Nähe und Distanz müssen thematisiert werden

Am 12. September wurde der Bericht zum «Pilotprojekt zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts» veröffentlicht. Welche Massnahmen ergreift die Katholische Kirche Stadt Luzern, um Missbrauch zu verhindern? Ein Interview mit dem Pastoralraumleiter Thomas Lang.

Thomas Lang ist Pastoralraumleiter der Stadt Luzern und Co-Pfarreileiter der Pfarreien St. Anton · St. Michael. Foto: Urban Schwegler

Was tut die Katholische Kirche Stadt Luzern, um sexuellen Missbrauch zu verhindern?
Thomas Lang: Die Präventionsmassnahmen beginnen bereits beim Bewerbungsgespräch, an dem das Thema Nähe und Distanz angesprochen wird. Ebenso wird bei der Referenzeinholung abgeklärt, ob Auffälligkeiten im Umgang mit Kindern und Jugendlichen sowie im Umgang mit Nähe und Distanz erkennbar sind. Alle neuen Mitarbeitenden müssen ausserdem, sofern sie mit vulnerablen Personen Kontakt haben, die Strafregisterauszüge (Privatauszug und Sonderprivatauszug) einfordern und beim Fachbereich Personal einreichen. Die Seelsorgenden und alle Personen mit Missio (Sendung des Bischofs) müssen diese Auszüge ausserdem alle drei Jahre erneut einreichen sowie zusätzliche Kurse des Bistums besuchen. Mit allen Mitarbeitenden fanden Weiterbildungen zu diesem Thema statt und in Standort- und Fachbereichteams wurden Standards im Umgang mit Nähe und Distanz erarbeitet, die jährlich besprochen werden müssen. Dies wird im Rahmen der Mitarbeitendengespräche mit den Vorgesetzten überprüft. Alle Mitarbeitenden unterzeichnen eine persönliche Erklärung, die Grundsätze der Katholischen Kirchgemeinde Luzern bezüglich Nähe und Distanz einzuhalten. Diese Erklärung ist Teil der Personalakten.

Werden alle Mitarbeitenden in gleicher Weise sensibilisiert?
Grundsätzlich ist das Thema für alle wichtig und wird deshalb mit allen Mitarbeitenden thematisiert. Wir wollen, dass bei uns eine Kultur entsteht, in der gemeinsam darüber gesprochen und ausgetauscht werden kann, was gelingende Beziehungen ermöglicht. Das ist ein Beitrag zur Prävention. Bezüglich des Einholens von Strafregisterauszügen oder des Besuchs von Kursen wird bei Mitarbeitenden, die viel mit Menschen in Abhängigkeits-verhältnissen arbeiten, mehr verlangt.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie Kenntnis von einem Vorfall erhalten sollten?
Der wichtigste Punkt ist, dass wir die Opfer ernst nehmen und die Fälle weitermelden. Falls mir Fälle zugetragen werden, bin ich also dafür besorgt, dass sie der richtigen Stelle gemeldet werden. Ebenso wichtig ist, dass Opfer gutunterstützt werden und ihnen die Angebote der Beratungspersonen und der Opferhilfe bekannt gemacht werden.

Hat es in der Vergangenheit in Luzern Missbrauchsfälle gegeben?
Ich weiss von Fällen, die es leider auch in Luzern gab und den Opfern grosses Leid zugefügt haben. Meine Kenntnis bezieht sich auf Fälle, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen und auch dem Bistum gemeldet wurden. Die Betroffenen erhielten zudem eine Genugtuung. Das juristische Wort Genugtuung gefällt mir allerdings nicht, weil das erlittene Unrecht dadurch nicht wiedergutgemacht werden kann. Trotzdem ist es ein wichtiges Zeichen, dass die Institution ihr Scheitern anerkennt.

Thematisieren Sie das Missbrauchsthema nach der Veröffentlichung des Pilotprojekts am 12. September im Pastoralraum bei den Mitarbeitenden oder den Kirchenangehörigen?
Ja, das machen wir. Wie und in welchem Kreis hängt vom Inhalt dieses Pilotprojekts ab, den wir jetzt noch nicht kennen [Das Interview wurde vor der Veröffentlichung des Berichts am 12. September geführt, Anmerkung der Redaktion]. Wichtig scheint mir, dass sich Betroffene melden, damit ihre Fälle aufgearbeitet werden können. Damit soll einerseits verhindert werden, dass sich solches Unrecht wiederholt, andererseits muss die Kirche Verantwortung in diesem düsteren Kapitel übernehmen. Zu lange wurde gezögert, sodass man leider von institutionellem Scheitern sprechen muss.

