Nachlese
Im Zentrum des heutigen Evangeliums stehen zwei Aussagen voller Wertschätzung und Ermutigung. Jesus sagt zu den Menschen, die ihm nachfolgen: «Ihr seid das Salz der Erde», «ihr seid das Licht der Welt». Jesus spricht eine Realität an. Er sagt nicht: Ihr sollt sein, ihr müsst sein oder ihr werdet sei, sondern ihr seid das Salz und das Licht. Doch warum macht Jesus diese Aussage? Woher kommt diese Gewissheit?
Gottesebenbildlichkeit
Der heutige Text steht ziemlich am Anfang des Matthäusevangeliums und ist Teil der berühmten Bergpredigt. Letzte Woche haben wir daraus die Seligpreisungen gehört. Das Matthäusevangelium ist in fünf grossen Reden unterteilt und diese Zahl ist nicht zufällig gewählt. Die fünf Reden Jesu schlagen eine Brücke zu den fünf ersten Büchern der Bibel, die fünf Bücher Mose. Diese fünf Bücher bilden die Tora, also das Herzstück der jüdischen Bibel. Im ersten Buch der Bibel lesen wir unter anderem von der Schöpfung der Welt. Gott erschafft auch den Menschen und zwar nach seinem Ebenbild. Schon dieses erste Buch der Bibel sagt, dass zwischen uns und Gott eine tiefe Verbindung besteht, eine «Ähnlichkeit». Und diesen Grundgedanken greift auch Jesus in seiner ersten Rede auf. Es gibt also nicht nur eine besondere Nähe zwischen Jesus und dem Vater, sondern auch zwischen uns und Gott sowie zwischen Jesus und den Menschen, die in seiner Nachfolge stehen. So sind auch wir, wie Jesus selbst, Licht und Salz der Welt.
Verantwortung tragen
In einem berühmten amerikanischen Spiderman-Comic aus den 60er-Jahren heisst es: «Aus grosser Kraft folgt grosse Verantwortung». Dieser Satz, der in der heutigen Populärkultur zu einem Sprichwort geworden ist, lässt sich nicht nur auf Superhelden mit besonderen Kräften anwenden, sondern auch auf uns Christinnen und Christen. Wir sind berufen unsere «besondere Kraft» in Taten umzusetzen. Doch wie können wir Licht und Salz, Orientierung und Geschmack sein? Die heutige Lesung aus dem Alten Testament und der Psalm geben uns Antworten darauf.
Kein Gerede, sondern Taten
Der Text aus dem Buch des Propheten Jesaja erklärt, wie das Fasten und der Tag des Herrn aussehen sollen. Ein bisschen zugespitzt fragt der Text danach: Wie geht richtiger Gottesdienst? Die Antwort ist klar und deutlich: Es soll nicht um Äusserlichkeiten oder um Gerede gehen, sondern um konkretes Handeln. Und zwar um ein soziales Handeln, das Gerechtigkeit hervorbringt. Gottesdienst ist im Kern Menschen-Dienst. Wir haben nämlich gehört:
« (…) das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten frei zu lassen, jedes Joch zu zerbrechen.»
Und weiter benennt der Text als konkrete Handlungen: Obdachlose beherbergen, Nackte kleiden, niemanden verurteilen oder verleumden, mit den Armen und den Hungernden das Brot brechen.
Werden, was ich bin
Im gerechten und barmherzigen Handeln zeigt sich unsere Gottesebenbildlichkeit, unsere Nähe zu Jesus. Durch dieses handeln leuchten wir auf, werden zur Stadt auf dem Berg, die Orientierung und Schutz bietet, und zu Menschen, die anderen das Leben schmackhaft machen. Die Bibel spricht von grossen Taten: Fesseln, die gelöst und Joche, die zerbrochen werden sollen. Es ist unsere Aufgabe dies auf unsere Lebensrealität zu übertragen und herunterzubrechen. Wie kann ich Gottes Nähe und Liebe bezeugen? Wie kann ich zu dem werden, das ich bin: Licht der Welt und Salz der Erde?
Die Auseinandersetzung mit dieser Frage ist eine Lebensaufgabe und wenn man vor grossen Aufgaben steht, soll man sich bekanntlich kleine Ziele stecken. Ein gutes Wort oder ein freundliches Lächeln können schon die Prise Salz oder das ruhige Flämmchen sein, die unsere kleine Welt um uns verändern.
Simone Parise