Nachlese

Predigt am 24./25 September 2022 zum Thema Mensch und Natur
Bild Dani Meyer

Liebe Pfarreiangehörige, liebe Gäste!

SCHÖPFUNGSMYTHEN IM BUCH GENESIS

Natur, Schöpfung und die Bibel – da kommt mir zuerst die Schöpfungsgeschichte in den Sinn, wie Gott nach und nach alles der Reihe nach geordnet erschafft. Ich habe immer schon darüber gestaunt, wie die Menschen vor 4000 Jahren ohne unsere heutigen Erkenntnisse die Evolution in ihren Schritten erahnten. Alles Leben braucht Wasser und Licht, dann wird alles neu, entsteht nach und nach, Schritt für Schritt, Tag für Tag, heisst es im Buch Genesis.

Dem folgt ein zweiter Schöpfungsbericht mit der Paradieserzählung und dem Streit, der mit der Vertreibung aus dem Paradies endet. Der Mensch fühlt sich fortan auf sich allein gestellt. Im Schweiss des Angesichts müssen sie Arbeiten und sollen das Land beackern. Macht euch die Erde untertan! - Wie ist dieser Satz missbraucht und missdeutet worden zugunsten des Menschen ohne Rücksicht auf Verluste. Am 24.Dezember, dem Gedenktag von Adam und Eva, an diesem Tag holte man seit dem 16.Jahrhundert einen möglichst grünen Baum ins herrschaftliche Haus, in die Amtsstube oder auf den Platz als Erinnerung an den Paradiesbaum, geschmückt mit Äpfeln und Zuckersachen. Erst im 18.Jahrhundert wurde daraus der Weihnachtsbaum, der auch bei bürgerlichen Familien Brauch wurde. Die Heilige Schrift in Zeiten entstanden, als der Mensch sich von der Natur bedroht fühlte, Wind und Kälte ausgesetzt und den Wildtieren kräftemässig unterlegen. Deshalb finden wir in der Bibel keine Anweisung zu Naturschutz für unsere aktuelle Situation. Schwärmerisch wird es nur, wenn sich der Mensch in einem ummauerten Weinberg oder Garten aufhalten kann, da werden die schönsten Loblieder gedichtet, wie wir sie in Psalmen oder im Hohelied finden.

NATUR UND WALD ALS NUTZRAUM FÜR ROHSTOFF UND ERHOLUNG

Erst in der Romantik wird der Wald für den Menschen ein Bild und Sehnsuchtsort. Der Wald wird bewirtschaftet, ist Ort der Jagdfreuden für die Fürsten, bietet Holz für das wärmende Feuer. Waldbesitz bedeutete Vermögen und Reichtum. Vielleicht kommen ihnen auch Bilder von riesigen Parkanlagen in den Sinn, bei denen der Mensch sich künstlich und kunstvoll einen Wald angelegt hat. Wahrscheinlich ist deshalb bis heute der Wald in unserer Wahrnehmung wertvoll und des halb zu bewahren und zu schützen. Tatsächlich waren die Wälder vor 300 Jahren lichtdurchflutete Laubwälder. Gemäss den alten Bildern stellen wir uns primär nicht den dunklen Tann vor, sondern einen alten Laubwald, schön auch jetzt im Herbst mit der bunten Farbenpracht, mit durchbrechenden Sonnenstrahlen.  Für uns hier in der Stadt ist der Wald zuallerst als Naherholungsgebiet wichtig. Es gibt keine Witze über den Wald, dafür scheint die Sache zu ernst zu sein. Der Humorist Heinz Erhard hat eine lustige Herleitung des Wortes Urlaub vom Laub der Urwälder gedichtet: «Ich geh im Urwald vor mich hin. Wie schön, dass ich im Urwald bin: Man kann hier noch so lange wandern, ein Urbaum steht neben dem andern. Und an den Bäumen, Blatt für Blatt, hängt Urlaub. Schön, dass man ihn hat.»

Die Diskussion um den Wald und die Forstwirtschaft wird meist sehr emotional geführt. Wieviel Urwald braucht es? Braucht es den Bär und den Wolf? 40.000 Biber haben sich in Deutschland wieder angesiedelt. Ist der Biber hilfreich, weil er Bäche staut und damit den Grundwasserspiegel hebt? Wenn der Biber vom Geräusch des Fliesswassers gestört ist und daraufhin den Abfluss der Kläranlage abdichtet, dann stellt sich sofort die Frage: Ist der Schaden, den der Biber anrichtet grösser als der Gewinn an Renaturierung?