Was glauben Sie, wird die Studie in Luzern auslösen? Rechnen Sie konkret damit, dass sich nach der Publikation des wissenschaftlichen Pilotprojekts am 12. September betroffene Personen melden werden?
Das ist schwer zu sagen, weil ich keine Kenntnis habe, was sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten alles zugetragen hat. Ich hoffe, dass es keine Fälle mehr gab, allerdings fürchte ich, dass sich meine Hoffnung nicht erfüllen wird. Falls es auch bei uns weitere Fälle gab, dann hoffe ich, dass die Opfer den Mut finden, sich zu melden, denn nur so ist eine gute Aufarbeitung möglich.

Das Interview wurde schriftlich und vor der Bekanntgabe der Resultate der Pilotstudie geführt.


Bericht zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche veröffentlicht

Am 12. September 2023 wurde der Bericht zum «Pilotprojekt zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts» veröffentlicht. Die Historikerinnen und Historiker der Universität Zürich belegen 1002 Fälle, die Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensangehörige begangen haben. Der Bericht bildet die Grundlage für die weitere Forschung in den kommenden drei Jahren.

Weitere Informationen


Statements aus der katholischen Kirche im Kanton Luzern

Für die katholische Kirche im Kanton Luzern nehmen Synodalratspräsidentin Annegreth Bienz-Geisseler und Bischofsvikar Hanspeter Wasmer Stellung zum Bericht zum «Pilotprojekt zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts». Ihre Aussagen basieren auf den Informationen, die bis zur Veröffentlichung vorlagen.

Annegreth Bienz-Geisseler, Präsidentin des Synodalrats der röm.-kath. Landeskirche des Kantons Luzern

«Ich bin erschüttert. Den betroffenen Menschen wurde unbeschreibliches Leid zugefügt. Sie waren den Tätern schutzlos ausgeliefert. Sie wurden nicht gehört, nicht ernstgenommen. Hilfe und Unterstützung, die sie dringend gebraucht hätten, wurden ihnen verwehrt. Auch die Familien und das Umfeld der Menschen, die sexuellem Missbrauch ausgeliefert waren, litten. Sie wurden von der Kirche nicht ernst genommen. Deren Verhalten ist unentschuldbar.
Das darf in Zukunft nicht mehr vorkommen. Die Landeskirche und die Kirchgemeinden sind Anstellungsbehörden von kirchlichen Mitarbeitenden und tragen also Mitverantwortung. Wir werden genau hinschauen, was unsere Rolle, die Rolle der Landeskirche und der Kirchgemeinden, war.
Unsere Landeskirche hat sich in den letzten Jahren stark für Aufarbeitung und Prävention eingesetzt, zum Beispiel mit der Studie «Hinter Mauern», in der wir 2013 den Missbrauch von Verding- und Heimkindern in kirchlich geführten Erziehungsanstalten dokumentierten. Dem Thema Nähe und Distanz schenken wir bei Anstellungsgesprächen grosse Beachtung. Kirchliche Mitarbeitende wurden und werden dazu regelmässig geschult. Wir überprüfen unsere Prozesse und Abläufe weiter und setzen uns gemeinsam mit der Bistumsregionalleitung und dem Bistum ein, dass solche Verbrechen nicht mehr geschehen.»

Hanspeter Wasmer, Bischofsvikar

«Für mich als Priester ist jeder Missbrauchsfall in der Kirche eine Abscheulichkeit. Ich verstehe nicht, wie Mitbrüder und andere Seelsorgende so etwas Menschen, vor allem Kindern und Jugendlichen, antun konnten.
Ich bin deshalb dankbar, dass mit der Studie die Fälle erforscht und aufgeklärt werden, und ich bin dankbar für die bereits eingeführten Präventionsmassnahmen, die schweizweit noch verbessert werden. Sie dienen dazu, dass so etwas möglichst nie mehr in der Kirche vorkommen kann. Dafür setze ich mich ebenfalls ein.»

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