Nachlese

Den Weg für andere ebnen

Liebe Schwestern und Brüdern,

 

Vor einigen Jahren habe ich Folgendes gelesen.

Im Sommer 1986 prallten zwei Schiffe im Schwarzen Meer vor der russischen Küste zusammen. Hunderte von Passagieren starben, als sie in die eisigen Fluten geschleudert wurden. Die Nachricht von der Katastrophe wurde noch weiter verschlimmert, als eine Untersuchung die Ursache des Unfalls ans Licht brachte. Es handelte sich nicht um ein technisches Problem wie eine Fehlfunktion des Radars - oder gar um dichten Nebel. Die Ursache war menschliche Hartnäckigkeit. Jeder Kapitän war sich der Anwesenheit des anderen Schiffes in der Nähe bewusst. Beide hätten sich aus dem Weg gehen können, aber laut Nachrichtenberichten wollte keiner der beiden Kapitäne dem anderen ausweichen. Jeder war zu stolz, um zuerst nachzugeben. Als sie zur Vernunft kamen, war es bereits zu spät.

Johannes, der Täufer

Im heutigen Evangelium begegnet uns jemand, der weniger werden wollte, jemand, der den Weg für den Nächsten ebnen wollte. Er muss grösser werden, ich muss kleiner werden. Das ist das Beispiel der Demut, das uns vor Augen gestellt wurde. Johannes der Täufer. Was für ein unglaublicher Gottesmann. 

Lassen wir die theologisch reichhaltigen Aussagen von ihm über Jesus beiseite: "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt." Denken wir nun an Johannes als Beispiel für die Menschheit.

Johannes war ein geschulter Prediger, und er war sehr beliebt. Selbst als er ein beliebter Prediger wurde, hatte Johannes die Demut, Jesus als "Lamm Gottes" und den erwarteten Messias anzuerkennen und vorzustellen.

Was wäre, wenn Johannes anders wäre?

Was wäre geschehen, wenn Johannes seinen Jüngern und den Juden Jesus nicht gezeigt hätte? Erinnern wir uns, als die Priester und Leviten eine Delegation schickten, um Johannes zu fragen, wer er war? Hier war ein Mann, der so ehrlich und bescheiden war, wie Menschen nur sein können. Die Delegation fragte ihn, ob er der Christus sei - der Messias, der von den Propheten angekündigt worden war. Dann fragten sie ihn, ob er Elia sei, der zu ihnen zurückgekehrt war.

Wenn Johannes nicht wirklich von Göttlichkeit erfüllt gewesen wäre, was hätte er dann gesagt? "Nun, meine Herren, ich bin der Sohn eines wunderbaren alten Priesters namens Zacharias. Ich bin sicher, ihr habt von ihm gehört, und vielleicht habt ihr sogar von meinen Predigten gehört. Ich habe in letzter Zeit hier draussen in der Wüste gepredigt und viele Menschen getauft; vielleicht sogar mehr als jeder andere heute noch lebende Täufer. Ich habe in meinen Predigten viel zu sagen, deshalb hoffe ich, dass ihr alle kommt und zuhört und lernt."

Die Demut des Johannes

Stattdessen sagte Johannes: "Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er schon vor mir da war." Und: "Ich bin nicht würdig, mich zu bücken und die Riemen seiner Sandalen zu lösen." Als Christus im Jordan an Johannes herantritt, um sich taufen zu lassen, versucht Johannes, Jesus den Vortritt zu lassen, indem er sagt: "Ich muss von dir getauft werden, und du kommst zu mir?" Als Jesus schliesslich seine Tätigkeit aufnimmt, ist es Johannes, der zur Seite tritt und sagt: "Er muss zunehmen, ich muss abnehmen." Johannes weiss, dass sein Leben nicht zu seiner eigenen Verherrlichung dient, sondern um andere zu Jesus zu führen.

Handlungsoptionen für uns

Wie schön wäre es, wenn wir und alle, wenn alle einflussreichen Menschen, wenn alle EntscheidungsträgerInnen der Welt diese Haltung hätten in ihrem Leben? Kriege und Kämpfe, Hass und Ausgrenzung wären in der Gesellschaft vermieden worden.

Die meisten unserer heutigen Schwierigkeiten beruhen auf dem Problem, dem anderen nicht den Weg zu ebnen. Was habe ich davon, wenn ich mich an meiner Stellung festklammere, wenn ich durch meine eigenen Worte beweise, dass ich wichtig bin? Mach den Weg frei und zeige der Welt, dass er oder sie derjenige sind, die kommen sollen. Er oder sie ist besser als ich. 

Manchmal kleben wir an dem, was wir sind, und das vernichtet unseren glorreichen, guten Ruf im Leben. Manchmal kämpfen wir darum, unsere Rolle als 'Familienoberhaupt' durchzusetzen. Was wird passieren, wenn eine Frau die Familie führt? Oder meine Rolle als 'Vorsteher' in der Eucharistie. Was würde passieren, wenn ich auch denken würde, dass 'ich abnehmen und er oder sie zunehmen muss'? Was passiert, wenn eine Theologin mit mir zusammen das Hochgebet betet, oder ich mit ihr? Pflege die Demut und die Leidenschaft für den Lobpreis, um in der Gnade zu wachsen.

Drei Arten, wie er den Weg für Jesus ebnete

Johannes der Täufer weist gegenüber seinen Jüngern auf den Vorrang Jesu hin. Er tut dies auf verschiedene Weise. Erstens identifiziert Johannes Jesus als das "Lamm Gottes". Zweitens verkündet Johannes, dass Jesus schon vor ihm existiert hat: "Nach mir kommt ein Mensch, der vor mir steht, weil er vor mir da war". Drittens erklärt er, dass es Jesus ist, auf den der Geist kommt, derselbe Geist, der Johannes dem Täufer sagt, dass Jesus der auserwählte Sohn Gottes ist.

Die Beibehaltung des Denkens, dass "ich höher bin", wird zum Zusammenprall führen. Genauso wie die beiden Schiffe, die im Schwarzen Meer aufeinander prallten.

 

Amen.

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