HALTINACHGKEIT

Wir Menschen sind nicht Gott und überblicken nicht das Ganze, urteilen und handeln bestenfalls aus bestem Wissen und Gewissen gegenüber unserem Umfeld. Die erste nachgewiesene Verwendung des Wortes Nachhaltigkeit findet sich bei Hanss Carl von Carlowitz (1646-1714) in Sachsen. Ihm ging es aber nicht um ökologische Gesichtspunkte und Naturschutz, sondern um die Sorge, dass der Rohstoff Holz für seine adligen Herrschaften knapp werden könnte. Erinnern sie sich an den Orkan Wiebke, der in der Nacht vom 28. Februar auf den 1.März 1990 über der Schweiz tobte und sicher an den Sturm Lothar am 26.Dezember 1999? Das Ausmass der Schäden stellt die Forstwirtschaft bis heute vor grosse Herausforderungen, die abgebrochenen Bäume aufzuräumen und neu aufzuforsten. Vor allem wurden Grundüberzeugungen im Blick auf Nachhaltigkeit erschüttert. Der Schutz der Wälder war in den letzten 300 Jahren kein Naturschutz im umfassenden Sinn sondern eine Frage der Nutzung und Bewirtschaftung. Innerhalb der Forstwirtschaft ist einiges an Umdenken in Gang gekommen.

Es bahnt sich eine ökologische Wende mit einem verfeinerten Bewusstsein an. Die Natur und das Klima sind ein vorherrschendes Thema. Eine weitere nukleare Katastrophe wie in Tschernobyl 1986 ist in mögliche Nähe gerückt, sollte im Kriegsgebiet in der Süd-Ukraine der Strom ausfallen, in der Folge die Kühlung im Kernkraftwerk ausfallen und zu einer Kernschmelze kommen. Was Gott und die Menschen verhindern mögen!

LEIB UND SEELE – EINE EINHEIT

Vielleicht muss auch die Theologie umdenken: Wir haben in unserem Denken Geist und Körper getrennt. Den Leib-Seele-Dualismus schleppen wir mit seit Thomas von Aquin mit uns mit, der sich in seinem Denken auf die antiken Philosophen Platon und Sokrates stützte. Der Körper ist das, was zu Staub zerfällt, das Vergängliche, der Geist und die Seele das Feinstoffliche und Ewige, Unvergängliche. Analog betrachtet der Mensch die Natur als Gegenüber, als Stoff, der genutzt werden darf. Der Mensch ist dieser Theologie das beseelte, vernunftbegabte Subjekt, die Natur dagegen unbeseeltes Objekt. Diese Sichtweise macht es uns schwer, die Not der Natur zu spüren. Die Natur wird zerstört, aber ich spüre nicht die existenzielle Bedrohung. Es ist ein Unterschied ob ich sage und wahrnehme: «Ich habe einen Körper» oder ob ich sage «Ich bin Körper, leiblich und seelisch zusammen. Ich bin ein Stück Natur.» Ich stehe nicht ausserhalb, sondern bin eingebunden in den Kreislauf des Lebens.

VERBUNDENHEIT MIT DER NATUR

Es wird immer noch als Verzicht ausgesprochen und klingt wie eine Drohung, den Konsum von tierischen Produkten zu überdenken und auf ein gesundes Mass zu reduzieren. Tierische Produkte: Allein das Wort spricht Bände – Tiere sind in diesem Sprachgebrauch keine Mitgeschöpfe sondern werden zu einem Industrieprodukt degradiert!

Verzicht könnte aus Einsicht freiwillig geschehen mit einem Zuwachs an Einfachheit, ein Leben in Verbundenheit mit der eigenen Umwelt, ein Ende der selbstzerstörerischen Praxis. Es muss ja nicht so radikal und extrem sein, wie es der Heilige Bruder Klaus gelebt hat, dessen Gedenktag wir heute feiern.  Wer sich je länger je mehr in einem Einklang findet mit seiner Umwelt, der wird etwas Schmerzhaftes erfahren: Das, was ich mir nahe geworden ist, leidet. Ganze Arten sterben und die Wüsten breiten sich aus. Und wir spüren und sehen ja die Klimaveränderung mit den extremer werdenden Hitze- und Trockenzeiten. Das kann wütend und mehr noch traurig machen, dass Tiere unter kaum erträglichen Bedingungen leben – Menschen auch, die mit ihren Tieren verdursten und verhungern auf unserer Erde. «Du sollst nicht untätig zusehen, wie ein Esel oder ein Ochse deines Bruders

auf dem Weg zusammenbricht. Du sollst dann nicht so tun, als gingen sie dich nichts an, sondern ihm helfen, sie wieder aufzurichten.» (Dtn 22, 4.6). Wenn ich realisiere und an mich heranlassen, wie viel Zerstörung und Verlust schon geschehen ist, kann mir das Angst machen. Angst ist eine natürliche Reaktion, die mich erstarren und den Kopf in den Sand stecken lässt oder zu einer Aktion animiert.

Es ist also eine Sache der Courage, dass und ob wir uns unserer Kreatürlichkeit bewusst werden wollen. Die Erkenntnis ist klar: Wir stehen nicht über der Natur sondern mitten in ihr. Nicht der Mensch, sondern Gott ist das Haupt der Schöpfung, der Schöpfer selbst.

In der Folge dieser Gedanken eröffnet sich das Bruder Klausen Gebet neu als Mut-Mach-Gebet:

Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.

Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich führet zu dir.

Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir.

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