Nachlese
Wer will den Krieg?
Was mir in den letzten Monaten aufgefallen ist, hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht, dass wir irgendwie von aussen beeinflusst oder gezwungen werden, uns mit verschiedenen Themen zu beschäftigen. Und diese haben manchmal nichts mit unserer Natur und unseren Interessen zu tun, oder mit unserer Persönlichkeit und unserem Alltag. Ich glaube, dass man uns dazu bringt, einen Krieg in dieser Welt zu rechtfertigen.
Die Medien erinnern uns tagtäglich an den Hass und die Feindseligkeit, die in unserer Welt herrschen. Das aktuelle militärische Patt an der russisch-ukrainischen Grenze, das grosse internationale Aufmerksamkeit erregt, ist ein gutes Beispiel dafür. Jeden Tag werden wir in eine Situation hineingezogen, in der wir unsere Feinde und nicht unsere Freunde erkennen müssen.
Stellvertreterkrieg
Unbewusst tragen wir passiv dazu bei, eine negative Stimmung in unserem Umfeld, am Arbeitsplatz und in der Kirche aufrechtzuerhalten. In seinem Theaterstück «Geschlossene Gesellschaft» (Huis Clos) bemerkte Jean-Paul Sartre bekanntlich: "Die Hölle sind die anderen Menschen." Wir werden automatisch dazu gebracht, zu erkennen, wer der Feind ist. Wir befinden uns derzeit in einem Stellvertreterkrieg. Nach der Tagesschau, auch im Kloster, diskutieren wir manchmal über die Ukraine und Russland. Damit ist das Covid-19 kein Thema mehr, um das man sich Sorgen machen müsste.
Der katholische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, G. K. Chesterton, schreibt in seinem Werk "Was mit der Welt nicht stimmt": "Das christliche Ideal wurde nicht ausprobiert und für unzulänglich befunden. Man hat es für zu schwierig befunden und nicht ausprobiert." Das ist es, was uns Jesus an diesem Wochenende in im Evangelium mutig zu Bedenken gibt.
Lasst uns nun diesen Abschnitt des Evangeliums hören.
Evangelium: LK 6,27-38
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Euch aber, die ihr zuhört, sage ich:
Liebt eure Feinde;
tut denen Gutes, die euch hassen!
Segnet die, die euch verfluchen;
betet für die, die euch beschimpfen!
Dem, der dich auf die eine Wange schlägt,
halt auch die andere hin
und dem, der dir den Mantel wegnimmt,
lass auch das Hemd!
Gib jedem, der dich bittet;
und wenn dir jemand das Deine wegnimmt,
verlang es nicht zurück!
Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen,
das tut auch ihr ihnen!
Wenn ihr die liebt, die euch lieben,
welchen Dank erwartet ihr dafür?
Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden.
Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun,
welchen Dank erwartet ihr dafür?
Das tun auch die Sünder.
Und wenn ihr denen Geld leiht,
von denen ihr es zurückzubekommen hofft,
welchen Dank erwartet ihr dafür?
Auch die Sünder leihen Sündern,
um das Gleiche zurückzubekommen.
Doch ihr sollt eure Feinde lieben
und Gutes tun und leihen,
wo ihr nichts zurückerhoffen könnt.
Dann wird euer Lohn gross sein
und ihr werdet Söhne des Höchsten sein;
denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.
Seid barmherzig,
wie auch euer Vater barmherzig ist!
Richtet nicht,
dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden!
Verurteilt nicht,
dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden!
Erlasst einander die Schuld,
dann wird auch euch die Schuld erlassen werden!
Gebt,
dann wird auch euch gegeben werden!
Ein gutes, volles, gehäuftes, überfliessendes Mass
wird man euch in den Schoss legen;
denn nach dem Mass, mit dem ihr messt,
wird auch euch zugemessen werden.
Wie soll Gerechtigkeit wiedergestellt werden?
Das heutige Evangelium ist eine ständige Aufforderung an alle, die an Jesus glauben. Im Evangelium haben wir vier Befehle gehört - lieben, Gutes tun, segnen und beten! Dies lässt keinen Zweifel daran, wie sich eine Christin, ein Christ angesichts des Bösen verhalten sollte. Dies ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass Jesus die Anwendung von Gewalt auf das Schärfste ablehnt.
Auf den Übeltäter reagieren wir spontan mit Aggression. Wir glauben, dass die Gerechtigkeit wiederhergestellt ist, wenn wir ihn " bestrafen ", und dass jeder dadurch etwas fürs Leben gelernt hat. Jesus ist mit solchen übereilten Lösungen nicht einverstanden. Er lehnt die Anwendung von Gewalt ab, weil sie die Situation nicht verbessert. Sie macht sie nur noch komplizierter und hilft den Bösen nicht, ihr Verhalten zu ändern. Sie bringt ihn in Bedrängnis, löst Hass aus und weckt den Wunsch nach Rache und Vergeltung. Gewalt kann den Bösen vielleicht kalt stellen, aber nicht retten. Die einzige Haltung, die etwas Neues schafft, ist die Liebe.
Ist Liebe noch wertvoll?
Die Liebe kann Heilung, Gerechtigkeit und Frieden in unsere Welt bringen. Fragt nur die zahllosen christlichen Persönlichkeiten, die den Weg der Liebe gewählt haben - Rev. Martin Luther King Jr., Erzbischof Desmond Tutu und Dorothy Day. "Gewaltlosigkeit", sagte Gandhi, "kann einem Menschen nicht beigebracht werden, der den Tod fürchtet und keine Kraft zum Widerstand hat." Gleichzeitig bedeutet sie immer, "die Wahrheit in Liebe zu sagen", zu versuchen, zu heilen, zu retten, heil zu machen, aber niemals zu verletzen oder zu zerstören.
Ich habe die Hoffnung in unserer Gesellschaft nicht verloren. Es gibt Taten, die unsere Welt ein wenig friedlicher und liebevoller machen.
Auch wenn die ganze Welt den Ukrainern und Russen sagt, dass sie einander hassen sollen, auch wenn die Medien uns davon überzeugen, Gewalt für den Frieden zu rechtfertigen, auch wenn die führenden Politiker der Welt die Menschen auffordern, sie zu diskriminieren und zu Feinden zu machen, haben wir als Einzelne das Recht, einen Weg der Liebe zu wählen.
Ein Licht der Hoffnung
Inmitten aller Anweisungen der russischen und ukrainischen Behörden, nicht zu kooperieren und keine Kontakte zu knüpfen, hat der ukrainische Freestyle-Skifahrer Oleksandr Abramenko diese Woche der Welt gezeigt, dass die Liebe siegt, indem er seinen langjährigen Gegner, den Russen Ilja Burow, umarmte, nachdem das Paar auf dem Podium gestanden war. Diese Gesten mögen einige Staatschefs, einige Politiker und einige Medien nicht beeindrucken. Aber sie geben ein Licht der Hoffnung und der Liebe. Ja, Barmherzigkeit und Vergebung beginnen mit konkreten, individuellen Taten, die unsere Gesellschaft umgestalten. Die Liebe ist also immer noch die stärkste Kraft in der Welt, sowohl im Umgang mit Einzelnen als auch beim Aufbau von Gemeinschaften.
Das ist die Perspektive, die Jesus von uns verlangt.
Deshalb heisst es im grossen Gebet des heiligen Franziskus:
«Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit herrscht;
... denn wer verzeiht, dem wird verziehen ... »
Amen.