Mittragen, Unterstützen und Begleiten

Was morgens mit einem Kaffee beginnt, endet nicht selten in unerwarteten Gesprächen: Im Berufsalltag eines Seelsorgers gleicht kein Tag dem anderen. Zwischen Gemeindearbeit, Gottesdiensten und E-Mails ist für Simone Parise vor allem eines wichtig: die Begegnung mit Menschen.

Zeit für Gespräche: Begegnungen nach der Feierabendandacht in der Franziskanerkirche. Foto: zvg

Meine Siebträgerkaffeemaschine braucht mindestens 20 Minuten zum Aufheizen. Mindestens so lange benötige auch ich, um wach zu werden: Ich bin kein Morgenmensch. Ohne meinen Espresso kann ich nicht in den Tag starten. Mein Morgenkaffee ist eine der wenigen Konstanten in meinem Berufsalltag. Da kein Tag dem anderen gleicht, ist es gar nicht so einfach zu erklären, was ich beruflich mache. Wenn ich erzähle, ich sei «Seelsorger», ernte ich oft belustigte Blicke. Manche denken an eine Art «Seelenklempner» und finden es interessant – bis sie bemerken, dass dieser Beruf stark kirchlich geprägt ist, im Gegensatz zu den heutzutage beliebten Coaches, Mentorinnen und Ritualbegleitern.

Auch kirchennahe Freund:innen und Verwandte aus Italien schauen mich fragend an und verstehen nicht, wie man als Nichtpriester in einer Pfarrei arbeiten kann. Sie fragen mich, ob ein «Seelsorger» (eine Bezeichnung, die es auf Italienisch nicht einmal gibt) so etwas wie ein Religionslehrer ist. Ich muss dann immer ausholen und erklären, dass es auf der anderen Seite der Alpen eine kleine glückliche Insel gibt, in der die Kirche anders funktioniert: die Deutschschweiz. Hier sind nicht nur  Geweihte, sondern auch «gewöhnliche» Getaufte – Männer und Frauen – vollamtlich tätig.

Vielseitige Aufgaben

Neben den bekannten Aufgaben wie der Leitung von Gottesdiensten, Andachten oder dem Predigen besteht mein Arbeitsalltag aus abwechslungsreichen Tätigkeiten an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kontexten, oft auch ausserhalb der Pfarrei. Mit meinem Pfarreiteam oder anderen Menschen aus dem Pastoralraum bereite ich die Pfarreireise vor, tausche mich über eine mögliche Aufwertung unseres Franziskanergärtli aus, plane neue Veranstaltungen und Projekte und werte vergangene aus, tüftle mit den Kirchenmusiker:innen an neuen Angeboten oder führe ein Interview für einen Artikel im Pfarreiblatt. Eine Woche später stehen dann ganz andere Aufgaben an, wie etwa die Begleitung einer Trauerfamilie oder die Planung des nächsten Halbjahres mit unserer KAB. Die vielseitigen Aufgaben fordern mich mal organisatorisch und intellektuell, mal emotional oder auch kreativ heraus. Auch ist es leider so, dass ein Teil meiner Arbeitszeit von Sitzungen, administrativen Aufgaben und E-Mails in Anspruch genommen wird. Was heute zur beruflichen Realität vieler Menschen gehört, ist also auch aus dem Alltag unserer professionalisierten Kirche nicht mehr wegzudenken.

Im Dialog mit den Menschen

Umso entscheidender ist für mich, wie ich die restliche Arbeitszeit gestalten kann. Erfüllend sind Begegnungen mit Menschen, vor allem wenn sich daraus unerwartete Gespräche über das Leben in all seinen Facetten ergeben. Zu spüren, was mein Gegenüber bewegt, wie es denkt und mit welchen Augen es die Welt betrachtet, ist für mich jedes Mal eine grosse Bereicherung. Darüber hinaus schätze ich die Freiheit, Gottesdienste vorzubereiten und mich mit biblischen Texten zu beschäftigen. Für mich ist das immer auch eine persönliche Auseinandersetzung mit meinem Glauben. Obwohl es sich hierbei um eine weitgehend einsame und stille Arbeit am Schreibtisch handelt, versuche ich sie als imaginäres Gespräch mit Menschen aus der Pfarrei zu gestalten. Wenn ich Predigten vorbereite, stelle ich mir Personen vor, die den Gottesdienst mitfeiern, und frage mich, wie ich sie ansprechen, ermutigen oder herausfordern kann.

Kirche «von unten»

In diesen ersten Jahren im Beruf habe ich vor allem gelernt, dass Seelsorge nicht nur von uns Seelsorger:innen ausgeht. Verschiedene Menschen wirken in unterschiedlichen Bereichen, sei es beruflich oder ehrenamtlich, an unserer gemeinsamen Sache mit. Sie setzen sich für andere ein und kümmern sich um das Wohl unserer Gemeinschaft. Und das ist genau die Kirche «von unten», von der ich träume: eine Gemeinschaft, die nicht nur von «Profis» gestaltet wird, sondern in der sich möglichst viele Menschen einbringen. Im Mittragen, Unterstützen undBegleiten sehe ich die wichtigste Aufgabe von uns Seelsorgenden und zugleich die spannendste und grösste Herausforderung.


Zur Person

Simone Parise (34) stammt aus einer italienischen Familie, ist im Aargau geboren und aufgewachsen. Er hat Theologie an den Universitäten in Luzern und Padua studiert. An der Universität Luzern war er als wissenschaftlicher Assistent tätig und schliesst gerade seine Doktorarbeit im Fach Kirchengeschichte ab. Seine zweijährige Berufseinführung zum Pfarreiseelsorger hat er in der Pfarrei St. Maria zu Franziskanern absolviert. Simone Parise wird weiterhin in der Seelsorgeder Franziskanerkirche tätig sein.

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