Nachlese

Das heutige Evangelium hinterfragt unser Christsein: Sind wir Mitläufer:innen oder Menschen, die ihre Überzeugungen hochhalten?

Foto: Marco Verch

Im heutigen Ausschnitt aus dem Lukasevangelium befinden wir uns weiterhin mit Jesus auf seinem langen Weg nach Jerusalem. Erneut geht es um Nachfolge und die Anforderungen, die gestellt werden, sind weiterhin sehr hoch. Schon zu Beginn seiner Wanderung nach Jerusalem haben wir ähnliche Ermahnungen gehört. Warum nun diese Wiederholung? Was hat sich verändert? Verändert hat sich der Kontext. Zu Beginn seiner Mission hat Jesus nur seinen engsten Kreis angesprochen. Hier spricht er eine grössere Menschenmenge an, die mit ihm auf dem Weg war.

Der Text beschreibt uns diese Menschen nicht näher. Wir wissen nicht, wie viele es waren, was sie von Jesus wollten oder wie lange sie ihm nachgingen. Mit Sicherheit war es eine bunt durchmischte Gruppe: Menschen, die aus Neugier da waren, solche die ganz zufällig Jesus über den Weg gelaufen sind. Bestimmt gab es auch Zweifelnde und Skeptiker darunter, die sich diesen Jesus etwas näher anschauen wollten. Sicherlich waren darunter viele Frauen und Männer, die aus tiefster Überzeugung mit Jesus unterwegs waren. Es gab auch sicher viele Mitläufer:innen gab, die sich einfach in der Masse treiben liessen.

Keine halben Sachen

Jesus stellt deshalb etwas klar: Einfach mitlaufen geht nicht. Wer zu seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern gehören will, muss eine klare, eine radikale Entscheidung treffen. Und diese Entscheidung soll nicht leichtfertig getroffen werden. Sie muss in all ihren Konsequenzen zu Ende gedacht werden. Jesus mag keine halben Sachen.

Wer einen Turm bauen will, wird uns in einem Bildwort erklärt, braucht einen genau durchdachten Plan. Man kann nicht einfach drauf loslegen und hoffen, dass es am Schluss der Turm irgendwie zu stehen kommt. Im übertragenen Sinn können wir sagen: Wer sich als Christin oder Christ bezeichnet, der oder die muss auch die Konsequenzen und die Verantwortungen mitbedenken, die damit einhergehen. Wer den Turm nicht vollendet, wird zu Recht verspottet: „Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.“ Wie viel berechtigte Kritik ziehen wir auf uns, weil wir nicht konsequent handeln. Wie viel berechtigte Kritik zieht die Kirche auf sich, weil sie nicht durchgehend ausstrahlt, was das Evangelium fordert?

Kirchlicher Aufbruch

Kürzlich hat die Schweizer Bischofskonferenz den Bericht zum nationalen synodalen Prozess veröffentlicht und nach Rom gesendet. Wie sie wahrscheinlich wissen, hat der Papst einen mehrjährigen und mehrstufigen Meinungsbildungsprozess in die Wege geleitet. Am Ende soll sich die weltweite Bischofskonferenz mit den Resonanzen aus der Basis zum Thema der Mitverantwortung und der Entscheidungsfindung in der Kirche auseinandersetzen. Auch Gruppen aus unseren Pfarreien haben an der ersten Phase teilgenommen und ihre Meinung kundgetan. Nun liegt die Zusammenfassung dieser Diskussionen auf nationaler Ebene vor. Viele fragen sich, was nun mit den Forderungen und Anliegen geschehen wird, die darin formuliert werden. Wird Rom darauf eingehen oder wird dann am Schluss doch alles in einer Schublade verschwinden? Wir dürfen gespannt über die weiteren Entwicklungen bleiben. Gleichzeitig sollten wir aber nicht passiv auf eine Reaktion von "oben" warten.

Geschmacksverlust

Die interessanten Beobachtungen und die darin formulierten Anliegen, gehen uns alle im Kleinen etwas an. Im Text kommt die aktuelle Unfähigkeit der Kirche zum Vorschein, glaubhaft und inspirierend das Evangelium zu verkünden. Es wird gesagt, dass wir als Kirche an gesellschaftlicher Relevanz aber auch an Glaubwürdigkeit verloren haben. Menschen fühlen sich aus verschiedensten Gründen aus der Kirche ausgeschlossen; viele haben sich freiwillig davon distanziert, weil ihnen diese Kirche nicht mehr zusagt. Wie aktuell klingt die Ermahnung Jesu, die wir heute gehört haben: Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, wozu taugt es noch?

Der synodale Prozess macht deutlich, dass wir als Kirche an Geschmack und Würze verloren haben. Es gibt viele strukturelle Gründe, die dazu geführt haben und denen sich die Weltkirche annehmen muss. Ich bin aber überzeugt, dass der Bericht uns allen einen Spiegel vorhält. Auch wir als Pfarrei und als einzelne Gläubige sind aufgefordert, wieder reicher an Geschmack zu werden. Wir tragen nämlich wesentlich dazu bei, unsere Kirche vor Ort mitzugestalten und können beeinflussen, wie offen und inklusiv unsere kleine Gemeinschaft und unsere Gesellschaft ist.

Bleibende Herausforderung

Nehmen wir die Resultate dieses Berichts ernst, so sind wir alle aufgefordert inklusiver, offener und dialogfähiger zu werden. Konsequent bei jedem einzelnen Entscheid und in jeder kleinsten Handlung durchscheinen zu lassen, dass wir in der Nachfolge Jesu stehen. Denn auch wir gehören zu dieser Menschenmenge aus dem Evangelium, die mit Jesus mitgeht. Mit welcher Motivation gehen wir Jesus nach? Sind wir Mitläuferinnen und Gelegenheitschristen oder Frauen und Männer mit tiefen Überzeugungen, die sich für das Reich Gottes, für Frieden und Gerechtigkeit, Offenheit und Inklusion im Alltag einsetzten?

 

Franziskanerkirche, 3./4. September 2022

 

 

 

 

 

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