählen uns die Evangelien von der himmlischen Stimme, die über Jesus sagt: Dies ist mein geliebter Sohn. Jesus zieht sich in die Wüste zurück, um diese Stimme, diese Zusage und Berufung, auf sich wirken zu lassen und um darauf eine geeignete Antwort zu finden. Fühle ich mich wirklich als Gottes geliebten Sohn? Ist das meine Identität, mein innerstes Ich? Will ich diesen Weg gehen? – Vielleicht sind Jesus solche Fragen durch den Kopf gegangen. Die Versuchungen, die er erlebt, sind ein Prozess der Selbstfindung, ein Ringen um seine Identität und um seine Beziehung zu Gott. Als gläubiger Israelit wusste Jesus, dass Gottes Weg nicht leicht ist. Er entscheidet sich dennoch für diese Beziehung, weil er davon überzeugt ist, dass am Ende nur dieser Weg zur wirklichen Erfüllung führt. «Gott allein macht satt», antwortet er treffend, auf die erste Versuchung.

Die inneren Hierarchien überdenken

Das heutige Evangelium ist aber nicht einfach die Nacherzählung einer Episode aus dem Leben Jesu. Es ist für eine Glaubensgemeinschaft geschrieben und spricht auch zu uns. Auch wir haben Gottes Zusage erhalten: Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter. Und so sollen auch wir, wie Jesus, in Freiheit darauf eine Antwort geben.

Was für ein Mensch möchte ich sein? Diese Frage stellen wir uns bewusst oder unbewusst, immer wieder. Wir ringen in uns mit verschiedensten Versuchungen und sind hin- und hergerissen, zwischen dem was gut aber unbequem oder unbeliebt und dem was schlecht, aber anziehend und leicht zu haben ist. Letztlich müssen wir uns fragen: Wer hat in meinem Leben die Kontrolle? Bin ich es oder lasse ich mich fremdsteuern? Was fesselt mich und was hingegen macht mich frei? Diese österliche Busszeit ist ein Angebot, sich diese Fragen bewusst zu stellen. Nachzuforschen, wem wir im Leben wirklich dienen, wie unsere inneren Hierarchien aussehen.

Der italienische Journalist und Asienexperte Tiziano Terzani schrieb einmal: «Die wahre Entscheidung ist nicht die zwischen zwei Sorten Zahnpasta, zwei Frauen oder zwei Autos. Die wahre Entscheidung ist es, du selbst zu sein.» Jesus hielt drei symbolischen Versuchungen stand. Wir müssen uns aber tagtäglich und immer wieder entscheiden, wer wir sind und sein möchten.

Innerlich loslassen

Die Theologin Beatrix Senft deutet so, in einem Gedicht, die bedeutung des heutigen Evangelings und den Sinn der Fastenzeit: 

Und das Leben
stellt dich
auf einen hohen Berg
und zeigt dir
all die Pracht und 
Macht dieser Welt. 

Und du wirst auf die Probe gestellt – 
nicht dreimal –
nein täglich –
stündlich wieder

du machst einen Stadtbummel
und findest nach langem Suchen
das Kleid 
das dir gefällt 

es hängt da 
in einer Boutique 
maßlos teuer 
und traumhaft 
schön 

du denkst real 
lässt es zurück 
hast bestanden 
diese Probe!? 

nein 
denn im Stillen 
wirfst du dich 
vor ihm nieder 

tagelang 
wochenlang 
hat es Macht 
in dir – 
wird zu einem 
kleinen Gott 

ob du 
die Proben 
auf die du gestellt wirst
bestehst 
liegt nicht im äußeren Verzicht
liegt nicht daran 
was äußere Umstände 
dir abverlangen 

ob du die Probe
bestehst 
liegt daran 
ob du 
innerlich 
loslassen kannst

liegt daran 
welchen Stellenwert
äußere Pracht 
oder Macht 
für dich hat 

liegt letztlich daran
dass du dich 
immer wieder 
neu aufmachen musst 
nach den Werten 
deiner selbst 
und dieser Welt 
zu suchen.

(© Beatrix Senft)

 

Franziskanerkirche, 25./26. Februar 2023
Simone Parise

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